Gentechnik kein Allheilmittel gegen Hunger: Innovationen auf dem Acker

Um künftig den Welthunger stillen zu können, muss an vielen Stellen geschraubt werden. Die Gentechnik wird kaum mehr als Allheilmittel gesehen.

Forscher begreifen, dass gentechnisch veränderte Nutzpflanzen nicht ausschlaggebend sind für die Welternährung. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Die grüne Gentechnik hat erhebliche Akzeptanzprobleme in Europa. Darum zog der Chemieriese BASF kürzlich seine Gentechforscher aus Deutschland ab. Dabei wurde Gentechnik auf dem Acker sogar mit dem Argument angepriesen, dass nur durch sie die wachsende Weltbevölkerung in Zukunft zu ernähren sei.

Schließlich könnte "Golden Rice" viele Menschen vor Blindheit bewahren und Pflanzen könnten so mit Genen ausgestattet werden, dass sie resistenter gegen Hitze oder Krankheiten würden. Doch die mit Heilsbotschaften gespickten Imagekampagnen haben nicht geholfen.

Man möchte meinen, dass nur Laien diesem Argument misstrauen. Doch auch unter Wissenschaftlern hat sich klammheimlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass gentechnisch veränderte Nutzpflanzen kaum eine Rolle spielen werden, wenn es darum geht, in 40 Jahren 9 Milliarden Menschen zu ernähren, was eine Mehrproduktion von 50 Prozent bedeutet.

"Wir sehen in dieser Zeitspanne nur eine untergeordnete Bedeutung von GVO-Pflanzen, was die Verbesserung der Welternährung angeht", sagt etwa Stefan Siebert, Agrarwissenschaftler an der Uni Bonn. So hat eine US-amerikanische Übersichtsstudie mit dem Titel "Failure to Yield" bereits 2009 belegt, dass die Ernte bei GVO-Soja und -Mais nicht größer ausfällt, als wenn man herkömmliche Sorten anbaut.

Jedes Land, jede Region hat seine Eigenheiten

"Gentechnik erleichtert zwar dem Bauern seine Arbeit, aber Ertragssteigerungen kann man einfacher mit anderen Methoden erzielen", erklärt Siebert. So meinte kürzlich auch Anne Maina vom African Biodiversity Network: "GVO-Pflanzen sind keine Lösung für das Hungerproblem in Afrika." Man könne nicht am Bauern vorbei forschen, sondern müsse mit ihnen Lösungen erarbeiten.

Schließlich hat jedes Land, jede Region ihre Eigenheiten, das fängt beim politischen System an, geht über geografische Bedingungen bis zum Anbau unterschiedlicher Pflanzensorten. Und tatsächlich hat hier ein Umdenken stattgefunden: "Man geht heute bei der Hungerbekämpfung eher situationsbedingt vor", meint Detlef Virchow vom Food Security Center an der Universität Hohenheim.

"Schon in Äthiopien sind die Rahmenbedingungen nicht die gleichen wie in Somalia, wo seit Jahren der Bürgerkrieg tobt." Umstände, die etwa den Transport von Feldfrüchten zum nächsten Markt erheblich erschweren und damit Landwirtschaft kaum lohnenswert macht.

In Afrika sind auch ganz andere Lebensmittel wichtig, etwa Yams, Banane oder Teff, eine Hirseart. Diese zählen allerdings zu den "neglected crops", sie werden in den Forschungsabteilungen der Agroindustrie bislang kaum beachtet. "Weil diese Pflanzen aus verschiedenen Gründen nicht gewinnversprechend sind", glaubt Howard Shapiro, Biotechnologe beim Lebensmittelkonzern Mars.

Traditionelle Zuchtverfahren verbessern

Ein Gentechbauer in den USA kauft jährlich neues Saatgut für seine Maisplantage, während der Kakaobaum einmal gesät wird und dann über Jahre steht. Zum Thema Gentechnik meint Shapiro: "Bei Kakao und afrikanischen Nutzpflanzen reicht es aus, diese mit traditionellen Züchtungsverfahren zu verbessern. Aber Wissenschaftler haben die Pflicht, in alle Richtungen zu denken."

Tatsächlich diskutieren viele Wissenschaftler kaum noch mit ideologischen Scheuklappen. Es geht nicht mehr um "bio gegen konventionell" oder "Gentechnik - ja oder nein". Das neue Credo lautet: Umweltschonend muss mehr Getreide, Gemüse, Fleisch und Fisch produziert werden, das Wie ist zweitrangig.

