piwik no script img

Parteitag der GrünenGut gebrüllt, Papandreou

Wie baut man ein demokratisches Europa? Griechenlands Ex-Regierungschef kann 900 Delegierte auf dem Grünen-Parteitag mit einem leidenschaftlichen Plädoyer mitreißen.

Ein bisschen Glanz muss sein: Özdemir dankt Papandreou auf der Bühne. Bild: dpa

KIEL taz | Das lässt sich Cem Özdemir nicht nehmen. Er bringt Giorgios Papandreou noch bis zur Tür, während die Parteitagsregie weiterläuft. Hinter den beiden schiebt sich ein Tross von Kameraleuten und Journalisten durch die Kieler Sparkassen-Arena. Ein Delegierter springt auf, legt Papandreou die Hand auf die Schulter, der bleibt geduldig für ein Foto stehen.

Draußen tauschen Özdemir und Papandreou zwei Wangenküsse, dann rauscht der ehemalige griechische Regierungschef in einer Limousine im Nieselregen davon.

Vor wenigen Minuten hat Papandreou seine Rede auf dem Podium beendet, über dem in riesigen Lettern "Antwort: Grün" prangt. Papandreou war der unangefochtene Stargast auf dem Grünen-Parteitag in Kiel. Der Mann, der in seinem Land ein Referendum zu dem EU-Hilfspaket vorgeschlagen hatte, passt perfekt ins Thema der grünen Europa-Debatte: Die Partei diskutiert über Demokratie und Krise, und wie sich beides verbinden lässt.

Schnell wird deutlich: Papandreou fasst am Freitagabend am besten in Worte, was die Grünen bewegt. Sein Plädoyer für ein starkes Europa reißt die 900 Grünen-Delegierten von den Stühlen. Der Europa-Recke Daniel Cohn-Bendit, sonst immer für Standing Ovations gut, fällt dagegen ein paar Minuten später ab.

Solidarität, Teilhabe, Chancen

Wohl vor allem deshalb: Der Grieche trifft in seiner in fließendem Englisch vorgetragenen Rede einen besonderen Ton. Statt über Schulden, Rettungsschirme und Haushaltskonsolidierung zu dozieren, spricht er von Solidarität, von Teilhabe und von Chancen.

Papandreou addressiert die Angst, die die deutsche Debatte beherrscht. "Ihre Investition in Griechenland ist keine Investition in die Vergangenheit. Es ist eine Investition in Hoffnung und Zukunft", sagt er. Und rechnet vor, welche harte Schnitte seine Regierung der Bevölkerung zugemutet hat.

Indirekt attackiert er die Doktrin, die das starke Duo Europas – Merkel und Sarkozy – durchgesetzt hat. Selbst wenn jeder Staat dramatisch sein Budget kürze, löse dies das Problem nicht, sagt Papandreou. Stattdessen fordert er eine "grüne Wachstums-Revolution". Eine solche könne Antworten auf den Klimawandel geben, aber auch auf eine Rezession.

Bei Papandreou klingt das alles frisch, leidenschaftlich und glaubwürdig. Als er am 1. November ein Referendum zu dem EU-Hilfspaket vorschlug, belegte er praktisch, worüber er redet. Gegen den Willen der BürgerInnen lässt sich Europa nicht weiter zusammenführen.

"Wir brauchen die Grünen"

Ausführlich widmet er sich der Frage, wer in Europa wie entscheidet. Er betont, Europa dürfe nicht durch Eliten beherrscht werden, er kritisiert Klüngelrunden der Staatschefs, deren Entscheidungen Parlamente nur noch abnicken dürfen. "Wenn wir nicht den Bürgern Europas trauen, wem trauen wir dann?", fragt er. "Wenn wir Europa nicht für die Bürger bauen, für wen bauen wir es dann?"

Da wird es still im Saal. Papandreou legt nach. Seine These: Europa könne ein Modell für eine globale Gesellschaft werden. "Deshalb müssen jetzt die progressiven Kräfte, Grüne und Sozialisten, gegen eine nationalistische Bewegung zusammenstehen."

Der Grünen-Chef hat das Warming-Up für ihn geliefert. Beide sind seit Längerem befreundet. Er attackiert die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel. "Europa kann es sich nicht mehr leisten zu warten", sagt er zur Weigerung Merkels, Eurobonds einzuführen. Er wirft ihr einen Zickzack-Kurs vor. "Wenn Europa ein Kreuzfahrtschiff wäre, dann würden wir alle längst kotzend über der Reling hängen, weil Frau Merkel jede Woche das Ruder rumreißt."

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • JC
    Johnny Cynic

    Wer hat denn die Arbeiterklasse verraten?

    Schwarz-Gelb nicht, denn die hatten nie den Schulterschluss geübt.

