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Neues Album von Phantom/GhostAlles Parodie

„Pardon my English“ von Phantom/Ghost ist ein ironischer Abgesang an die Volkskrankheiten der Leistungsgesellschaft – und Kritik wie immer das Stichwort für Dirk von Lowtzow.

Aber hier lächeln, nein danke! Thies Mynther und Dirk von Lowtzow (rechts) sind Phantom/Ghost. Bild: Jutta Pohlmann

Und Sie? Sind sie auch manchmal grundlos traurig, niedergeschlagen, depressiv, kurz vorm Wahnsinn? Vielleicht hilft ja „Doktor Schaden Freud“. Er soll einer der besten Therapeuten sein, singt zumindest Dirk von Lowtzow auf dem neuen Album von Phantom/Ghost.

Es heißt „Pardon my English“ und ist ein ironischer Abgesang an Burnout und Blockaden, an die Volkskrankheiten im Höher-Schneller-Weiter der Leistungsgesellschaft. Dirk von Lowtzow, sonst Sänger und Gitarrist von Tocotronic und Thies Mynther, Produzent und Musiker, unter anderem bei Stella und Superpunk, machen wieder gemeinsame Sache.

Phantom/Ghost ist ihr exzentrisches Hobby, sagt von Lowtzow. Das, mit dem sie ihren schrulligen Vorlieben frönen können. Ihr erstes Album vor elf Jahren war noch dem Diskosound verpflichtet. Dann wurden sie poppig, schließlich düster. Zuletzt näherten sie sich Musicals und Showmusik an. Dabei bleiben sie nun mit ihrem fünften Album „Pardon my English“. Mynther und von Lowtzow verzichten wieder komplett auf Elektronik und setzen auf die zwei einfache Mittel: Mynther spielt Piano, von Lowtzow singt. Das hat etwas von einem Herrenabend, mit Whisky und Zigarre.

Doch um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Musicals meint nicht „Starlight Express“ oder „Cats“. Hier geht es um die zwanziger bis fünfziger Jahre am Broadway und um deren Vorläufer, die Operetten. „Pardon my English“ ist eine Hommage an das gleichnamige Musical von George und Ira Gershwin aus dem Jahr 1933. Musikliebhaber würden da oft abwinken, sehr zu Unrecht, wie von Lowtzow sagt. „Viele verkennen, was für eine subversive Form die Operette war. Da wurden schon Ende des 19. Jahrhunderts Themen behandelt, wie Genderfragen und Kritik an der herrschenden bürgerlichen Moral.“

Bild: taz

sonntaz

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Kritik ist das Stichwort für Dirk von Lowtzow. Für Tocotronic schrieb er Zeilen wie „Pure Vernunft darf niemals siegen“ oder „Aber hier leben, nein danke“. Seitdem lässt man sich von ihm gern die Welt erklären: Was macht eigentlich der Antisemitismus in Deutschland, Herr von Lowtzow?

„Ich bin Künstler, kein Politiker“

„Diese Fragen finde ich dermaßen blöd. Ich bin Künstler, kein Politiker. Meine Texte sind nicht mehr oder weniger politisch als die anderer Künstler auch.“ Natürlich ist das Koketterie. Und man hätte doch zu gern gewusst, was das Gema-Mitglied Dirk von Lowtzow zum Thema Urheberrecht zu sagen hat.

Von Lowtzows Texte lassen sich fast immer politisch lesen. Auch auf „Pardon my English“ gibt es diese Momente: „We live in universal prostitution, excess is mediocrity“ („Wir leben in universeller Prostitution, Exzess ist Mittelmaß“), singt von Lowtzow in „Universal Prostitution“. Das Individuum unter permanentem Druck, sich zu verwerten, bis selbst der Exzess nur noch Durchschnitt ist. Was ist das, wenn nicht Kritik an den Leistungsansprüchen des neoliberalen Kapitalismus?

Aber es sind wenige Stellen, an denen die Ernsthaftigkeit des Albums textlich so deutlich hervortritt. Operetten dienten auch deswegen als Vorlage, weil sie viel Humor haben, sagt von Lowtzow. Gerade in den britischen Operetten entdeckt er Monty-Python-artige Komik, verbunden mit schwuler Ästhetik, die er für Phantom/Ghost als „interessante Forschungsfelder“ definiert.

Kitsch und Theatralik

Mynther und von Lowtzow spielen mit dieser Ästhetik, mit Inszenierung, Kitsch und Theatralik. Von Lowtzows Bariton-Gesang schwebt oft hoch über dem Klavierspiel und klingt dadurch gekünstelt und ironisch. Seine schwülstige Intonation, die übertriebene Betonung – alles Parodie, sagt er.

„Wir sind uns der Lächerlichkeit und der Übertreibung in unserer Musik bewusst. Aber Witz ist uns wichtig.“ Mynther zeigt unprätentiös, wie gut er seinen Flügel beherrscht. Er spielt oft aufbrausend, als sei es ein Soloalbum mit Werken für Klavier.

Das wird besonders deutlich in den drei Instrumentalstücken „Pardon my English 1–3“. In den restlichen Titeln komplettieren zeitweise ein Cello, eine Posaune, ein bisschen Percussion-Klimbim und die Sängerin Michaela Meise die Arrangements. So könnte die Band auch als Kleinkunst-Ensemble auftreten. Vorausgesetzt, von Lowtzow hat seine Meinung geändert. Vor 16 Jahren sang er mit Tocotronic: „Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“. Aber vielleicht ist das Teil der Parodie.

"Pardon My English" (Dial/Kompakt/Rough Trade)

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1 Kommentar

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  • HF
    Hi Freaks

    Witzig, der rechte Man hat ja nen Bart und sieht aus wie ein Neuköllner und zudem 20 Jahre älter aus, als er ist, obwohl er zwanzig Jahre älter als der Neuköllner ist.