Gentrifizierung und Stadtrand: „Urbanität kann man nachrüsten“

Der Run auf die Innenstädte ist ungebrochen. Was aber wird aus den Stadträndern? Ein neues Zuhause für Verdrängte? Der Stadtplaner Aljoscha Hofmann hofft das.

Gibt es Kaffeekultur auch bald am Stadtrand? Bild: dapd

taz: Herr Hofmann, in München, Hamburg oder Berlin gibt es einen regelrechten Run auf die Innenstadt. Was macht Quartiere wie Ottensen oder Kreuzberg so attraktiv?

Aljoscha Hofmann: Wir erleben seit einigen Jahren eine Renaissance der Innenstadt. Das hat mit neuen Lebensentwürfen und einer Differenzierung der Lebensstile zu tun. Es gibt neben den klassischen Familienhaushalten immer mehr Singles. Die zieht es in die Innenstädte, die natürlich auch wegen des Angebots, der Infrastruktur und der Nähe zum Arbeitsmarkt attraktiv sind. Das gibt es in der Reihenhaussiedlung weniger.

Innenstädte und Gründerzeitquartiere haben wir auch vor Augen, wenn wir an Stadt und Urbanität denken.

Das Bild der Städte wird nach wie vor von den Zentren geprägt. Dazu gehören auch die Gründerzeitquartiere, die rund um die Zentren entstanden sind. Das sind auch die Bereiche, die man zu Gesicht bekommt, wenn man als Tourist eine andere Stadt besucht.

Sie und Ihre Initiative „Think Berlin“ wollen mehr Aufmerksamkeit für die Stadtränder. Warum?

In Berlin lag die Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren fast ausschließlich auf der Innenstadt. Das war notwendig, galt es doch, ein neues, gemeinsames Berliner Zentrum zu finden. Gleichzeitig leben aber zwei Drittel der Berliner außerhalb der Innenstadt. Die Konzentration auf die Innenstadt, also Geld, Aufmerksamkeit, Planwerke, richtete sich nur auf ein Drittel der Berliner Bevölkerung. Das muss sich ändern.

32, ist Architekt und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin. Er ist außerdem Mitgründer der Initiative „Think Berlin“, die sich für eine Entwicklung der Außenstädte starkmacht.

Wie kann der Stadtrand attraktiver gemacht werden?

Ein wichtiger Punkt ist Mobilität. Wie erreichen wir die Ränder? Wie kommen die Bewohner in die Innenstadt, wo sie arbeiten und wo es die kulturelle Infrastruktur gibt? Der zweite Punkt kann durchaus Verdichtung sein. Wobei es nicht darum geht, in eine Großsiedlung Altbaustrukturen zu kopieren.

In zahlreichen Fernseh- und Kinofilmen steht das Leben in den Vorstädten für Tristesse, oft sogar für ein Ghetto. Wird sich das mit zunehmender Aufmerksamkeit ändern?

Zunächst: In Deutschland gibt es keine Ghettos. Es gibt aber extrem problematische Quartiere. Da müssen wir ansetzen. Bislang sind solche Quartiere stigmatisiert. Wenn ich aus der Innenstadt verdrängt werde und mir als einziger Ausweg die Plattenbausiedlung bleibt, ist das wegen dieser Stigmatisierung ein Abstieg. Eine Aufwertung der Vorstadt ist deshalb sehr wichtig.

Latte macchiato also auch in Köln-Chorweiler?

Warum nicht. Man kann Urbanität auch nachrüsten. Wenn ich als Freiberufler oder Akademiker in die Gropiusstadt ziehe, möchte ich ein gewisses kulturelles Angebot vorfinden. Ich möchte schnell auf der Straße sein und dort einkaufen. Ich will Kaffee trinken und mich mit Bekannten treffen. Und zwar im Nahraum, ohne also dafür extra in die Innenstadt fahren zu müssen.

Dafür braucht man belebte öffentliche Räume. Das muss nicht zwingend eine Korridorstraße sein. Aber es müssen Orte sein, in denen ich sehe und gesehen werden kann. Ein Kollege sagte dazu mal, man müsse den Cappuccino-Belt ausweiten.

Nun gibt es in den Innenstädten wachsende Proteste gegen Gentrifizierung und Verdrängung. Bereiten Sie dieser Verdrängung mit der Aufwertung der Stadtränder das Feld?

Diesem Vorwurf sind Sie überall ausgesetzt, wo Sie nachsteuern. Aber das kann ja nicht heißen, nichts zu machen. Dann würden wir mittelfristig die Stadtränder tatsächlich zu Ghettos verkommen lassen. Damit lösen wir die Probleme in der Innenstadt auch nicht. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass sich faktisch immer mehr Menschen die Innenstadt nicht mehr leisten können. Dass sie auch nicht groß genug ist, alle aufzunehmen, die in der Innenstadt leben möchten. Also muss es neben Neubau und Nachverdichtung in der Innenstadt Ausweichquartiere geben. Wir leben in einem kapitalistischen System, in dem meist der Markt bestimmt, wer sich den Raum leisten kann.

Das ist das Gegenteil von einem „Recht auf Stadt“, wie es vor allem linke Gruppen und Gentrifizierungsgegner formulieren.

Das ist keine Gegenposition, sondern die Realität. Die meisten Wohnungen in der Innenstadt sind privat. Die Eigentümer entscheiden, welche Mieten sie nehmen. Mit der Renaissance der Innenstadt ist die Nachfrage deutlich gestiegen.

Liegt die Zukunft der Stadt eher am Rand, der spannend und heterogen wird, während Innenstadtquartiere wie Prenzlauer Berg zu homogenen und langweiligen Dörfern werden?

Es sind tatsächlich nicht nur schlechter Verdienende, die an den Rand wandern, sondern auch „urban pioneers“, also Kreative. Da entstehen neue Kerne von Urbanität, die in dem Maße irgendwann in den Innenstädten nicht mehr realisierbar sind, zumindest nicht in dieser Buntheit und Lebendigkeit. Und in den Innenstädten gibt es in manchen Quartieren tatsächlich eine gefühlte mentale Verdörflichung. Allerdings sind, gerade in Berlin, die Innenstadtquartiere noch sehr unterschiedlich. Denken Sie nur an Prenzlauer Berg und den benachbarten Wedding. Da liegen Welten dazwischen.

Eine Wanderung der Kreativen an den Stadtrand führt auch dort zu Konkurrenzsituationen. Sind das die urbanen Konflikte von morgen?

Ja, wobei das keine klassische Gentrifizierung ist. Es wird aber an vielen Orten diese Konflikte geben. Allerdings gibt es dort nicht nur privates Eigentum an Wohnraum. Die Kommunen können da viel besser steuern als in der Innenstadt.

Wo wohnen Sie selbst?

In der Innenstadt, in Berlin-Moabit.

Wo könnten Sie sich vorstellen zu wohnen, wenn es nicht mehr reicht für Moabit?

Da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber in Frage kommt natürlich auch, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, bevor es an den Stadtrand geht.

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