Bürgerwehr in Ostkongo: Totenschädel und Rebellion

Die Menschen im Osten Kongos sind die brutalen Überfälle der Hutu-Rebellen leid: Sie verteidigen sich selbst. Eine neue Miliz entsteht.

Rache als Antrieb: Kikuny, Anführer der Raia Mutomboki mit Totenschädel. Bild: Simone Schlindwein

SHABUNDA/NDUMA taz | Eine Stunde fliegt der UN-Hubschrauber über den ostkongolesischen Urwald. Mit dem Auto ist Shabunda noch immer nicht zugänglich – die Enklave liegt knapp 400 Kilometer von Süd-Kivus Provinzhauptstadt Bukavu entfernt.

Heute herrscht Hochbetrieb in Shabunda, eine kleine Propellermaschine landet neben dem UN-Hubschrauber. Sie liefert Wasserkanister, Plastiksandalen und Bierdosen. Nach dem Entladen schleppen Männer schwere Säcke herbei, die randvoll mit den Erzen Coltan und Kassiterit gefüllt sind.

Es gibt zahlreiche Minen mit wertvollen Mineralien und Edelmetallen wie Gold rund um Shabunda. Sowohl dieser Reichtum wie die Unzugänglichkeit der Region haben in der Vergangenheit stets auch die Rebellen angelockt.

Bürgerwehr in Dschungeldörfern

Bis vor wenigen Monaten hausten hier im Dschungel die Rebellen der ruandischen Hutu-Miliz FDLR, der brutalsten Miliz im Ostkongo. Doch jetzt ist die FDLR auf der Flucht – vor den „Raia Mutomboki“, was übersetzt „wütende Menschen, die sich rächen“, heißt. Eine Art Bürgerwehr, Selbstverteidigungsbewegung, die in den vergangenen Monaten in immer mehr Dschungeldörfern Fuß gefasst hat.

Das einzige Transportmittel durch den Dschungel ist das Motorrad. Zwei Tage für 150 Kilometer – durch matschige Pfützen, kleine Flüsse, über umgekippte Baumstämme. Am Ende des Trampelpfades, der sich von Shabunda aus Richtung Norden schlängelt, liegt auf einem Hügel das Dorf Nduma, wo die Raia-Mutomboki-Bewegung ihren Ursprung hat.

Hinter dem kleinen Dorf, das auf weißem Sand gebaut ist, erhebt sich der dunkle Wald wie eine undurchdringliche Wand. Hier beginnt der Kahuzi-Biega-Nationalpark – ein gewaltiges Naturschutzgebiet, durch das keine Wege hindurchführen. Zwei Wochen dauert es, wenn man zu Fuß den Park durchqueren will. Ein perfektes Versteck für die Rebellen.

Die Schule abgebrannt

„Sie hatten im Wald ein Dorf für ihre Familien eingerichtet, das sie Kigali Zwei genannt haben“, berichtet Emanuel Muntutugu. Der alte dürre Mann im schmutzigen T-Shirt ist der Schuldirektor von Nduma. Mit tief hängenden Schultern und vielen Runzeln auf der Stirn steht er am Waldrand an der Stelle, wo noch bis vor wenigen Monaten seine Schule stand. Doch was einst ein aus Holzlatten gezimmertes Haus mit drei Klassenzimmern war, ist heute nur noch verkohlte schwarzgraue Asche, die den weißen Sand schwarz färbt. Muntutugu seufzt: „Vier Mal schon haben sie unser Dorf abgebrannt. Wie sollen wir jetzt die Kinder unterrichten?“

Die Menschen in Nduma leben in Hütten neben ihren abgebrannten Häusern. Bild: Simone Schlindwein

Er winkt, ihm zu folgen. Mit schlurfenden Schritten geht er einen Trampelpfad längs, der durch ein Maisfeld zur Dorfmitte führt. Dort haben sich die Einwohner Ndumas versammelt: die Clanchefs, der Dorfvorsitzende, die Frauen, die unzähligen Kinder – sie alle sitzen auf kleinen Hockern im Kreis. Die Clanchefs haben – in der Tradition des Barega-Volkes – einen Sprecher auserkoren, die für die Gemeinde sprechen darf: Priester Maurice Sambamba.

