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Kommentar BiospritPopulismus aus den richtigen Gründen

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Hungerbekämpfung ist wichtiger als Klimaschutz: Darauf lässt sich die Debatte um Biosprit reduzieren. Doch wer Hunger bekämpfen will, muss auch das Klima schützen.

H ungerbekämpfung ist wichtiger als Klimaschutz. Auf diese simple Formel lässt sich die Debatte um Biosprit in Deutschland reduzieren. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) hat die Diskussion angestoßen.

Die Gefahr ist zwar groß, dass mit simplen Bildern Ökopopulismus betrieben wird: Dieses Kind in Afrika hungert, weil dieser reiche Pinkel Biosprit in seinen Sportwagen kippt. Doch egal, ob Niebel lediglich der FDP ein menschlicheres Antlitz verpassen will: Er spricht das Richtige an.

Damit erschöpft sich das Lob allerdings. Denn wer den Hunger wirklich bekämpfen will, muss das Klima schützen, Kriege verhindern, Spekulationen auf Nahrungsmittel eindämmen, der muss dafür sorgen, dass hoch subventionierte EU- und US-amerikanische Agrarprodukte nicht Bauern in armen Ländern in den Ruin treiben. Der muss verhindern, dass diesen Menschen von Großkonzernen der Grund und Boden weggekauft wird, um sie danach als Lohnsklaven auf ihren Feldern schuften zu lassen.

taz
INGO ARZT

ist Redakteur des taz-Ressorts Wirtschaft und Umwelt.

Der Kampf um eine bessere Welt wird aber an der drohenden Hungerkrise nichts ändern. Die muss in den gegebenen Strukturen gelöst werden. Dürren führen dazu, dass Getreidepreise steigen. Das führt zu Hunger an Orten, die man nicht genau lokalisieren und denen man deshalb nicht einfach einen Lkw mit Mehl vorbeischicken kann. Stattdessen leben überall einzelne Familien in Armut. Der Hunger ist diffus, wie ein metastasierender Tumor. Also müssen die Börsenpreise für Lebensmittel runter.

Dummerweise hat die EU in Sachen Biosprit eine starre Regelung. Es gibt keinen Notfallplan, der vorsieht, im Falle explodierender Preise für Grundnahrungsmittel kurzfristig Lebensmittel nicht mehr in den Tank zu stecken, um Märkte zu beruhigen. Es rächt sich jetzt, dass nur interveniert wird, falls Zinsen für Staatsanleihen steigen. Übrigens: Bis 2020 will die EU doppelt so viel Biosprit wie heute. Wo der angebaut werden soll, weiß bisher niemand.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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11 Kommentare

 / 
  • NE
    noch einfacher

    Auto abschaffen !

     

    Schont das Klima UND es bleibt mehr Fläche für Gemüseanbau zum Essen.

     

    Ob die Veganer dann allerdings noch den Weg zum Bioladen schaffen, bleibt abzuwarten.

  • AG
    Andrè Gaufer

    Keine Rendite auf Kosten der Ärmsten

    Jeder kann auf Geldanlagen verzichten, die Mensch und Umwelt schaden! Keiner braucht Finanzprodukte, die auf Kosten der Ärmsten mit Nahrungsmitteln spekulieren! Dafür setzt sich die Initiative handle-fair.de ein!

  • T
    TST

    Wer den Hunger bekämpfen will sollte vor allem Vegetarier werden. Alleine durch den zusätzlichen Fleischkonsum des letzten Jahres wurden mehr Nahrungsmittel vernichtet (aus den Entwicklungsländern nach Europa verschifft und hier in Gülle verwandelt) als durch die Erzeugung von Biosprit. Wohlgemerkt nur dadurch was wir MEHR an Fleisch in nur EINEM Jahr erzeugt haben.

     

    Übrigens wird auch mehr Ackerfläche zum Anbau von Blumen verschwendet als für Biosprit.

     

    Biosprit ist derzeit von der Menge her einfach unbedeutend. Der nächste Schritt wird sowieso die Erzeugung aus Algen sein. Da werden dann keine Nahrungsmittel mehr verwendet.

     

    Nicht zu Letzt erzeugen wir Hunger dadurch, dass wir unsere Agrarüberschüsse subventioniert nach Afrika verschenken und dort die Landwirte ruinieren.

    Aber gut das wir unser Gewissen dadurch beruhigen, dass wir dann ein Paar Säcke Mais dorthin schicken.

  • P
    Paul

    "Denn wer den Hunger wirklich bekämpfen will, muss das Klima schützen, Kriege verhindern, Spekulationen auf Nahrungsmittel eindämmen, der muss dafür sorgen, dass hoch subventionierte EU- und US-amerikanische Agrarprodukte nicht Bauern in armen Ländern in den Ruin treiben..."

    Alles richtig, nur die Menschen, mit denen das möglich ist, GIBT ES NICHT! Ich kann sie, bis auf die Ausnahmen, nicht finden.

    Wird die Autoproduktion runtergefahren?

    Fliegen weniger Flugzeuge?

    Fahren weniger Kreuzfahrtschiffe?

    Wird weniger Plaste, die ja oft in den Ozeanen landet, produziert?

    Ist ein Bedürfnis nach einem solidarischen, ehrlichen Leben im menschheitlichen Sinne im Wachsen begriffen?....

    Ich müßte da was verpaßt haben.

     

    40-50% der Fleischproduktion in D werden weggeworfen. Das ist nur eine der aktuellen Horrorzahlen. Stört das den unmündigen Verbraucher? Hat das irgendeinen Einfluß auf das Verhalten?

