Blogforscher über Bürgerjournalismus: „Geschlagen werden gehörte dazu“

Die Aktivisten von „Global Voices“ beobachten und dokumentieren internationale Blogs. Der Leiter Ivan Sigal sprach auf der Bloggerkonferenz re:publica über Internetzensur.

Die Blogger-Messe lädt zur Diskussion über Netzpolitik ein, so sprachen wir mit Ivan Sigal. Bild: dpa

taz: Herr Sigal, auf Global Voices werden Blogeinträge und Berichte von Bürgerjournalisten aus aller Welt zusammengetragen – vor allem aus Entwicklungsländern oder Nationen, die in den Nachrichten wenig präsent sind. Wie genau arbeiten Sie?

Ivan Sigal: Wir beobachten die Blogosphäre in ihren lokalen Sprachen, lesen und analysieren sie. Teile und Auszüge der interessantesten Berichte übersetzen wir in andere Sprachen – mit Hilfe unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter. Und wir betten die Aussagen und lokalen Blogeinträge von Leuten aus bestimmten Regionen, in Geschichten ein – um sie auch für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen.

Was ist ihr Ziel?

Anfangs lag unser Fokus darauf, zu verändern, wie Entwicklungsländer durch die Art und Weise, wie über sie berichtet wurde, im Westen wahrgenommen wurden. Jetzt interessiert uns mindestens genauso sehr, Informationsflüsse in viele Länder sicherzustellen. Dafür zu sorgen, dass eine Nachricht aus Venezuela den Weg nach Madagaskar findet oder aus China es bis nach Ägypten schafft.

Warum ist das für Sie von Bedeutung?

seit 2008 Leiter von Global Voices, einem internationalen Netzwerk von Bloggern und Bürgerjournalisten, das Blogs auf der ganzen Welt beobachtet und übersetzt. Gegründet wurde es 2004 als gemeinnütziges Projekt von den renommierten US-Forschungseinrichtungen Berkman Center und der Harvard Law School. Das Projekt wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Weltweit arbeiten über 300 Menschen an dem Projekt mit.

Darüber entscheiden die Leute, die bei uns freiwillige Arbeit leisten, nicht ich. Wenn sie etwas schreiben oder etwas übersetzen, dann ist es offensichtlich von Interesse – sonst würden sie es nicht tun.

Viel Aufmerksamkeit hat Global Voices durch den arabischen Frühling erhalten. Der Internetforscher Evgeny Morozov warnt, dass das größere Gewicht von sozialen Netzwerken und Kommunikation via Internet zu verstärkter Internetzensur und -repression in autoritären Systemen führt.

Die Linse, durch die Evgeny das betrachtet, ist komplett verkehrt. Es geht nicht darum, das Internet als Subjekt zu betrachten und die Leute als Objekte. Sondern anders herum.

Doch tatsächlich ist es für Menschen in vielen Teilen der Erde einfach gefährlicher geworden, online zu berichten.

Es gibt Leute, die bereit sind, ein Risiko einzugehen. Erinnern Sie sich an die Solidarnosc-Bewegung in Polen: Wenn Sie da nicht ins Gefängnis kamen, dann galten Sie gar nicht als echter Aktivist. Zusammengeschlagen werden gehörte einfach dazu. Woher kommt diese Bewertung her – und welches Recht habe ich, mir ein Urteil darüber zu erlauben? Mir geht es darum, dass die Leute, wenn sie ihre Entscheidungen treffen, so gut wie möglich über potentielle Konsequenzen informiert sind – und auf Basis dessen entscheiden können.

Seit dem Arabischen Frühling hat sich auch die Wahrnehmung von Bürgerjournalisten durch die Massenmedien stark verändert – so ist es heute ganz selbstverständlich, dass Nachrichtensender Bildmaterial zeigen, das Amateure mit ihren Smartphones gefilmt haben. Eine positive Entwicklung?

Wenn es darum geht, dass ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, wie man seine Nachrichtenquellen diversifiziert und sich darum kümmert, sie zu verifizieren – dann ist das sicher eine nützliche Entwicklung. Anzuerkennen, dass andere Stimmen eine wichtige Rolle spielen – besonders bei Augenzeugenberichten – das verändert sicherlich die Rolle des Journalisten. Wichtig ist es doch, zu merken, dass Journalisten in einigen Fällen nicht mehr die alleinigen Gatekeeper für bestimmte Informationen sind.

Sie sagen ja auch: Von Occupy bis hin zu Anonymous ist derzeit erkennbar, dass die Menschen die Notwendigkeit von hierarchischen Strukturen ablehnen. Warum ist das derzeit so populär?

Weil uns die Technologie erlaubt, uns Ideen, die anderswo kursieren, zu eigen zu machen. Im digitalen Raum zählt Leistung, nicht Verhalten. Es ist völlig egal, ob Sie oder ich etwas tun – jemand tut es. Ich lerne von einer Idee, die sich durch einen Raum bewegt. Dieser Raum benötigt keine Führungspersönlichkeit, keine Hierarchie. Dieser Raum erfordert neue Formen der Beziehungen zu einander. Und das ist es, womit diese Gruppen spielen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.