Jüdische Geschichte: Parkplätze statt Synagogen
Eine Ausstellung in Potsdam beschäftigt sich mit jüdischem Leben in der Region. Dass sie mit wenigen Exponaten auskommen muss, ist Teil der Geschichte.
Das Thorafragment ist in einer Mopedwerkstatt aufgetaucht, den Koscherstempel kramte ein älterer Herr aus seiner Schublade: Gut ein Jahr lang recherchierten Studierende der Universität Potsdam in Zusammenarbeit mit dem Moses Mendelsohn Zentrum nach Zeugnissen jüdischen Lebens in Brandenburg. Sie haben Archive von Städten und Dörfern gesichtet, mit Bewohnern gesprochen und Geschichten gesammelt. Dass die Ausstellung „Synagogen in Brandenburg – eine Spurensuche“ trotzdem nur wenige Exponate zu zeigen hat, ist Teil der Geschichte.
Vergessen und verschollen
Denn vieles vom einst regen jüdischen Leben in Brandenburg bleibt vergessen und verschollen. Bis in die 1930er Jahre standen in mehr als 50 Ortschaften Synagogen oder Häuser jüdischen Gemeindelebens. Bereits im Mittelalter fanden meist in privatem Rahmen jüdische Gottesdienste statt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden erstmals sakrale Stätten. Sie waren dem Leiter des Moses Mendelsohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Uni Potsdam (MMZ), Julius Schoeps, zufolge „schlichte Bauten eines angepassten Judentums, rational und bescheiden“.
Ausstellung „Synagogen in Brandenburg – auf Spurensuche“ bis 17. Juni 2012 im Haus der-Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Kutschstall, Am Neuen Markt 9, 14467 Potsdam. Öffnungszeiten: Di.–Do. 10–17, Fr. 10–19, Sa./So. 10–18, an Feiertagen 10–18 Uhr.
Tel. (03 31) 6 20 85-50 www.hbpg.de
Einige der Gebäude wurden nach nur wenigen Jahrzehnten wegen Abwanderung der Gläubigen aufgegeben. Die meisten Synagogen setzten die Nationalsozialisten in der Reichspogromnacht 1938 in Brand. Doch auch nach 1945 sollten die ehemaligen Stätten jüdischen Gemeindelebens der kollektiven Erinnerung entzogen werden und in Vergessenheit geraten.
Dementsprechend existieren kaum Belege für die Bauten. Die Schau im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) in Potsdam präsentiert erstmals Zeugnisse von 44 Orten – ob Synagogen, Bethäuser oder Privatwohnungen als Treffpunkte des religiösen Zusammenlebens. Auf Farbtafeln sind die Orte daneben zu sehen, wie sie sich präsentieren – als überaus gewöhnliche Ansichten: Brachen mit Parkschild, Neubaublocks, Einkaufszentren, Einfamilienhäuser am Straßenrand. „Dabei macht man die Entdeckung, dass die Orte der Synagogen im heutigen Stadtbild auf erschreckende Weise nicht präsent sind“, sagt der Leiter des HBPG, Kurt Winkler. „Es wird einem bewusst, wie Geschichte auch getilgt werden kann.“ Oder, wie es der Historiker Schoeps ausdrückt: „Das Problem in Deutschland ist, dass dort, wo Synagogen standen, heute Parkplätze sind.“
Schoeps sieht in der Ausstellung folglich die Möglichkeit, Wissen über jüdisches Leben in der Region zu vermitteln. Gerade in der angespannten Diskussion über den Neubau der Synagoge in Potsdam (taz berichtete) sei dies wichtig. Nach heftigen Kontroversen um den Entwurf des Architekten Jost Haberland wurde im vergangenen Jahr ein Baustopp verhängt für die Synagoge, die eigentlich im April dieses Jahres fertiggestellt sein sollte. „Vielleicht hilft die Beschäftigung mit der Geschichte bei der hitzigen Debatte“, hofft Schoeps. Hier werde schließlich nichts gänzlich Neues geplant, sondern an Geschichte angeknüpft.
Meilenstein der Gleichstellung
Schoeps verweist darauf, dass die Idee zur Ausstellung bereits im April 2009 aufkam, als die ersten Architekturentwürfe im Gewölbe des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte gezeigt wurden. Eigentlicher Anlass aber ist das sogenannte Emanzipationsedikt vom März 1812, mit dem Juden in Preußen erstmals das Staatsbürgerrecht erhielten. Diesem Meilenstein der Gleichstellung zwischen Preußen und Juden widmet sich eine zweite Ausstellung im Haus, die die Auswirkungen des Gesetzes exemplarisch am Leben der Familie Lesser betrachtet.
Ab Sommer soll „Synagogen in Brandenburg“ als Wanderausstellung an verschiedenen Orten gezeigt werden. Die Kuratorin Elke-Vera Kotowski hofft, dabei weitere Zeugnisse jüdischen Lebens aufzuspüren. Dafür will sie auch die Bevölkerung zum Mitmachen aufrufen. „Ich bin mir sicher, dass es an jedem Ort irgendein Exponat gibt.“ So vermuten die Historiker etwa auch ehemalige Synagogen in Bad Wilsnack, Fürstenberg oder Ziesar. Bislang fehlen jedoch eindeutige Quellen.
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