    Vielleicht doch Rot-Rot-Grün?

    Die Antwort soll sich der Leser selbst geben!

     

    "Rot ist die Liebe, rot ist die Tomat', rot ist nur der Schlips vom Sozialdemokrat'" stand auf einem "subversiven Bierdeckel" vor 25 Jahren.

  • KD
    Karl der Käfer

    Genialer Schachzug diesen Mann einzuladen. Die Welt muß sozialer und ökoLOGISCHER werden, auch wenn dann jedeR nur noch 3 in der Woche Fleisch bekommt ( statt 3x am Tag).

     

    Wer zuviel frißt, wird eh nur fett.

  • N
    noirda

    Sich von Papandreo beraten zu lassen, wie Europa funktionieren soll, das ist doch ein starkes Stück

  • S
    Steuermichl

    Die schöne Belluci-Jacke, die Frau Roth heute auf dem Parteitag trug, kostet mal eben zweieinhalb Hartz4-Monats-Sätze, wenn ich nicht irre: wer hat, der hat !

    Grün ist nicht mehr basis + billiger Zwirn, Grün ist heute etabliert mit einem Anflug von LifeStyle. Cem Özdemir (sitzt neben Frau Roth) weiß das noch besser, der hat sich vom Lobbyisten Hunzinger mal EUR 87.000.- geliehen, für neue Anzüge.

    Joscka Fischer macht Vorträge in den USA für EUR 300.000.- (Doppelstunde!) und auch der ehemalige Oberlehrer Trittin wird immer öfter in Armani und Kaschmir-Schal gesehen.

    Und jetzt laden Sie sich den Goldman-Sachs-Adjutanten Papandreou ein, der mitteilt, wie er Griechenland gerettet hat (wahrscheinlich unter Mithilfe amerikanischer Großbanken).

    Elegant, diese Grünen.

    Berliner Restaurants rechnen direkt mit der Grünen Fraktionskasse ab, bei einem vollbesetzten Tisch (beim Edel-Türken!) nicht unter 400 Tacken. Umständehalber fährt man im Toyota-Hybrid vor, kostet auch nicht weniger als ein Mittelklasse-Mercedes.

    Vom LifeStyle her könnten alle Öko-Spitzenleute schon morgen bei der SPD anfangen, von den politischen Inhalten auch, währenddessen sich die Basis in Gorleben durch den verstrahlten Morast kämpft.

    Die Grünen - an der Schwelle zu einer echten Volkspartei !

  • DK
    Die Krise

    "Die Partei diskutiert über Demokratie und Krise, und wie sich beides verbinden lässt." Schöner Satz.

  • Z
    zombie1969

    Ach du heilige Schei... , solche Politikerinnen wie die Roth und auch andere bestimmen massgeblich die Zukunft von D. Da bleibt für die Deutschen in der Tat nur noch mit den Füssen abzustimmen und zu gehen.

  • P
    Päule

    "Europa dürfe nicht durch Eliten beherrscht werden": sagt ausgerechnet Papandreou ... ROFL

  • F
    Frau

    Ist Papandreou nicht derjenige, welcher darauf verzichtet hat Griechenlands High Society zu besteuern? Der nicht eingeschritten ist, als das Geld auf ''sichere'' und steuerfreie Auslandskonten transferiert wurde..wer noch die Grünen wählt, der / die muß....na, lassens wirs..gibt ja Alternativen zu den Ex-Alternativen....

  • E
    EnzoAduro

    Einen vertreter des Dynastien Duopols jetzt als Superdemokraten hinzustellen ist schon seltsam

  • H
    Helmut

    Die Grünen arbeiten zielstrebig daran, bei der nächsten Wahl in die Nähe des Ergebnisses der NPD (+/- 0,5%) zu kommen.

  • Y
    yberg

    übrigens brauch ich keine kreuzfahrt,um über der reeling zu hängen.

    dafür haben schon finanzstandort deutschland und die mamit verbundene finanzmarktregulierung sowie hartz 4

    ausreichend und dauerhaft gesorgt.

  • M
    Migrantino

    Der beruechtigte Volksbefragungsplan von Papandreou hat die Aktienkurse fuer zwei Tage in Keller geschickt. Genug Zeit, um Millionen zu verdienen, bevor man die ganze Aktion abblaest...

    Gut geplannt, Papandreou...

  • Y
    yberg

    na die finanzstandort deutschland zementierer und marktliberalen grünen,hätten doch den meister papandreou über zu wenig staat und dafür egoismus ,bereicherung,korruption,und und die folgen dozieren lassen können.

     

    nachdem das selbstständige griechische gemeinwesen durch die finanzielle aushöhlung und plünderurng durch

    die eigenen eliten aufgehört hat zu existieren wollen

    uns nun die hartz 4 grünen einen von solidarität erzählen und auch noch von europäischer solidarität.