Der alte Mann hat graues krauses Haar, er trägt ein schwarzes, edles Hemd mit Stickereien und ein hölzernes Kreuz um den Hals. Er berichtet, wie alles anfing mit den Raia Mutomboki: „Wenn dich jemand ausraubt oder deine Frau vergewaltigt, dann wirst du wütend. Das ist es, was wir sind“, nickt er und zählt detailliert all die Verbrechen auf, die die FDLR seit ihrer Ankunft 1996 in Nduma begangen hat. Wenn er einen Übergriff auslässt, weisen ihn die anderen alten Herren darauf hin. „Wir haben diese Hutu-Mörder beherbergt, nachdem sie in ihrer Heimat Ruanda schlimme Verbrechen an den Tutsi begangen haben. Doch dann haben sie sich auch gegen uns gewandt“, schließt Sambamba.

Frische Gräber

Der Priester steht auf und wandert in schnellen Schritten durch das Dorf. Alle paar hundert Meter bleibt er an verkohlten Holzbalken oder einem Haufen Backsteinen stehen: einst die Kirche, die Schule, die Markthütten, die Häuser. Regelmäßig überfiel die FDLR nachts Nduma, die Einwohner versteckten sich dann im Wald, während die FDLR ihre Hütten plünderte und anschließen die Strohdächer in Brand steckte.

FDLR steht für Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas. In der ruandischen Hutu-Miliz tummeln sich viele Täter des Völkermordes in Ruanda 1994, bei dem über 800.000 Tutsi abgeschlachtet wurden. Die Hutu-Täter flüchteten daraufhin in den Dschungel des Ostkongos. Unzählige Militäroperationen gegen die FDLR schlugen fehl. Jetzt ist die FDLR auf der Flucht vor den Raia Mutomboki.

Raia Mutomboki heißt übersetzt „Wütende Menschen, die sich rächen“. Die erste Selbstverteidigungsmiliz ging 2008 von Nduma aus gegen die FDLR vor. Mittlerweile sind viele Raia-Mutomboki-Gruppen in Nord- und Süd-Kivu aktiv. Im Juli griffen sie die Bezirksstadt Walikale an. (sw)

Sambamba marschiert am Friedhof vorbei, es gibt dutzende frische Gräber mit Kreuzen aus Bambusstengeln. Erst jüngst hätte die FDLR junge Männer in einer Goldmine massakriert. Im vergangenen Jahr seien die Attacken besonders schlimm geworden, als die Armee aus dieser Region abgezogen worden sei. Die Menschen in Nduma seien der FDLR schutzlos ausgeliefert gewesen. „Die Regierung hat uns damals gesagt, wir sollten uns selbst verteidigen“, berichtet der Priester. „Dann haben wir unsere Macheten ergriffen und sind auf sie losgegangen“, brüllt er plötzlich voller Zorn.

Die versammelten Einwohner nicken. Es befinden sich nur eine Handvoll junger Männer unter ihnen. Erst später wird klar, warum. Der harte Kern der Raia-Kämpfer lebt im Wald beim Kommandanten. Wenige Kilometer von Nduma entfernt haben sie ihr Dschungelcamp errichtet. Ihre Anführer nennen sich selbst „die Juristen“ – zwei Männer, die einst in Bukavu Jura studiert haben und, als das Geld für das Examen nicht reichte, in ihr Heimatdorf Nduma zurückgekehrt sind. Hier mobilisierten sie die jungen Männer des Dorfes, um auf andere Art für Gerechtigkeit zu kämpfen. „Wir haben schon jemanden losgeschickt, um die Anführer zu holen“, sagt Sambamba.

Am nächsten Morgen, die Sonne ist noch nicht richtig aufgegangen, hängt dichter, feuchter Nebel über den Bäumen. Aus einer größeren Lehmhütte mit einem halb verkohlten Strohdach dringt der Rhythmus der Trommeln. Noch etwas verschlafen strömen die Leute zur Morgenandacht herbei. Sie beten für Frieden und dass Gott die Anführer der Raia Mutomboki beschützen möge.

