Schwarzpulver im Chemieunterricht: Kontrolletti-Obsessionen

Ein Waldorf-Lehrer soll seine Schützlinge angeblich im Bombenbau unterwiesen haben. Die Staatsanwälte ermitteln. Vielleicht war es auch nur anschaulicher Unterricht.

Uuups... ganz schön explosiv: Schwarzpulver im Unterricht - Anschauliches Experiment oder Gefährdung von Schülern? Bild: mathias the dread / photocase.com

"Unfassbar!" "Lebensgefährlich!" - Weil ein Lübecker Waldorf-Schullehrer mit seinen Schülern Schwarzpulver gemischt und Sprengkörper gebaut haben soll, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Sprengmittelgesetz - und Eltern und Presse haben wieder einmal einen guten Grund, sich zu echauffieren: Über den Lehrer und sein den Eltern allzu anschauliches Experiment. Bomben. Waldorfschule. Diese Kombination darf man witzig finden, zumal niemand verletzt wurde.

Der Anwalt des angeklagten Lehrers spricht lieber von "Böllern" denn von Bomben. Die wurden laut Aussagen der Schüler in einem Wald nahe der Schule mit Wunderkerzen gezündet. Die Schüler spürten die Druckwelle der Explosion aus der Entfernung sogar. In der Tat aufregender Chemieunterricht in der fünften Klasse, den ich meinem Kind von Herzen gegönnt hätte. Lehrreich, wenn man bedenkt, dass jährlich um die Silvesterzeit Kinder sterben, weil sie mit Böllern und Schwarzpulver spielen.

Da wäre doch Vertrauen in die Lehrkraft angebracht. Der Mann wird schon wissen, was er tut, und ordentlich über Substanz und Wirkung des Pulvers aufklären. "So haben Kanonen früher funktioniert." Oder: "So sieht ein Böller von innen aus. Das ist gefährlich, also Obacht." Aber nein, wenn es um den Nachwuchs geht, wissen Eltern alles besser und die Lehrer sind im besten Fall ahnungslos, wenn nicht gar eine Gefahr für das Kind.

Inkompetenz auf Kosten des Kindeswohls

Ständig wird mir von anderen Müttern, aber auch Vätern erzählt, warum sie ihre Kinder ab jetzt auf eine Privatschule schicken. Diese Inkompetenz auf Kosten des Kindeswohls könne einfach nicht länger toleriert werden. Und ob die Kinder überhaupt etwas lernen, da haben besorgte Eltern so ihre Zweifel - und die Methoden erst! Entweder zu lasch oder zu drakonisch.

Elternabende ziehen sich über Stunden, weil das Wohl und Weh eines einzelnen Kindes uns alle anzugehen hat. Wegen Stören des Unterrichts verwiesen? Unverschämtheit! Bei 30 Kindern in der Klasse muss es doch möglich sein, sich um jedes Schäflein mit "Aufmerksamkeitsdefizit" zu kümmern.

Keine Gymnasialempfehlung? Dann ist das eigene Kind eben ein Härtefall oder das gesamte Bewertungssystem der Schule offenbar totaler Humbug.

Das Kind ist nicht zum Geburtstag eingeladen? Dann muss die Klassenlehrerin mit dem Geburtstagskind wohl mal ein ernstes Wort reden, denn wenn das nicht Mobbing ist, dann zumindest Ausgrenzung.

"Mitarbeiter des Jahres" oder "gefährlichem Psychopath"

Spannende Experimente à la Zaubererschule Hogwarts? "Unfassbar!" "Lebensgefährlich!"

Der Grad zwischen "Mitarbeiter des Jahres" und "gefährlichem Psychopath" ist in keinem anderen Beruf so schmal wie bei Lehrern. Über ihre Fähigkeiten darf jeder urteilen, und klar ist auch: Den Job macht jeder Mensch mit Kindern besser.

Gerade Menschen aus Berufen, denen eher Ehrerbietung als ein Widerwort zuteil wird (ProfessorInnen, ÄrztInnen), kritisieren gern am harschesten, inklusive kruder Verbesserungsvorschläge für den Unterricht.

Was soll diese ständige Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Lehrer? Ist es so naiv, der Schule seiner Wahl auch mal zu vertrauen? Ist es konstruktiv, dem Kind zu vermitteln, man halte seinen Lehrer für unfähig? Und: Wo nehmen diese Leute eigentlich die Zeit für ihre Kontrolletti-Obsessionen her?

Einmischung braucht Grenzen

Klar: Eltern und Schüler sollen nicht jedes Lehrerverhalten hinnehmen. Aber das ständige Einmischen braucht Grenzen.

Denn Lehrer müssen die Interessen der Schüler aufgreifen. Mitunter die einzige Möglichkeit, sie überhaupt für ein Thema zu begeistern. Wenn mein Kind von Böllern fasziniert ist, bin ich froh, wenn es damit vertraut gemacht wird, bevor es sich die Hand zerfetzt.

Für mich könnte der Unterricht gerne noch weitergehen: Denn wenn Jugendliche Drogen nehmen wollen, werden sie das tun, genauso wie sie Sex haben werden, wenn sie es wollen. Ich wäre froh, wenn die Kids im Unterricht gelernt hätten, wie sich Antibabypille, Ecstasy oder Speed zusammensetzen und welche Mischung fatal ist. Ich selbst kann es ihnen nicht zeigen, ich weiß es nämlich nicht.

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