Taz-Serie Sekundarschule Teil 5: Operation misslungen, Patient lebt

Für die neue Sekundarschule an der Skalitzer Straße ist das erste Schuljahr zu Ende gegangen. Der Fusionsprozess ist nicht einfach: Manche Lehrer haben resigniert, andere bleiben optimistisch.

"Man hat es überlebt", sagt Heinz Preller auf die Frage, wie es gelaufen ist, das erste Sekundarschuljahr der Oberschule an der Skalitzer Straße. Das klingt bitter. Doch der Lehrer wirkt alles andere als resigniert. Vielleicht ein wenig müde am Ende dieses Schuljahrs, das der neuen Sekundarschule im Kreuzberger Wrangelkiez nicht nur die Fusion zweier Schulen, sondern auch die komplette Umstellung des Unterrichtsalltags abverlangte.

An der Skalitzer Straße fusionierten zwei Schulen, die bei allen Ähnlichkeiten unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Carl-Friedrich-Zelter-Schule, vormals an der Kreuzberger Wilhelmstraße gelegen, 2007 als eine der zehn besten Hauptschulen Deutschlands ausgezeichnet, praxis- und ausbildungsorientiert und mit strengen Regeln arbeitend, zog bei der Eberhard-Klein-Schule ein, einer Haupt-Realschule, die fast ausschließlich von SchülerInnen aus Einwandererfamilien besucht wurde und mit starker sozialpädagogischer Unterstützung arbeitete. Beide Schulen sollten ihre Kompetenzen vereinen: eine gute Idee, aber auch eine Zwangsehe, die von Beginn an problembelastet war.

An einem der letzten Tage des Schuljahres steht Lehrer Preller nun vor der Tür des Mehrzweckraums und wartet mit den SchülerInnen der siebten Klassen, dem ersten Sekundarschuljahrgang, auf den Beginn einer Theateraufführung. Schülerinnen der Siebten haben das Stück entwickelt. Laut und wild sind die Kinder, es wird geschubst und gelärmt. Zwei Mütter, die die Aufführung besuchen wollen, stehen skeptisch und etwas verschüchtert am Rand. Doch Prellers Blick ruht freundlich und liebevoll auf seinen SchülerInnen: "Sie toben", sagt er gelassen.

In Kreuzberg fusionierten im heute endenden Schuljahr 2010/11 die Carl-Fri

In Kreuzberg fusionierten im heute endenden Schuljahr 2010/11 die Carl-Friedrich-Zelter-Hauptschule und die Eberhard-Klein-Schule - früher kombinierte Haupt-Realschule - zur Sekundarschule. Die taz begleitete die entstehende Sekundarschule an der Skalitzer Straße im ersten Jahr.

Teil 1 vom 6. Juli 2010 behandelte die Vorbereitung der Schulen auf ihre Fusion.

In Teil 2 (24. 8. 2010) ging es um den Schulstart für Eltern, Schüler und Lehrer der neuen 7. Klassen.

Teil 3 vom 9. Oktober 2010 erklärte Organisation und Gestaltung des Ganztagsschulalltags.

In Teil 4 vom 28. Januar 2011 standen die Eltern im Mittelpunkt.

edrich-Zelter-Hauptschule und die Eberhard-Klein-Schule - früher kombinierte Haupt-Realschule - zur Sekundarschule. Die taz begleitete die entstehende Sekundarschule an der Skalitzer Straße im ersten Jahr.

Teil 1 vom 6. Juli 2010 behandelte die Vorbereitung der Schulen auf ihre Fusion.

In Teil 2 (24. 8. 2010) ging es um den Schulstart für Eltern, Schüler und Lehrer der neuen 7. Klassen.

Teil 3 vom 9. Oktober 2010 erklärte Organisation und Gestaltung des Ganztagsschulalltags.

In Teil 4 vom 28. Januar 2011 standen die Eltern im Mittelpunkt.

Zuvor haben die 13- bis 15-Jährigen ihre Klassenzimmer ordentlich aufgeräumt und geputzt. Einer durfte die kleine Wasserschildkröte der Klasse 7/3 mitnehmen, um sie über die Ferien zu betreuen. Während der kurzen Theateraufführung sind sie aufmerksam und still - es geht um Geld, um Eltern, die ihrer Tochter kein Taschengeld mehr zahlen können, weshalb die nach erstem Frust mit ihren Freundinnen andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung als Shopping entdeckt. Die jungen Schauspielerinnen, alle nichtdeutscher Herkunft, haben Erzählungen aus ihren Familien einfließen lassen - etwa die vom Vater, der erzählt, womit er gespielt hat, als er klein war, oder von der Tante, die als Kind gar nicht wusste, was Taschengeld überhaupt ist.

Die SchülerInnen folgen der Aufführung konzentriert: "Wäre schön, wenn sie im Unterricht auch mal so ruhig wären!", sagt Preller. Viele Jahre hat der Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie in Istanbul unterrichtet, dann 13 Jahre lang mit seinem eigenen Boot Schulklassen und andere Gruppen durch holländische Gewässer geschippert. Erst vor einem Jahr ist der 61-Jährige wieder in den Schuldienst eingestiegen - an der Skalitzer Straße. "Anders" als an seinen bisherigen Posten sei es hier, erklärt er freundlich: "Man muss lernen, den Unterrichtsstil an die Kinder anzupassen, nicht die Kinder an den Unterrichtsstil." Viele brächten große Lerndefizite mit, manche müssten grundlegende Dinge wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erst lernen: "Mit dem normalen Schulsystem kommen Sie da nicht weiter!" Den Kindern lastet er das nicht an: "Sie haben sich das ja so nicht ausgesucht. Sie sind ein Produkt dieser Gesellschaft."