Heimliche Versammlung

Nach der Andacht hasten die alten Männer im Dorf umher. Priester Sambamba kommt angelaufen. Flüsternd verkündet er, dass der zweite Anführer der Bürgermiliz eingetroffen sei. Doch man müsse vorsichtig sein. Es geht das Gerücht, dass der oberste Raia-Kommandeur Eyaduma am Tag zuvor von der Armee verhaftet worden sei. Deswegen könne sich sein Stellvertreter mit Namen Kikuny nicht öffentlich zeigen, erklärt Sambamba. Auch am Dorfeingang sind einige Soldaten postiert.

Hinter der Dorfkirche steht etwas versteckt am Waldrand eine Lehmhütte. Priester Sambamba schleppt Plastiksessel herbei. Kinder und Frauen sammeln sich neugierig. Eine Gruppe junger kräftiger Männer tritt aus dem Unterholz hervor und postiert sich um die Hütte. Die Männer tragen schmutzige Hosen und T-Shirts, dennoch verhalten sie sich wie Soldaten, die ihren Kommandeur beschützen müssen.

Ein Mann tritt zu der Versammlung, mit einem schweren Sack auf dem Rücken. Behutsam setzt er ihn auf dem staubigen Boden ab. Er öffnet die Kordel, mit der der Sack verschnürt ist. Ein fauliger Geruch breitet sich aus. Alle verstummen ehrfürchtig. Es sind Totenschädel, die der Mann aus dem Sack hervorholt.

Vizekommandeur Kikuny betritt die Hütte und verneigt sich vor den Schädeln. Der kleine Mann trägt einen schwarzen Trainingsanzug und Gummistiefel. Lässig setzt er sich auf einen Plastikstuhl. Seine Stimme ist laut und schrill, als wolle er seine Botschaften in die Welt hinausschreien: „Wir bewahren die Schädel unserer Angehörigen, Freunde und Nachbarn auf, die von der FDLR massakriert wurden, weil sie uns ermahnen, Rache zu üben“, sagt er und zieht den Vergleich zu Ruanda, der Heimat der Hutu-Rebellen. Dort habe man ganze Gedenkstätten aus Schädeln errichtet, um der Welt zu zeigen, was die Völkermörder den Tutsi angetan haben. „Doch niemand redet darüber, was sie uns antun“, sagt er.

Konflikt mit Armee

Deswegen hätten sie zu Macheten, Lanzen und Pickhacken gegriffen und seien losmarschiert, berichtet Kikuny, von Dorf zu Dorf – durch zwei Provinzen. Überall haben sie die dortigen jungen Männer angestachelt, zu den Macheten zu greifen und die FDLR zu verjagen. Auch Schusswaffen haben sich manche besorgen können. An Kikunys Hüftgürtel steckt ein Satellitentelefon, mit dem er Befehle erteilen kann. UN-Beobachter sprechen noch immer von vielen einzelnen Bürgerwehren, die nicht organisiert seien oder in individuellen Gruppen aufträten. Doch hört man Kikuny so reden, dann wirkt es, als seien die Raia Mutomboki bereits eine Miliz, die sich koordiniert und über weite Gebiete hinweg operiert.

Das führt unausweichlich zu Konflikten mit der Regierungsarmee, die seit Ende des vergangenen Jahres nach Nduma zurückgekehrt ist. In jüngster Zeit kam es zu heftigen Gefechten zwischen den Raia und den Soldaten. Denn Kikuny stellt jetzt Forderungen. Die UNO versucht, die beiden Seiten an einen Verhandlungstisch zu setzen. Doch Kikuny winkt ab: „Wir trauen den Soldaten nicht. Wir bestehen darauf, dass sie uns das Territorium von Shabunda überlassen“, sagt er, um dann weiter zu grölen: „Wir werden erst Ruhe geben, wenn wir alle FDLR getötet haben.“

Als Kikuny aufsteht und sich aufmacht, in das Hauptquartier im Dschungel zurückzukehren, stimmen die Frauen des Dorfes ein Loblied auf die Raia-Anführer an: „Gott behüte Eyaduma und Kikuny, denn sie beschützen uns vor Vergewaltigungen und Plünderungen!“

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