Gefahr für Kastanien : Motte schlägt Vampir

Seit über hundert Jahren peinigit die Miniermotte Kastanienbäume. Ein internationales Team der FU Berlin konnte dies nun eindrucksvoll beweisen.

Im Gegensatz zu ihnen sind Miniermotten wissenschaftlich belegt: Vampire. Bild: reuters

Bram Stoker veröffentlichte seinen Roman "Dracula" über ein Menschenblut saugendes Wesen im Jahre 1897. Aber bereits 1879 existierten in dessen Heimat, in einsamen Schluchten auf dem Balkan, Exemplare jener Miniermotte, die heute unseren weißen Rosskastanien die Lebenssäfte aussaugt. Offiziell "entdeckt" wurde die Cameraria ohridella erst über 100 Jahre später am Ohridsee in Mazedonien und danach auch erstmals beschrieben.

Anders als bei den Vampiren kann man ihr Vorkommen für das 19. Jahrhundert nun sogar wissenschaftlich belegen, in der Wildheimat der Rosskastanie, in schattig-feuchten Schluchtwäldern in Albanien und Griechenland. Den Beweis verdanken wir einem internationalen Team um den Entomologen David Lees vom Institut National de la Recherche Agronomique in Frankreich und den Botaniker Hans Walter Lack, Direktor am Botanischen Garten und Botanischen Museum der FU Berlin.

Mit detektivischer Akribie suchten die Forscher nach Spuren im Dunkel und im Abseits: in alten Herbarien in verschiedenen botanischen Instituten Europas. Ihre Ergebnisse sind nachzulesen in der Online-Ausgabe von Frontiers in Ecology and the Environment. Zu seiner Überraschung fand das Team in alten Rosskastanienblättern sogar viele Larven der Kastanienminiermotte.

Diese waren mit den Pflanzenteilen gepresst und konserviert worden. "Unbeabsichtigt" heißt es in einer Mitteilung der FU Berlin, was gewiss für das Vorgehen der Sammler ebenso wie für das Schicksal der Larven zutrifft. Die älteste Raupe befand sich in einer 1879 in Griechenland gesammelten Probe.

Massenbefall von Bäumen schon 1960

Durch eine DNS-Analyse bewiesen die Forscher, dass es sich um die heute auch bei uns verbreitete Rosskastanienminiermotte handelt. Sie fanden auch heraus: um 1960 gab es in einem albanischen Tal schon genau solch einen Massenbefall von Bäumen wie heute in unseren Städten. Ist also diese Motte so alt wie die Rosskastanie selbst? "Wir haben zum Beispiel keine sicheren Fraßbilder der Miniermotte in Fossilien", gibt Hans Walter Lack zu bedenken.

Dass aber bisher noch kein Kastanienbaum am Mottenbefall eingegangen ist, deute laut Lack auf ein lange eingependeltes Gleichgewicht zwischen Wirt und Parasit hin: "Ich spekuliere mal, dass diese Beziehung sehr alt ist. Die Motte hat ja nichts davon, wenn sie die Kastanie ausrottet. Sie ist hochspezialisiert und kann nicht einfach auf eine Eiche ausweichen."

Und noch etwas: Die Miniermotten auf dem Balkan weisen eine viel größere Zahl an genetischen Varianten auf als die in Mitteleuropa. Nach Ansicht des Botanikprofessor Lack spricht dies dafür, dass nur einige wenige Fälle von Auswanderung zur hiesigen Miniermotteninvasion geführt haben.

Wie weiter? "Einmal wissen wir noch viel zu wenig über die Rosskastanie", bedauert Lack, "das kommt davon, dass sich mit der Miniermotte bisher nur Entomologen befasst haben. Die interessieren sich nur für ihre Tiere. Das, wo drauf die sitzen, finden sie eher banal." Zum Zweiten seien in der natürlichen Heimat dieser Motte auch ihre natürlichen Feinde zu vermuten, möglicherweise andere Insekten. Bevor steht offenbar eine Invasion von Entomologen auf dem Balkan.

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