Japans Suche nach alternativen Energien: Sayonara Atomkraft

Die meisten japanischen AKW sind abgeschaltet - und trotzdem funktioniert die Energieversorgung. Energiefragen werden nun kontrovers diskutiert.

"Dieses Kind braucht kein Atomkraftwerk" - demonstrierende Atomkraftgegner in Tokio. Bild: dapd

TOKIO taz | Der Abteilungsleiter im Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti) vermittelt von seinem Erscheinungsbild wie vom aktuellen Ambiente seines Dienstsitzes her nicht den Eindruck, dass hier einst die Zentrale von Japans Aufstieg zur Weltwirtschaftsmacht war.

Heute sitzt der Meti-Beamte ohne Krawatte in einem schmucklosen stickigen Raum. Die Klimaanlage wurde aus Energiespargründen abgeschaltet. Im Flur wurden drei Viertel aller Leuchtstoffröhren entfernt, was beim abendlichen Besuch unvermeidlich den Eindruck einer Krise hinterlässt.

Dabei verkündet der leitende Beamte, der wie viele Japaner seinen richtigen Namen nicht in einer Zeitung lesen will und hier Takeshi Ueta genannt wird, einen Erfolg: "Wir haben den Sommer gut ohne die befürchteten Stromausfälle überstanden."

Das hatte nach der Atomkatastrophe von Fukushima, in deren Folge 44 der 54 japanischen AKWs abgeschaltet wurden, kaum jemand erwartet. Doch die Aufrufe zum drastischen Energiesparen wurden befolgt. Die Industrie reagierte flexibel und verlegte Produktionstage aufs Wochenende oder in andere Zeiten niedriger Energienachfrage.

Der Sommer ohne Atomkraft

Uetas Ministerium, dem auch die Atomsicherheitsbehörde Nisa unterstand, war der wichtigste Förderer von Japans Atomindustrie. Doch seit dem 11. September, dem Halbjahrestag des Atom-GAUs von Fukushima, blickt Ueta vor seinem Ministerium täglich auf ein Zelt von Atomgegnern.

An einer Straßenecke, die noch zum Ministerium gehört, aber außerhalb von dessen Sicherheitszaun ist, protestieren einige Rentner rund um die Uhr gegen Atomenergie. Sie haben direkt am Ausgang der U-Bahn-Station Kaminogaseki, wo 1995 die Aum-Sekte ihren tödlichen Sarin-Anschlag durchführte, ihr weißes Zelt.

"Wirtschaftsminister Yukio Edano hat gesagt, wir brauchen eine breite Diskussion über Energie in Japan. Wir haben ihn beim Wort genommen und vor seinem Ministerium einen Raum für solche Diskussionen geschaffen", sagt Sonoko Tani, eine 61-jährige Rentnerin aus Tokio, die in Fukushima aufwuchs. "Japan braucht keine Atomenergie," sagt sie. "Die Regierung und der AKW-Betreiber Tepco sagen, ohne Atomenergie gehen die Lichter aus. Aber das ist eine Lüge. Im Sommer konnten wir weitgehend ohne Atomenergie leben."

Zuletzt haben sich in Umfragen 60 bis 70 Prozent der Japaner gegen Atomenergie ausgesprochen. Derzeit gilt der Bau neuer AKWs als nicht mehr durchsetzbar. Nirgends sind allerdings Aufkleber wie "Atomkraft? Nein Danke!" zu sehen. Offen ist, wann die derzeit abgeschalteten Reaktoren wieder ans Netz gehen und ob die drei im Bau befindlichen Reaktoren je fertiggestellt werden.

Keine neue Energiepolitik

"Erneuerbare Energien werden ausgebaut, aber sicher werden wir einen Energiemix haben, bei dem Atomenergie weiter eine große Rolle spielt," glaubt etwa Hitoshi Ishida. Er leitet bei Kyocera in Kioto das Marketing der Solarsparte. Als zweitgrößter japanischer Solaranlagenproduzent änderte Kyocera nach der Katastrophe vom 11. März seine Produktionspläne nicht. "Zwar gibt es ein neues Energiegesetz, aber die Details sind entweder unklar oder enttäuschend," sagt Ishida. So soll es eine Einspeisevergütung nur für große kommerzielle Anlagen geben, nicht aber für kleine private.

"Es gibt einen großen Stimmungswandel, aber noch keine neue Energiepolitik," sagt Tetsunari Iida vom Institut für Erneuerbare Energien (Isep) in Tokio zum Stand der Debatte. "Es herrscht inzwischen Konsens, dass erneuerbare Energien ausgebaut und die bisherigen Strommonopole beseitigt werden müssen. Aber es fehlt noch eine klare Politik."

Shigeru Suehiro, Abteilungsleiter für Energienachfrage und -prognosen beim Institut für Energiewirtschaft (IEE), das von den Stromkonzernen finanziert wird, räumt ein: "Wir haben noch nicht berechnet, wie groß die Einsparungen für den Staat und die Verbraucher sein werden, wenn etwa Tepcos Monopol enden sollte."

Dafür spielt Suehiro wie andere japanische Atomfans auf Zeit und sagt, es sei zu früh, festzulegen, wie der künftige Energiemix aussehen soll: "Von den Einsparungen in diesem Sommer von rund 20 Prozent geht ein Viertel auf das kühle Wetter", sagt er. Zwar könne Japan bei Umstellung aller Lampen auf die energiesparende LED-Technik auf bis zu zehn AKWs verzichten, doch sei dies sehr teuer.

Hoffnung auf eine atomfreundliche Regierung

Junicho Sato, Chef von Greenpeace Japan, empfängt den Besucher im kleinen Büro seiner Organisation in einem Zweifamilienhaus. Greenpeace veröffentlichte im September eine internationale Studie, laut der Japan ein Abschalten seiner letzten noch laufenden AKWs im Frühjahr 2012 gut verkraften könne.

"Niemand außer uns glaubt momentan, dass dies möglich ist. Und weil das bestimmte Kreise nicht hören wollen, wurde kaum darüber berichtet," sagt Sato. So hätten die meisten japanischen Medien auch nicht über die Anti-AKW-Demo am 11. September berichtet, als in Tokio 60.000 Menschen in einer der größten Protestaktionen der Nachkriegszeit auf die Straße gingen.

Für Sato ist neben dem Meti und den Atomkonzernen der mächtige Industrieverband Keidanren das größte Hindernis für eine Energiewende: "Die wollen nur ein paar Sicherheitsmaßnahmen verbessern und ansonsten aber zurück zur alten Atompolitik."

Der Erneuerbare-Energien-Experte und Meti-Berater Iida sieht das Wirtschaftsministerium heute im Umbruch: "Unter dem letzten Premierminister Naoto Kan, der sich nach dem GAU für einen Atomausstieg aussprach, war das Meti unter seinem damaligen Minister noch auf strammem Atomkurs. Jetzt ist der heutige Premier Yoshihiko Noda gegen einen baldigen Atomausstieg, während der neue Meti-Chef Edano, der als Kans Kabinettschef täglich die Atomkatastrophe erklären musste, viel atomkritischer ist."

Wohl auch deshalb dürfen Tani und ihre Rentnergruppe vor dem Meti zelten und wirkt der Meti-Abteilungsleiter Ueta so verunsichert. Japans Atomlobby spielt derweil auf Zeit und hofft, dass die atomfreundliche Liberaldemokratische Partei (LDP), welche die Atomenergie in Japan forcierte und nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend regierte, bald wieder an die Macht kommt.

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