50 Jahre Bob Dylan: Gegen den Wind

Vor 50 Jahren nahm Bob Dylan „Blowin in the Wind“ auf. Das Lied wurde zur Protesthymne, der Sänger zur Legende. Beide sind immer noch auf Tour.

21 Jahre jung, mit der obligatorischen Zigarette: Bob Dylan. Bild: reuters/John Cohen

In „Gerde’s Folk City“, in der 11 West 4th Street, Manhattan, New York City, stand am 16. April 1962 ein 20 Jahre alter junger Mann auf der Bühne. Er spielte eine mit Stahlsaiten bespannte akustische Gitarre, um seinen Hals hing eine Mundharmonika.

„Wie eine Kreuzung aus Chorknabe und Beatnik“, beschrieb ihn Robert Shelton, der Folkexperte der New York Times, „mit seinem engelhaften Gesicht und dem dichten, widerborstigen Haarschopf, den er zum Teil mit einer schwarzen Huckleberry-Finn-Cordmütze bedeckt.“ Der Journalist mokierte sich zwar freundlich über das Outfit von „Mr. Dylan“, hatte aber keinen Zweifel daran, dass dieser „vor Talent aus allen Nähten platzt“.

Bob Dylan, eigentlich Robert Allen Zimmerman aus Duluth, Minnesota, spielte an diesem Abend zum ersten mal öffentlich einen Song, den er gerade geschrieben hatte. Bevor er ihn anstimmte, sagte er noch: „This here ain’t a protest song or anything like that because I don’t write protest songs.“

Dann sang er mit schnarrender, durchdringender Stimme zu simplen drei Harmonien: „How many roads must a man walk down, before you can call him a man. Yes, ’n’ how many seas must a white dove sail, before she can sleep in the sand? Yes, ’n’ how many times must the cannonballs fly, before they’re forever banned? The answer, my friend, is blowin’ in the wind, the answer is blowin’ in the wind.“

Niemand konnte an diesem Abend im Folk City ahnen, dass dieser Song ein Jahr später um die Welt gehen und zu einer Hymne der Bürgerrechtsbewegung werden würde, zu dem Protestsong der 1960er Jahre schlechthin. Niemand konnte sich vorstellen, dass er bald an ungezählten Lagerfeuern nachgesungen und von Dutzenden Sängerinnen und Sängern interpretiert werden würde – von Marlene Dietrich zum Beispiel, von Elvis Presley, Neil Young, Bruce Springsteen, Ziggy Marley.

Ausnahmemusiker

Noch weniger ließ sich im Frühjahr 1962 absehen, dass Bob Dylan fünfzig Jahre später zu einer Ausnahmeerscheinung der populären Musik des 20. Jahrhunderts avanciert sein würde, mit immensem Einfluss auf viele, auch viel jüngere Musikerinnen und Musiker.

Ein paar Wochen nach der Premiere im Folk City veröffentlichte die von dem Folksänger Pete Seeger begründete Zeitschrift Broadside den Text von „Blowin’ in the Wind“. Dylan hatte ihn in zehn Minuten in einem Café in der McDougal Street in Greenwich Village geschrieben; er dichtete schließlich noch eine weitere Strophe, die er zwischen die beiden ursprünglichen setzte. Die Melodie lehnte sich an ein altes Spiritual von Schwarzen über die Sklaverei an: „No more auction block“.

Exakt heute vor 50 Jahren, am 9. Juli 1962, nahm Dylan dann in den Columbia Recording Studios in 799 Seventh Avenue „Blowin’ in the Wind“ auf, dreimal; der dritte Take, zwei Minuten und 48 Sekunden lang, wurde später veröffentlicht.

Es dauerte allerdings noch ein ganzes Jahr, bis das Lied im Juli 1963 als Single und auf Dylans zweitem Album, „Freewheelin’ Bob Dylan“, erschien. Und für den Erfolg des Songs sorgte auch zunächst nicht sein Autor, sondern das Folktrio Peter, Paul and Mary. Die kommerziell erfolgreiche Gruppe nahm eine Coverversion auf, die es bis auf Platz 2 der US-Pop-Charts schaffte. Innerhalb einer Woche wurden an die 300.000 Singles verkauft.

„Bob Dylan“, sein erstes Album, war ein Flop gewesen, doch die zweite LP, die auch den Klassiker „Don’t think twice“ enthielt, feierten die Kritiker. Die Journalisten verpassten Dylan das Label „die Stimme einer Generation“. Gemeint war die Generation der Kriegskinder, die Gleichheit verlangten, Gleichheit der Rassen wie der Geschlechter.

Journalistenfeind

Dylan passte diese Schublade überhaupt nicht. Er entwickelte schnell eine Abneigung gegen Journalisten etablierter Medien, wollte sich nicht festlegen lassen. Nicht zuletzt deshalb äußerte er sich höchst widersprüchlich über seine Musik.

