Kommentar grüne Netzpolitik: Grüne auf Kaperfahrt

In der Netzpolitik wird sich für die Grünen entscheiden, ob sie der Piratenpartei ein Alleinstellungsmerkmal nehmen können. Doch sie stecken in einer Klemme.

BERLIN taz | Die Netzpolitik droht auf dem Grünen-Parteitag angesichts der großen Finanz- und Europafragen unterzugehen. Das wäre schade. Denn das Thema ist zu wichtig für eine protokollarische Fußnote.

Hier wird sich für die Grünen entscheiden, ob sie der Piratenpartei ein Alleinstellungsmerkmal abkaufen können. Zwar können die Grünen bei der Digitalisierung und dem Internet mehr Expertise vorweisen als alle anderen konventionellen Parteien, weil sie sich früh gekümmert haben. Aber es sind die Piraten, denen die Netzcommunity die Kompetenz zuschreibt.

Selbst Spitzengrüne verhehlen ihren Respekt vor der neuen Konkurrenz nicht. Kein Wunder, sie ist eine strategische Gefahr für ein rot-grünes Bündnis im Bund 2013. Wenn es die Piraten in den Bundestag schaffen, könnten sie Rot-Grün die entscheidenden Prozentpunkte kosten. Und die Grünen von der Macht fernhalten, denn Rot-Rot-Grün ist keine Option und eine große Koalition allemal wahrscheinlicher als Schwarz-Grün. Die grüne Furcht vor den Piraten hat also einen sehr konkreten Grund.

Welche taktischen Fallen bei der Auseinandersetzung lauern, zeigt sich für die Grünen jetzt beim Urheberrecht. Während die Netzpolitiker der Partei dem verstaubten Urheberrecht an den Kragen wollen, protestieren die Kulturpolitiker heftig. Die Grünen stecken in einer taktischen Klemme, die nur mit einem weichen Kompromiss aufzulösen ist. Denn eine radikal progressive Verortung, wie sie die Piraten vornehmen, schadet einem urgrünen Klientel - Künstlern, Autoren oder Journalisten.

Fast noch gefährlicher für die Grünen ist ein rational kaum greifbarer Faktor. Es geht um Sexiness. Im Moment gelten die Piraten als jung, cool und aufregend - Attribute, die einst Grüne für sich beanspruchen konnten. Solch affirmative Zuschreibungen sind oft nicht von der Realität gedeckt, doch sie können in Zeiten sich auflösender Lager bei Wahlen spielentscheidend sein.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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