Haarband-Designerin über Krebs: "Man muss sich doch gut fühlen"

Julia Sieckmann ist an Brustkrebs erkrankt. Weil sie ohne Haare nicht auf die Straße gehen wollte, begann sie, Haarbänder zu tragen - als Alternative zur Perücke.

Fühlt sich mit Haarband fast wie früher: Julia Sieckmann. Bild: Ulrike Schmidt

taz: Frau Sieckmann, wann haben Sie gemerkt, dass etwas bei Ihnen nicht in Ordnung ist?

Julia Sieckmann: Das war am 12.7. letzten Jahres. Ich lag abends im Bett und habe meine Brust abgetastet. Auf einmal merkte ich, dass da ein kleiner Golfball ist und war schockiert. Dann habe ich auf der anderen, rechten Seite geguckt, und gedacht, vielleicht muss da ein Golfball drin sein. Aber da war nichts. Da habe ich ein bisschen Panik bekommen, habe meinen Freund nochmal gefragt, ob ich mir vielleicht etwas einbilde, aber er meinte nein, da sei irgendwas. Also habe ich am nächsten Morgen einen Termin bei meiner Frauenärztin ausgemacht.

Gab es dann Gewissheit?

Nein, eigentlich nicht, weil ich so jung bin. Meine Ärztin hat einen Ultraschall gemacht, alles abgetastet und meinte, ich solle mir keine Gedanken machen. Vorsichtshalber hat sie mich aber zur Mammographie geschickt. Da haben sie mich zweimal geröntgt. Man wusste aber noch immer nicht, was es ist. Deswegen wurde mir Gewebe aus der Brust entnommen. Am nächsten Morgen erhielt ich dann einen Anruf, ich solle sofort in die Praxis kommen. Eine Freundin hat mich begleitet. Als die Ärztin das Besprechungszimmer betrat, hatte ich schon ein ungutes Gefühl. Und ich hörte, wie sie sagt "Mammakarzinom, bla bla bla", sah ihren Blick und dachte: "Was auch immer dieses Fachwort bedeutet - es ist sicher nichts Gutes." Meine Freundin hat nachgefragt, und dann war klar, es ist Brustkrebs.

Was waren Ihre ersten Gedanken nach der Diagnose?

Man checkt erst gar nicht, was da gerade passiert. Wenn die ganzen Untersuchungen gemacht werden, befindet man sich in einer Art Nebel. Man versucht alles wegzustoßen und alles ist ganz unwirklich. Bis ich ausgesprochen habe, "Es ist Brustkrebs", ist viel Zeit verstrichen. Und dann bekommt man es mit der Angst zu tun. Krebs war immer gleichbedeutend mit Tod. Vor der Chemo wurde ich dann durchgecheckt, ob noch andere Bereiche meines Körpers befallen sind. Als aber feststand, dass ich total gesund bin, außer, dass ich Brustkrebs habe, war ich super erleichtert.

Hat sich bei Ihnen gleich eine Art Kampfesgeist bemerkbar gemacht?

Ja, und zwar immer dann, wenn mir der Arzt gesagt hat: "Frau Sieckmann, so sieht es aus. Wir machen diese Behandlung, und die läuft so ab." Dann konnte ich stark sein. Aber in der Zeit, in der man keine Gewissheit hat, ist man total neben der Spur.

26, kommt aus Wietzen, Landkreis Nienburg / Weser, und zog nach ihrer Ausbildung zur Makeup-Artistin nach Hamburg. Im vergangenen Sommer erkranktet sie an Brustkrebs, die erste Chemotherapie hat sie bereits hinter sich. Nach Auskunft der Ärzte wird sie die Brust voraussichtlich behalten können, muss ab März aber noch mal bestrahlt werden. Über ihre Homepage weilduschoenbist.de vertreibt sie selbst hergestellte Haarbänder.

Wie kamen Sie auf die Idee, Haarbänder herzustellen, die man unter der Mütze oder dem Kopftuch tragen kann?

Als ich die Diagnose bekam, dachte ich anfangs, dass es für mich kein Problem sei, eine Perücke tragen zu müssen. Auf Partys hatte ich schließlich auch mal Perücken getragen. Als ich in einem Perückenstudio aber kein Modell fand, das für mein Alter angemessen war, brachte mich eine Freundin auf eine Idee. Ich könne ja auch die Haare, die ich sonst für Shootings benutze, an Mützen rannähen. Das ließ sich aber leider nicht umsetzen, da ich mir eine Sommer- und Winterkollektion und für jeden Typ Frau eine andere Mütze hätte ausdenken müssen. Ich habe dann viel rumprobiert, alle Ideen an mir selbst getestet, und bin dann schließlich auf die Idee mit den Haarbändern gekommen: Sie sind aus reiner Baumwolle und von innen gefüttert, damit es angenehm zu tragen ist.

Hat sich der Arbeitsaufwand für Sie gelohnt?

Ja, weil man mir meine Krankheit auf den ersten Blick nicht ansieht. Wer nur ein Tuch oder eine Mütze trägt, ohne dass Haare darunter hervorgucken, bei dem erkennt man die Krankheit. Man möchte aber nicht rausgehen und auf der Stirn "Krebs" stehen haben. Man möchte sich wieder ganz normal fühlen. Mit den Haarbändern und ein bisschen Makeup war ich immer inkognito draußen.