Denn: "So wie die Landwirtschaft in Industrie- und Schwellenländern bislang arbeitet, mit zu hohem Wasser-, Düngemittel- und Pestizid-Einsatz, kann es nicht weitergehen", meint der Bonner Wissenschaftler Siebert. Ein Paradigmenwechsel hat sich in den Laboren vollzogen.

Dies machte nicht zuletzt eine Studie deutlich, die im Oktober in der Fachzeitschrift Nature erschienen ist und an der Stefan Siebert mitgewirkt hat. Hier werden fünf Punkte aufgelistet, die eine wachsende Weltbevölkerung ernähren könnten. Dazu zählt der Einsatz besser angepasster Sorten und effizienterer Anbaumethoden. Zudem sollten Wasser und Agrarchemikalien strategischer zum Einsatz kommen, um die Wirkung auf die Erträge global zu optimieren. Dann müssten die besten Ackerböden für die Nahrungsmittelproduktion reserviert sein.

Geringer Fleischkonsum wird empfohlen

Und letztens dürften nicht so viele Lebensmittel bereits auf dem Transport verderben oder im Küchenabfall landen. Auch ein geringerer Fleischkonsum in den Industrieländern wird empfohlen. All dies steht unter der Prämisse, dass keine weiteren Flächen mehr für die landwirtschaftliche Produktion geopfert werden dürften - das gilt vor allem für die Tropen.

Und so gibt es bereits viele Projekte, die im Rahmen einer "sustainable agriculture" versuchen, mehr Ertrag zu erzielen. Der Kakao-Guru Shapiro hat sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, eine Kakaopflanze mithilfe der Präzisionszucht zu entwickeln, die anstatt 400 Kilo Ertrag 2.000 Kilo Kakao pro Hektar abwirft. Für die Präzionszucht muss erst das Genom einer Pflanze bekannt sein.

Mithilfe eines "Real-Time-PCR-Gerätes" kann man dann herausfinden, welche Stelle im Erbgut für welche Eigenschaft der Pflanze verantwortlich ist. In einem Kreuzungsversuch kann der Forscher dann zu einem sehr frühen Zeitpunkt, etwa schon im Samen, feststellen, welche Pflanze die gewünschte Eigenschaft wie "Hitzetoleranz" oder "hoher Ertrag" abbekommen hat. Wegen dieser Methode erfahren alte Pflanzensorten eine Aufwertung, sie werden wie Schätze in Genbanken gesammelt und gehütet.

Vor allem Reissorten wurden bereits erfolgreich mithilfe der Präzisionszucht optimiert. Beispielsweise hat Pamela Ronald, Biotechnologin an der UC Davis, einen "Tauchreis" entwickelt. Dieser kann zwei Wochen unter Wasser überleben, während normaler Reis nach 5 Tagen abstirbt.

40 Prozent der Ernten gehen verloren

Zudem wird schädlingsresistente Cassava in Burundi, Kongo, Ruanda und Uganda angebaut. Schließlich gehen weltweit schätzungsweise 40 Prozent der Ernten immer noch durch Krankheitserreger verloren. Einige Bauern in Afrika und Asien bauen Reis und Süßkartoffeln an, die besonders reich an Vitamin A, Zink und Eisen sind. Neben der Sorte spielt jedoch vor allem der Anbau eine Rolle. Schließlich sind die "Ertragslücken" durch Anbaufehler bei den Kleinlandwirten in Afrika und Südasien teilweise bis zu 80 Prozent.

Unter dem Schlagwort "Precision farming" fasst man Kultivierungsformen zusammen, die hier ansetzen und gleichzeitig Ressourcen schonen: So wurde etwa durch Mechanisierung der Ernte in Brasilien die Getreideernte in den letzten 10 Jahren verdoppelt, ohne dass viel mehr Land dafür gebraucht wurde, schrieb John Beddington, wissenschaftlicher Berater der britischen Regierung, in einem Übersichtsartikel 2010; spezielle GPS-Systeme erlauben es, dass präziser in Furchen gesät wird; Sensoren (im Traktor oder per Satellitensystem) können frühzeitig Krankheiten aufdecken; Tropfbewässerung und genaue Düngemittelapplikation, direkt am Fuß der Pflanze, wird bei Hirse- und Sorghum-Bauern in Burkina Faso, Mali und Niger bereits erfolgreich angewandt.

Das Ergebnis: Ertragssteigerung zwischen 40 und 120 Prozent. Die Forscher zeigen sich angesichts dieser vielen kleinen Fortschritte zuversichtlich: "Immerhin hat sich das Hungerproblem in den letzten Jahre leicht gebessert, wenn man die prozentualen Zahlen ansieht. Aber natürlich dürfen wir uns jetzt nicht zurücklehnen", sagt Detlef Virchow.

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