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Kommentar DickeDas Klischee vom gemütlichen Dicken

Kommentar von Heiko Werning

Für Übergewichtige ergreift niemand Partei. Dabei sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, Übergewichtige nicht zu diskriminieren: Sie haben schon schwer zu tragen.

M an stelle sich vor, ein mäßig begabter Liederschreiber würde einen Song aufnehmen, in dem er ein negatives Vorurteil über Schwule an das nächste reihte und zum Schluss blökte: Na, du schwule Sau? Viel mehr als eine Mitgliedschaft bei der Piusbruderschaft wäre wohl nicht für ihn drin.

Marius Müller-Westernhagen hat es mit genau dieser Masche zum Kultsänger gebracht. Klar, das sollte irgendwie ironisch gemeint gewesen sein. Und überhaupt findet es kaum jemand diskriminierend, Dicke anzugreifen. Das Vokabular dafür lautet „hänseln“. Wer spräche von Hänseln, würde ein Dunkelhäutiger als Neger verunglimpft?

Auch in sich emanzipatorisch empfindenden linken Kreisen gibt es keinerlei Bedürfnis, für Übergewichtige Partei zu ergreifen, im Gegenteil: Von der „fetten Sau“ zum „dicken Bonzen“ ist es nur ein Mopssprung. Auf der anderen Seite des Spektrums durfte in der Welt kürzlich der Bioethiker Peter Singer Dicke als gemeinschaftsschädigende Lebensform geißeln, die dem stählernen Volkskörper eine Wampe wachsen lässt und seine Wirtschaftskraft schwächt.

Bild: Wolfgang Borrs
Heiko Werning

ist Autor der taz und ist Autor der Berliner Lesebühnen „Brauseboys“ und „Reformbühne Heim und Welt“.

Singer, der Menschenrechte für Menschenaffen fordert, vertritt selbst die Ideologie eines Schimpansen, der unerwünschtes Erbgut in der Sippe durch Totbeißen ausmerzt. Er fordert finanziellen Ausgleich, denn: „Fettleibigkeit führt ganz allgemein zu höheren Kosten im Gesundheitswesen.“ Und das geht natürlich nicht, da könnte die Gemeinschaft ja gleich die Behandlungskosten bei Sport- oder Autounfällen übernehmen!

Das dahinterstehende Menschenbild verdient diesen Namen nicht. Es reduziert das Individuum auf seine Verwertbarkeit für wirtschaftliche Prozesse, es bedeutet die Monetarisierung von Körper und Psyche. Der Dicke, so das übereinstimmende Empfinden von links- bis marktradikal, ist selbst schuld, er müsste ja nur mal weniger essen. Weil er das verweigert, ist er Freiwild für Herabwürdigung und absurde politische Vorschläge aller Art.

Menschen sind unterschiedlich. Und so, wie es normalerweise kein Anlass wäre, Herrn Westernhagen wegen seines Unvermögens, einen ordentlichen Liedtext zu schreiben, oder Herrn Singer wegen seiner Dummheit anzugreifen, wenn sie denn damit nur andere in Ruhe ließen, so sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, Übergewichtige nicht zu diskriminieren: Sie haben schon schwer zu tragen.

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11 Kommentare

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  • P
    petronius

    an Anton Gorodezky:

     

    "Wenn (erwachsene) Dicke nicht selbst schuld sind an ihrer Leibesfülle, wer soll es denn bitte dann sein?"

     

    und wie kommen sie jetzt auf die idee, man sei schuld(ig), wenn man dick ist?

     

    sicher hat man es zu einem gewissen grad selber in der hand, wie man gewichtsmäßig dasteht. nur geht das eben ebensowenig jemand anderen an als ob man sich die haare blod färbt oder nicht

     

    es geht nicht darum, ob dicke "selber schuld" sind (woran eigentlich?), sondern ob und welche gehässigkeiten sie sich wegen ihres gewichts anhören müssen

  • S
    Steffi

    Hihi, der Kommentar, dass Bushido mit Schwulenfeindlichkeit in der Tat genau das Gleiche gelungen ist wie Westernhagen mit Dickenfeindlichkeit ist echt der Klügste weit und breit.

  • I
    IJoe

    Es ist erwiesen, dass Übergewicht mit einer höheren Lebenserwartung einhergeht.

    Der Mensch tendiert im allgemeinen, je älter er wird, zu mehr Gewicht. Warum nur? Hat sich die Natur was bei gedacht.

    Das Gewicht ist zum großen Teil genetisch vorgegeben. Mit "Willen" oder "Sport" kann man kurzfristige "Erfolge" erzielen (Jojo-Effekt), mehr nicht. Manche werden durch Sport dicker (aber nicht unbedingt kränker!).

    Häufiger krank sind z.B. die ambitionierten Freizeitsportler. Würde jemand von denen höhere Krankenkassenbeiträge fordern? Der wäre politisch sofort erledigt.

    Der Schlankheitswahn ist ein schlimmer kollektiver Wahn.

  • O
    oranier

    " ... so sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, Übergewichtige nicht zu diskriminieren: Sie haben schon schwer zu tragen."

     

    Die Mitleidsattitüde ist nichts als die andere Seite der Diskriminierungs-Medaille.

  • AG
    Anton Gorodezky

    fun fact: der mäßig begabte Liedermacher Bushido verfasste unter anderem schwulenfeindliche Texte. Er gewann einen Bambi!