     

    es wird zeit ,daß die grünen sich wieder den niederungen der realität stellen und sich nicht länger mit diesem lügenpack solidarisieren und für deren interessen die eigene bevolkerung weiter plündern.

     

    morgen um 18 UHR wird dem obergrünen niederschwaben özdemir sicher ein licht aufgehn,die frage wird nur sein,ob er die augen auf und den verstand eingeschaltet hält.ich bin darüber im zweifel.

  • GF
    G. Feldmann

    Die Grünen feiern den Schulterschluß mit Papandreou, das finde ich schräg. Auch wenn ich inhaltlich größtenteils zustimme: Die Politiker-Dynastien Papandreou/Karamanlis haben über Jahrzehnte die griechische Bevölkerung und den Rest von Europa belogen und betrogen. Glaubwürdig ist der Mann nicht, eher ein Wendehals!

  • TP
    Tag Partei

    900 Delegierte und keiner will mit Smartphone und Pad demokratisch mitdiskutieren ?

    Dafür gibts doch diese Vorlesungs-Apps wo man die Texte kollaborativ eintippt die der Professor seit 30 Jahren nur abliest und bei Parteitagen würde man dann zusätzlich + oder - voten oder Anmerkungen machen können. Auch die Anmerkungen könnte man voten.

    Und weil es englisch war, könnte man parallel deutsche, französische usw. Übersetzungen daneben eintippern. Kollaborativ.

    Die Piraten zeigen mal wieder, das sie wohl nur gewählt werden wollen statt den anderen Parteien über die Basis wirksame Verbesserungs-Ideen einzupflanzen.

    Schon traurig das Piraten auch nur Konsumenten sind. Solche Einstellungen haben Europa schon herabgewirtschaftet.

     

    rot-grün hat schon mal regiert. Deren Rückkehr ist als wenn Axel Schulz oder Henry Maske die Klitschkos herausfordern würden.

    rot-grün hat schon mal versagt. Und Kretschmanns Bundesland hat bisher ausser Stuttgart21 nichts vorzuweisen.

    - Abschaffung der Korruption

    - Offenes Ausschreibungs-System und dadurch 10%-30% billigere Kosten für alle Kommunen

    - Keine neuen Beamten über 10 Jahre. Denn Computer sind besser und gerechter und transparenter und verfügbarer.

    - WiFree-Netz fürs ganze Bundesland statt UMTS nur in Stuttgart und die Landbevölkerung kann bleiben wo sie ist.

    - Selbstfinanzierte Elektrotankstellen bei einem Mash abgesprochener Discounter (Aldi, Lidl, Penny, Plus, Norma, Netto, Real, Rewe, Edeka) und Tankstellenpächter.

    - ...

    Tausend andere Dinge die 0 Subventionen bräuchten. Dafür bräuchte man nur ein digitales offenes Bürger-Vorschlags-System und jede Gemeinde mit einem ehrlichen Bürgermeister freut sich über die Optimierungs-Ideen und baut seine Schulden ab und kauft korrupte Gemeinden aus der Portokasse billig auf. Sowas macht man im Programmierpraktikum auf einer Po-Backe. Die Abmahnungen und juristischen Verfolgungen sind in Diktaturen das Problem von Demokratisierungs-Software. Nicht die inzwischen triviale und in allen (auch Symbian uralt-)Handies verfügbare Technik.

     

    900 technik-befreite (internet-freie) Delegierte sollen die Zukunft Deutschlands sein ? "Danke" Piraten und digiges. "Gut" gemacht.

     

    Jeder Parteitag will durch Smartphones demokratisierter werden. Keiner tut es :-(((

  • TM
    thomas mathe hahn

    das war bis jetzt der beste samstagmorgen in diesem jahr.

    papandreou bei den gruenen, und diskutiert über ein neues wirtschaftssystem !

    wir lachen immer noch, eine tolle stimmung! bitte mehr!

  • DL
    Dr. Lothar Petry

    Schön, dass die Grünen den Hauptverantwortlichen dafür bejubeln, dass derzeit in Griechenland 21.000 Phantomrentner existieren (vgl. Spiegel-online von heute) ! Tröstlich, dass es auch zu den Grünen mittlerweile eine Wahlalternative gibt.

  • H
    Hans

    Die Grünen werden langsam unwählbar, ausgerechnet Papandreou einzuladen um sich über Demokratie belehren zu lassen. Einfach mal googeln, was das Internet zu diesem Thema hergibt.

  • W
    wkmuc

    Papandreo, das ist sowas wie ein Plädoyer für Wolkenkuckucksheim. Leider funktioniert die Welt so nicht.