Preller befürwortet deshalb die Grundidee der Sekundarschule, mit individueller Förderung jedem Kind gerecht zu werden: "Sie müssen in ihrem eigenen Tempo lernen können." Er habe "den Ehrgeiz, das zu stemmen". Nicht allen seiner KollegInnen gelingt das. Einige Lehrkräfte, vor allem aus dem Kollegium der Carl-Friedrich-Zelter-Schule, verlassen die Sekundarschule zum Schuljahresende. Vom "Team 7", den LehrerInnen des ersten Sekundarschuljahrgangs, sind es zwei - beides Lehrkräfte der früheren Vorzeige-Hauptschule.

Die Klasse 7/3 wurde im ersten Oberschuljahr von zwei Lehrkräften und einem Sozialpädagogen betreut: Johannes Neuwirth, Alev Sönmez und Heiner Meise. Ab August wird Alev Sönmez an einer Charlottenburger Grundschule arbeiten. "Ich bin hier an meine Grenzen gekommen", sagt die junge Lehrerin, die selbst in Kreuzberg aufgewachsen ist. Sechs der 20 SchülerInnen ihrer Klasse werden mit ihren Familien vom Jugendamt betreut, bei einem weiteren ist die Betreuung beantragt. "Es tut mir so leid, wegzugehen", sagt Sönmez: "Diese Schüler bräuchten eigentlich die besten Lehrer. Aber viele wollen sich das hier nicht antun."

"Frau Sönmez ist zu streng", sagt eine Schülerin, als die Lehrerin das Klassenzimmer kurz verlässt. Gedankenverloren putzt das Mädchen die Tafel - mit der Hand, die es nachher an der Wand abwischt. Ein Schüler nutzt die lehrerfreie Zeit zum Musikhören auf dem Handy: "Ey, wenn Lehrer kommt, Handy ist weg, weißt du", sagt eine Schülerin zu ihm. Zuvor hatte sie sich in akkuratem Deutsch erkundigt, wie viel man als Journalistin verdient und wie viel Steuern man zahlen muss.

Johannes Neuwirth und Heiner Meise spülen in der kleinen Küche mit einigen Schülern das Geschirr vom Elterncafé am Vortag. Eigentlich haben die Jungen schon frei, doch sie nutzen die Gelegenheit zum Plausch mit ihren Pädagogen beim gemeinsamen Abtrocknen. Kadirs* Schuljahr ist schon vorbei: Am nächsten Tag fährt er mit seiner Familie in deren Herkunftsland, Mazedonien. "Gute Reise und Grüße zu Hause!", richten Neuwirth und sein Kollege Meise aus: "War sehr schön, das Gespräch mit deinen Eltern gestern!"

Fusion schiefgelaufen?

Ist die Fusion der zwei Schulen schiefgelaufen? Dass ihre Kollegin Sönmez geht, sehen Neuwirth und Meise mit großem Bedauern. "Sie hat sich sehr für die SchülerInnen eingesetzt", sagt Neuwirth. Einige Lehrkräfte hätten sich nur mit Vorbehalt auf die Reform eingelassen, "aus beiden Kollegien", sagt Meise vorsichtig: "Solche Reformen erfordern eben sehr viel Engagement von jedem Einzelnen."

Die Sekundarschule sehen die beiden dennoch nicht am Ende: "Jetzt geht es ja erst richtig los!", sagt Neuwirth. Die Umgestaltung des Schulalltags zum Ganztagsbetrieb, die "Rhythmisierung" durch den Wechsel von Unterricht und Freizeitangeboten, die individuelle Förderung der SchülerInnen: "Da gibt es noch viele Baustellen, da müssen wir noch viel dazulernen." Das sei in einem Jahr gar nicht alles zu stemmen: zum Beispiel, weil Schulen, die bereits Erfahrung mit Unterricht im individuellen Lerntempo haben, gar nicht allen Anfragen der vielen neuen Sekundarschulen nach Unterstützung - etwa durch Unterrichtsbesuche und Lehrerhospitationen - nachkommen konnten. Und die 80-minütigen Unterrichtsblöcke oder das "Service Learning" außerhalb der Schule, bei dem SchülerInnen in sozialen Einrichtungen mithelfen sollen, erfordern eben nicht nur eine Änderung des Stundenplans der Siebtklässler, sondern der Planung für die ganze Schule: "Das müssen alle mittragen", sagt Neuwirth. Nur alle wollen eben nicht. Die von der Zelter-Schule in die Fusion eingebrachte "Assembly", die wöchentliche Vollversammlung aller SchülerInnen, immerhin hat sich auch in der gemeinsamen Schule bewährt.

Der frühere Gymnasiallehrer Preller gehört als Neuzugang keinem der beiden zwangsfusionierten Kollegien an. "Ich sehe sie hier alle kämpfen", sagt er über seine KollegInnen. "Und keiner hat ein Patentrezept."

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