Gehen Sie auch mal ohne Haare aus dem Haus?

Am Ende der Chemo bin ich relativ schwach geworden. Da konnte ich keine zwei Schritte gehen, ohne außer Atem zu sein. In so einem Moment hat man überhaupt keine Lust, irgendwas zu machen. Wenn ich raus musste, habe ich nur eine Mütze aufgesetzt und mich noch nicht einmal geschminkt, weil ich dazu keine Kraft hatte.

Wie wichtig ist es Ihnen, dass man Ihnen Ihre Erkrankung nicht ansieht?

Es ist sehr wichtig. Man verändert sich während der Chemo total. Irgendwann musst du Kortison nehmen und gehst einfach auf. Man guckt sich im Spiegel an und denkt "Oh Gott, was ist das denn?" Wenn ich dann die Haare aufsetze, mich schminke und zurechtmache, habe ich zwar immer noch dieses Mopsgesicht, aber man fühlt sich ein Stück weit wieder so wie früher.

Haben Sie selbst viele unterschiedliche Haarbänder?

Ich habe alles: von hellblond bis dunkelbraun. Für die Fotos auf meiner Internetseite brauchte ich verschiedene Haarbänder und die hab ich auf meinen Kopf zurechtschneiden lassen. Jetzt habe ich jeden Tag je nach Outfit unterschiedliche Haare. Das ist cool.

Ihre Homepage heißt "weilduschoenbist.de". Fühlen Sie sich auch ohne Haare und Makeup schön?

Im Moment ist das ein kritisches Thema. Meine Haare wachsen zwar seit dem 9. November schon wieder, sind aber erst ungefähr drei Zentimeter lang. Sie sehen immer noch nicht so aus wie eine Frisur, die so gewollt ist. Auch durch das Kortison fühle ich mich im Moment nicht so schön. Aber das geht ja auch vorbei, irgendwann.

Was bedeutet Schönheit für Sie?

Dadurch, dass ich als Makeup-Artist arbeite, und Schönheit mein Job ist, hat sie für mich einen hohen Stellenwert. Ich weiß natürlich, dass das total oberflächlich ist, und dass es wichtig ist, dass man erst mal gesund wird. Alle Freunde, bei denen ich rumheule: "Ich bin so dick geworden! Ich sehe so scheiße aus!", sagen, das sei total oberflächlich, und mein Aussehen sei gerade total egal. Und ich weiß, dass sie damit recht haben, aber trotzdem muss man sich doch irgendwie gut fühlen.

Sie haben Videos ins Netz gestellt. Eines trägt den Titel "Schminken bei Chemotherapie", auf dem anderen sieht man, wie Sie Ihre Haare abrasieren. Wozu haben Sie diese Videos aufgenommen?

Ich habe an der Gestaltung meiner Homepage gesessen und überlegt, womit ich die Seite bestücken soll. Schnell bin ich auf die Idee gekommen, ein Schminkvideo zu machen. Dann hat mir eine Freundin geraten, ich solle doch das Video, auf dem ich mir die Haare abrasiere, online stellen, weil es bestimmt ganz vielen Frauen Mut machen kann. Am Anfang dachte ich, das sei zu privat und persönlich, bin dann aber doch dem Rat meiner Freundin gefolgt - und habe bislang nur positives Feedback bekommen.

Wie kann ein Video, auf dem man sieht, wie sich eine junge Frau, die Haare abrasiert, Mut machen?

Haben Sie sich schon mal die Haare abrasiert? Es ist total abgefahren und macht irgendwie Spaß. Ich wusste ja, dass mir zwei Wochen nach der ersten Chemo die Haare ausfallen würden. Daher war es eh egal. Als ich den Entschluss gefasst hatte, mir den Kopf zu rasieren, konnte ich mir die Haare schon in Büscheln rausziehen. Ich glaube aber, dass ich grundsätzlich eher ein positiver Mensch bin, der versucht, positiv zu denken.

Sie befinden sich immer noch in Behandlung. Haben Sie nicht selbst auch noch mal Angst?

Immer wieder. Gerade gestern erst. Man bricht immer mal wieder ein. Und man hat, gerade zum Ende der Behandlung hin, Phasen, in denen die Nerven einfach blank liegen und man will, dass es endlich vorbei ist. Vor meiner letzten Operation sollte ich noch einmal durchgecheckt werden. Da hatte ich wieder große Angst, dass die irgendwas finden.

Haben Sie sich seit Ihrer Erkrankung verändert?

Man wird aus dem Leben herausgeschmissen und fragt sich "Warum habe ich das bekommen?" Ich überlege, ob bei mir vielleicht Stress der Auslöser war. Also habe ich versucht, entspannter zu werden. Ich habe vorher sehr viel gearbeitet. Wenn ich einen Job reinbekommen habe, aber eigentlich meine Eltern besuchen wollte, habe ich mich für den Job entschieden. Seit meiner Behandlung sage ich jetzt auch mal Jobs ab. Das hätte ich vorher nie gemacht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.