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Tegel II kommt pünktlich

AIRPORT-DRAMA Mai 2020: Dass der „BER“ auch 2013 nicht in Betrieb gehen würde, ahnten Experten schon früh. Die folgende Entwicklung sah aber niemand voraus. Ein Rückblick

Der Schönefelder Südpier ist heute größter europäischer Umschlagplatz für Getreide und Milchpulver

Der Chef der Berliner Flughafengesellschaft, Hartmut Mehdorn, hat bestätigt, dass das neue Terminal in Tegel wie geplant am 3. Juni eröffnen wird. „Der Brandschutz ist bereits abgenommen“, sagte der 77-Jährige bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Ursula von der Leyen (SPD) am Samstag. Die manuelle Gepäcksortierung funktioniere, die rund 650 Türbutler seien für ihren Einsatz geschult.

Mit der Eröffnung von Tegel II geht ein langes und düsteres Kapitel Berliner Luftfahrtgeschichte zu Ende, das 2012 einen unrühmlichen Höhepunkt fand: Kurz vor dem geplanten Start des „Hauptstadtflughafens Willy Brandt“ im Juni 2012 gaben die Flughafengesellschaft und der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Verschiebung auf März 2013 bekannt.

Die Schließung der Flughäfen Tegel und Schönefeld (alt) wurde gestoppt. Um die bereits geplanten zusätzlichen Flüge unterzubringen, hob die rot-schwarze Koalition das Nachtflugverbot auf. Als in der Folge wütende Anwohner über Wochen Clubs und Bars in der Berliner Innenstadt blockierten und den Wochenendtourismus aus Skandinavien und Großbritannien zum Erliegen brachten, nahm der Senat die Entscheidung zurück. Die Fluggesellschaft Air Berlin, die den neuen Flughafen als Drehkreuz hatte nutzen wollen, meldete kurz darauf Konkurs an.

Wütende Bauarbeiter

Damit geriet die gesamte Planung ins Rutschen. Mit Air Berlin verlor der Großflughafen seinen künftigen Hauptkunden, das Finanzierungskonzept platzte. Der damalige Geschäftsführer der Flughafen-Gesellschaft Rainer Schwarz musste die Insolvenz des Unternehmens verkünden, weil die riesige Immobilie mit Hypotheken belastet war. Wütende Bauarbeiter, die vergeblich auf ausstehende Lohnzahlungen warten, blockierten den Betrieb in Schönefeld (alt) und Tegel, der Flugverkehr brach zusammen. 2012 ging als „Sommer des Balkons“ in die Berliner Annalen ein – zehntausende Berliner konnten ihren Urlaubsflug nicht antreten. Die Schadenersatzforderungen stiegen auf über eine Milliarde Euro.

Die Banken forderten derweil 2,4 Milliarden Euro Kredite von den Ländern Berlin und Brandenburg zurück, die dafür gebürgt hatten. Wowereit musste für Berlin den Offenbarungseid leisten, daraufhin gerieten die Investitionsbank Berlin (IBB), die Landesbank Berlin sowie die Berliner Volksbank, die dem Flughafen Kredite gegeben hatten, in Zahlungsschwierigkeiten. Im Herbst 2012 trat Wowereit von allen Ämtern zurück.

Die Neuwahlen entschied Frank Henkel (CDU) für sich. Dass auch er im BER-Aufsichtsrat saß, wo er unter anderem für den Brandschutz zuständig war, schadete ihm nicht. Im Gegenteil: Henkel inszenierte sich als „der Mann, der den BER-Brandschutz eigenhändig fertiggestellt hätte“. Zweiter Wahlgewinner waren die Piraten. Auch deren Spitzenkandidat Gerwald Claus-Brunner punktete mit Schönefeld: Früher schon auf dem Bau tätig, legte er persönlich und öffentlichkeitswirksam bei den Rückbauarbeiten am Hauptterminal Hand an.

Kurz nach Amtsantritt verkündete der neue Regierende sein „Flughafenkonzept“: Tempelhof werde übergangsweise wieder in Betrieb genommen, statt Schönefeld Tegel ausgebaut. Die Pläne für ein zweites Terminal, so Henkel, lägen schließlich seit Jahrzehnten in der Schublade. Auf fehleranfällige und teure elektronische Lösungen solle verzichtet werden. „In Tegel gilt wieder: Mensch vor Technik“, sagte Henkel beim ersten Spatenstich im März 2013. Die Proteste der Anwohner brachte Henkel zum Verstummen, indem er an Lärmbetroffene kostenlos Kleingartenparzellen im Südosten der Stadt verteilte.

Ebenfalls im Frühjahr 2013 verkündete Etihad Airways als Hauptanteilseigner von Air Berlin, die bankrotte Fluglinie vollständig zu übernehmen, zum Drehkreuz der Airline wurde Abu Dhabi. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Eigner von Etihad, schlossen mit Senatschef Henkel und seinem frischgebackenen Potsdamer Amtskollegen Günther Jauch (parteilos) einen Deal: Sie beglichen die Schadenersatzforderungen und Altschulden der Flughafengesellschaft. Im Gegenzug erhielt ihr Ministerium für Ernährungssouveränität, das weltweit auf Standortsuche ist, rund 30 Prozent der Brandenburger Fläche für die Herstellung von Getreide und Molkereiprodukten. Der Südpier des Schönefelder Flughafens, von dem aus einst Air Berlin starten sollte, gilt heute als größter europäischer Umschlagplatz für Getreide und Milchpulver, der geplante Flughafen-Abschiebegewahrsam wurde zur Moschee.

Die schillerndste Personalie in diesem Drama ist wohl die von Udo Hansen, Sicherheitschef des Matar Sheikh Mohammed Bin Rashid Al Maktoum – so der vollständige Name des heutigen Cargo-Airports. Hansen, im Jahr 2011 als Polizeipräsident im Gespräch und vorher umstrittener EADS-Berater in Saudi-Arabien, machte seinen Ruf als Raubein zur Tugend und warb für sich mit dem Slogan „Vom Hardliner zum Airliner“. JS, KO, JOK

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