     

    Dick sein ist kein unumstößliches Schicksal. Raucher wurden auch aus Kneipen verbannt, Alkoholiker dürfen nicht mehr Auto fahren (MPU). Und so wie man mit dem Rauchen und Saufen aufhören kann, so kann man auch ein gesundes Gewicht erreichen (zugegeben: hier ist die Frage zu stellen, was individuell ein gesundes Maß ist. Das ist auch beim Rauchen und Trinken nicht anders!).

     

    Wenn (erwachsene) Dicke nicht selbst schuld sind an ihrer Leibesfülle, wer soll es denn bitte dann sein?

  • UM
    Ulli Müller

    Thema verfehlt,

    Schwulenfeindliche Diskriminierung, rassischtische Hetze in die selbe Ecke mit Witzen über Übergewichtige zu stellen, das ist Thema verfehlt.

    Sind wir Dicke (schwanke zwischen 20-30 Kilo Übergewicht) dovh emsitens zu bequem uns vernünftig zu ernähren oder auch angemessen zu bewegen.

    Aus eigener Erfhrung weiß ich, dass weniger Gewicht freier und gesünder macht.

    Ab 50 wirds mit dem Übergewicht gefährlich und erschwerlich, nicht nur beim Treppensteigen. Jeder, der zu großes Übergewicht verharmlost, macht sich (evtl.) mitschuldig an den Fleisch-Massen, die mit viel Energiezufuhr und vielen Medikamenten in diesem Land bewegt werden müssen.

  • RS
    Rainer Schütz

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Aus eigener Erfahrung

    aus meiner Tätigkeit im Krankenhaus,kann ich die negative Einschätzung der bariatrischen Chirurgie

    nicht teilen.Denn oft ist das Leben der massiv Übergewichtigen nicht nur wegen der Diskriminierung,sehr belastet,sondern Aktivitäten des Lebens,wie im Liegen schlafen,wenigstens in der Wohnung umhergehen,arbeiten,reisen sind nicht mehr möglich.Atemnot und Infekte in den Hautfalten ,Gelenkerkrankungen sind oft ständige Begleiter.Für viele Menschen in dieser Situation ist ,nach unzähligen Diätversuchen eine Operation keine Verstümmelung,sondern die einzige aussichtreiche Möglichkeit der Gewinnung von guter Lebenszeit.Ich habe schon viele Menschen kennen gelernt,die nach einer Gewichtsreduzierung von 50 kg bis 100 kg glücklicher waren als vorher.Sicherlich ist die Wahl des richtigen - und der Ausschluß von aussichtslosen Operationsverfahren die wichtigste Vorraussetzung.Doch selbst bei besten Voraussetzungen,geht ohne Ernährungsberatung und festen Willen gar nichts.

  • A
    ABCHantschke

    Ihren Kommentar hier eingeben: . . . es den Übergewichten nicht so schwer machen, weil Sie es schon schwer genug haben. AHAa - und mir (1,76m = 55kg + 54jahre) das leben nicht so leicht machen? passt blos auf Ihr . . .

  • M
    miri

    Guter Kommentar, bis auf den letzten Satz. Wieso schwer zu tragen? Ich bin auch dick, und es macht Spaß. Ich kann naschen, wenn andere Kalorien zählen, ich bin sorglos und gesund, während Dünne sich als dauerkrank empfinden und sich ständig kontrollieren und im Sportzentrum plagen, ich bin körperlich fit und habe noch kein Krankenhaus von innen gesehen, seit ich in einem geboren wurde. Außerdem, ganz wichtig: DER SEX MACHT MEHR SPAß!!!! Ist echt so. Bessere Hormone oder wasweißich. Und an Männern muss nun wirklich was dran sein. Mal ehrlich, wer will einen dünnen Mann?! So einen, wo nur Knochen sind? Igitt! Ein paar mehr Pfunde sollten da schon verteilt sein!

     

    Warum soll Essen denn schlecht sein? Wir fahren Auto, denn wir habens und können es uns leisten. Und die Autos können ruhig etwas "dicker" sein, Geländewagen und so. Wir treiben allen möglichen Luxus, denn wir habens und können es uns leisten. Das Konto darf dick sein, keiner hat was dagegen. Also warum nicht mal richtig naschen? Reinhauen beim Spargel, auch mit der Buttersoße und den Kartoffeln? Mach ich!

  • H
    Herold

    schon mal drüber nachgedacht, dass auch in unseren lebens- sowie darunter etwa essgewohnheiten sich etwas niederschlagen kann, das man mit marxens entfremdung zu greifen gewohnt sein könnte?

    man kann ja gerne mal ein wenig exzentrisch argumentieren. es sollte aber auch sauber vonstatten gehen, wozu hier etwa singer nüchterner im zusammenhang seiner arbeit dargestellt werden könnte und sich der kategorienfehler des hauptargumentationsstrangs hätte vermeiden lassen können.

    so beobachtet man den autoren bloß dabei, wie er sich aufregt, ein paar ansichten darstellt und zu einem nicht schlüssigen sowie erwartbaren fazit kommt. das hätte er aber auch in einem satz, gefolgt von einem ausrufezeichen, schneller haben können.

  • HB
    hein blöd

    anstatt aufs essen zu achten kann man es auch mal mit sport versuchen!