Dem Folkmagazin Sing Out! erklärte Dylan, dass Liedermacher soziale und politische Themen behandeln müssten. „Es gibt andere Dinge in der Welt als Liebe und Sex“, sagte er. „Wir sollten diesen nicht den Rücken zukehren, weil sie nicht schön anzuschauen sind. Wie soll die Welt jemals besser werden, wenn wir Angst haben, auf diese Dinge zu blicken.“

Als am 28. August 1963 die Bürgerrechtsbewegung zu einem Sternmarsch nach Washington aufgerufen hatte, war er mit seiner politisch aktiven Freundin Joan Baez dabei. In der Menge von rund 200.000, die für die Gleichberechtigung der Schwarzen, gegen Segregation und Rassismus demonstrierten, hörte er Martin Luther King zu, als dieser seine bewegende „I have a dream“-Rede hielt. Dylan sang „Blowin’ in the Wind“; der Song war, wie „We Shall Overcome“, zu einer politischen Hymne geworden.

Zwei Jahre später allerdings erklärte Dylan: „Songs aren’t going to save the world.“ Zu diesem Zeitpunkt schrieb er Texte mit einem leicht surrealen Einschlag und veröffentlichte den Song, den Musikjournalisten mehrfach zum größten Song aller Zeiten gewählt haben: „Like a Rolling Stone“.

Dylan hatte die akustische Gitarre – zur Empörung vieler seiner Anhänger – gegen eine elektrische ausgetauscht, aber wandte sich schließlich, als die Popmusik 1968 psychedelisch wurde, der Countrymusik zu. Ab Mitte der 1970er Jahre machte Dylan einen langsamen und langen künstlerischen Abstieg durch, den er erst im September 1997 mit der CD „Time Out of Mind“ endgültig beendete.

Nun sang ein alter, einsamer Mann, der zu viel gesehen hat, der seinem Tod entgegensieht: „When you think you’ve lost everything, you find out you can always lose a little more.“

New Yorker Hipster

Bob Dylan ist zu einer Legende geworden, zu einer Figur, wie sie die populäre Musik außer ihm nicht kennt. Seine fortdauernde Faszinationskraft liegt zum einen in seinen intelligenten und poetischen Texten. Zum anderen ist Dylan als New Yorker Hipster in den frühen 1960er Jahren, mit Sonnenbrille und Röhrenhosen, meist eine Zigarette in der Hand oder im Mund, das Sinnbild des coolen Künstlers. In der Zeit, als er von der Arroganz der Adoleszenz beseelt war und den Beatles das Kiffen beibrachte, wurde er zum bis heute gültigen Prototyp des modernen Bohemien.

Schon immer verehrten ihn viele seiner Kollegen. Jimi Hendrix trug stets ein Dylan-Songbook mit sich herum; er sei der „Picasso of song“ sagte Leonard Cohen. Als vergangenes Jahr für den 50. Geburtstag von Amnesty International eine Platte mit 76 Dylan-Songs produziert wurde, sangen auch Künstlerinnen Covers, die seine Enkelinnen sein könnten: Natasha Bedingfield, Miley Cyrus und Adele.

Für die Signifikanz von Dylan spielt eine große Rolle, dass er aus einer jüdischen Familie kommt, seine Großeltern aus Odessa und dem Baltikum vor Pogromen nach Amerika geflohen waren. Diese Wurzeln führten ihn zur Rolle des einsamen Außenseiters, des Outlaws, Moralisten und Märtyrers. Nie hat er sich vom Establishment vereinnahmen lassen, immer ist er der Künstler geblieben, der Lieder über die Gestrandeten und Gescheiterten schreibt und singt.

Jenseits der Musik ist es Dylans beständiges Spiel mit Identitäten, das ihn zeitlos modern macht. Nach der Devise des von ihm verehrten französischen Dichters Arthur Rimbaud „Ich ist ein anderer“ nannte er sich Elmer Johnson, Lucky Wilbury oder Jack Frost.

Viele von denen, die für die Kreativitätsexplosion der sechziger Jahre in der Popmusik sorgten, sind schon lange tot: Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, John Lennon. Viele Überlebende, zum Beispiel Mick Jagger, haben sich durch die Unfähigkeit, ihr Altern zu akzeptieren, lächerlich gemacht.

Manischer Musiker

Bob Dylan ist ein distinguierter alter Herr – und ein manischer Musiker. Sein Werk umfasst 58 Alben und mehr als 600 Songs. Seit 1988 gibt er rund hundert Konzerte im Jahr, auf der weltumspannenden sogenannten Never Ending Tour.

Damit hat er sich die Stimme ruiniert, die längst klingt, als käme sie aus der Tiefe des Grabes. Die Bühne sei für ihn, sagt er, „der einzige Ort, an dem ich glücklich bin.“

So wirkte er auch, als er am Montag der vergangenen Woche mit seiner Band in Berlin auftrat. Entspannt und gelegentlich sogar lächelnd spielte er Songs aus fünf Jahrzehnten. Und als Zugabe? „Blowin’ in the Wind“. Zum 1.081. Mal gab er das Lied bei einem Konzert zum Besten.

Er stellte nur kurz die Band vor und sprach ansonsten auf der Bühne, wie üblich, kein Wort; entsprechend seiner Überzeugung: „The songs are the stars of the show, not me.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.