     

    Bevor der Hunger nicht massiv die Mittelschichten in den reichen Ländern erreicht hat, wird nichts Nennenswertes geändert werden. Das scheint mir, wieder mal, die bittere Wahrheit. Wann in der Geschichte gab es denn schon mal erfolgreiche, zielgerichtete Aktionen gegen den Hunger? Und nicht nur diese Getreidenotlieferungen aus den Überschüssen? Hat "die Börse" jemals auf ein Geschäft zugunsten Benachteiligter verzichtet?

     

    Und überhaupt:Wo liegt denn Afrika?

  • T
    Thorben

    Wer Hunger und Klimanwandel bekämpfen will, muss auch und insebsondere über Geburtenplanung/reduzierung reden.

  • B
    Bitbändiger

    Da hat er mit seinen N(i)ebelkerzen ja schwer gepunktet, der Herr Entwicklungsminister. Und damit von den von Ingo Arzt zutreffend geschilderten Hauptursachen der Verknappung, gegen deren Bekämpfung Niebels FDP hinhaltenden Widerstand leistet, wirksam abgelenkt: Spekulation, Klimawandel und Überindustrialisierung der Landwirtschaft.

     

    Natürlich kann man hier und heute auch die Agrospritproduktion verantwortlich machen, vor allem, wenn sie brutal und umweltzerstörend betrieben wird wie z.B. in Indonesien. Die Menschheit wird aber kurz über lang nicht umhin kommen, die globalen Anbaukapazitäten auf Ernährung UND Energie-/Treibstofferzeugung zu verteilen: So sind z.B. elektrobetriebene Flugzeuge und Schiffe Illusion, und auch der Bodenverkehr wird bei der Elektromobilität an harte physikalische Grenzen stoßen. Wenn die fossilen Reserven in absehbarer Zeit zu Ende gehen, wird die Menschheit entscheiden müssen, ob sie (unter Einsatz von Ochsenpflügen) 9 Milliarden Fußgänger ernähren will oder 2 Milliarden (für mehr wird's nicht reichen) in etwa den erreichten Standard erhalten kann. Mit anderen Worten: Das Dauergejammer über sinkende Geburtenraten muss endlich aufhören.

  • GR
    Gerhard Roth

    Die Fakten zu Biosprit sind ganz eindeutig:

    Energie vom Acker ist CO2-negativ und völlig ineffizient. Das hat nicht zuletzt die Studie der Leopoldina (die TAZ hat darüber berichtet), auf die Niebel sich beruft, belegt. Deshalb lautet die Alternative nicht Klimaschutz oder Hungerbekämpfung. Sondern Schluss mit dem Irrsinn der Energiepflanzen vom Acker für die Industrie.

    Die Haltung der Zivilgesellschaft ist deshalb auch eindeutig. Vom Bündnis "Meine Landwirtschaft" bis zu Foodwatch.

    Die Alternativen sind klassische Erneuerbare mit mehr als der 10fachen Effizienz aller Energiepflanzen samt erneuerbarem Wasserstoff.

  • E
    einfach...

    ... kein Fleisch essen

  • R
    Ralph

    Vielleicht kapiert ja jemand bis 2020, daß Biosprit der Umwelt eher schadet, als das er nützt. Dank Monokulturen, Produktion und faktisch nicht vorhandenem Wirkungsgrad des Treibstoffes kann die ganze Chose - nur im Hinblick auf den Umweltschutz - eigentlich nur als Farce oder Augenwischerei bezeichnet werden, längerfristig machen wir uns besagte Umwelt damit noch viel mehr kaputt.

     

    Von den verlorenen Anbauflächen für Eßbares und den im Namen des Umweltschutzes abgerodeten Wäldern reden wir da noch gar nicht.

     

    Leute, wacht auf! Nicht überall, wo Bio draufsteht, ist auch Gesundes drin.

  • J
    jegg

    Hungerbekämpfung ist wichtiger als Klimaschutz: Darauf lässt sich die Debatte um Biosprit reduzieren. Doch wer Hunger bekämpfen will, muss auch das Klima schützen.

     

    Falsch!

    Bioprit/Energie aus "Früchten" ist immer ein Verbrechen!

    Aus Abfällen O.K.

    Mit solchen Artikeln wird nur eine Nebelgranate geworfen - anstatt ein benanntes Problem zu akzeptieren wird in alle Richtungen "haltet den Dieb" gerufen.

  • H
    Helge

    Wie wäre es mal mit Fakten statt mit Populismus. Einige Fragen dazu:

    - Wieviele Tonnen Brot werden jeden Tag allein in D weggeworfen? (m.W. mehr als 1.000 Tonnen! Jeden Tag im Jahr!!)

    - Wieviele Tonnen Lebensmittel werden insgesamt jeden Tag in D weggeworfen (Es geisterte mal die Zahl 11 Mio.Tonnen durch die Medien. Wenn das stimmt, sind es rund 30.000 Tonnen pro Tag).

    - Wie hoch ist der Anteil der Lebensmittel, die einfach nur entsorgt werden um die Preis hoch zu halten? (Da würden mich Zahlen mal echt interessieren.)

     

    Und insbesondere, dass letzteres überhaupt stattfindet (Was machen z.Z. eigentlich so der Brüsseler Michsee und der Butterberg???), zeigt, dass Niebels Einwurf nichts anderes als billiger Populismus ist. Mit der Abschaffung von E10 wird nur ein einziges Problem gelöst. Nämlich "Wie würge ich den Grünen mal richtig einen rein?".

     

    Ich kann nur hoffen, dass nächstes Jahr der Wähler Niebel und den anderen Flach-Dach-Populisten richtig einen reinwürgen!!!