Der erste Kick

Das Hannoveraner „up and coming“-Festival gilt als das größte deutsche Nachwuchsfestival für Filmemacher. Seit Donnerstag treffen dort Filmfreaks aus 32 Ländern mit Höchstalter 27 auf ein erstes Publikum und auf den ein oder anderen Profi aus Branche: Es geht um Austausch – und Folgeprojekte

von Jens Fischer

Künstler brauchen Anerkennung, ersticken ohne Öffentlichkeit in ihrer Kreativität. Wer also Jugendliche ans Künstlern heranführen will, muss nicht nur Buntstifte bereithalten, sondern auch ein Forum für die tastenden Versuche bieten. Burkhard InHülsen weiß das genau, er ist Kunstlehrer. Und war mal Filmstudent in Braunschweig.

So begab es sich zu einer Zeit, als Familienväter noch Super-8-Urlaubsfilme mit der Küchenschere zurecht schnippelten, dass Burkhard InHülsen mit Schwester Karin (Grafik-Designerin) und später auch Bruder Harald (Musikjournalist) ein Schülerfilmfestival in Hannover organisierte. Sozusagen als Endverwerter der Medienpädagogik, die Techniken des Film- und Fernsehmachens vermittelt, damit Jugendliche filmische Qualität erkennen können – und anschließend nicht mehr jeden Scheiß gucken.

Mittlerweile ist Burkhard InHülsen immer noch Kunstlehrer, allerdings mit sechs Stunden Freistellung pro Woche für die Festivalorganisation. Das 1982 begründete Schülerfilmfestival nennt sich in Zeiten, wo Einkaufen nur noch Shopping heißt, schlicht „up and coming“. Der Veranstaltungstrailer zeigt den Schriftzug als Logo, mal verwackelt, mal ins krisselige Rauschen verzerrt. Dazu zuckende Robotermarschmusik – stur der Zukunft entgegen.

Wer da mitmachen möchte, muss U-28 sein. Thema, Länge, Genre und Format der Beiträge sind nicht vorgegeben. Die Zahl der eingereichten Filme steigt kontinuierlich. 2.450 aus 56 Ländern sind es in diesem Jahr. Eine Jury filterte 199 zur Aufführung heraus. So versucht das Festival der exponentiell steigenden Filmproduktion zu begegnen – seit jeder mit dem Digicam-Sonderangebot aus dem Discounter filmen, mit leicht erlernbaren Computerprogrammen am Heim-PC semiprofessionell schneiden und nach Herzenslust raubkopierte Musik dazumischen kann.

Nach heimischen PC-Produktionen sehen viele Erst-, Zweit-, Drittlingsfilme auch aus. Lowlow-Budget. Authentizität statt technischer Perfektion. Mehr Dokumentationen und Ich-Erzählungen sind dieses Jahr zu erleben, weniger Animationsfilme. Dafür reichlich originelle Ideen, die manchmal ästhetisch verhungern: Wenn der Hamburger Jasper-Wu Laudenbach (Jahrgang 1982) aufgrund seiner beruflichen Zukunftsaussichten überlegt, bei einem Obdachlosen in die Lehre zu gehen, dann fällt dem Jungregisseur dazu nicht mehr als eine Straßenumfrage ein.

Ansonsten sind beim diesjährigen „up and coming“ viele Schulklassen präsent, die an Filmprojekten für Gott und gegen Diskriminierung teilgenommen haben. Medienzentrums-Nutzer präsentieren die Spielmöglichkeiten der Postproduktion. Und Studenten üben, rote Fäden zu spinnen, dabei Filmzitaten einzuflechten, aber auch mit Verdichtungen und Verdünnungen im Zeitkontinuum des Erzählens zu jonglieren.

Ob Kommunikationsdesign, Medien-, Kultur-, Theaterwissenschaft oder Publizistik: Filmemacherausrüstung können die Studierenden in fast jedem Fachbereich ausleihen. Für das Praxisseminar, Vordiplom oder nur zum Spaß. Alle Festivalteilnehmer sind also Schüler. Fast alle von ihnen, das stimmt positiv, argumentieren dem Medium entsprechend mit Bildern, statt mit Gerede. Das beginnt mit Maxim Kurze (Jahrgang 1996), der im „Tigerentenclub“ gesehen hat, wie Zeichentrickfilme entstehen – und dann selbst ans Werk ging. Einen Soldaten hat er gemalt, ausgeschnitten, auf Papier geklebt, Mamas Kamera geliehen, bei der Figur Millimeter für Millimeter eine Bewegung simuliert und diese mit Papas Hilfe Millimeter für Millimeter fotografiert – flink hintereinander abgespielt ergeben die Bilder „Schuss und Treffer“, ein gut 30-sekündiges Werk. Gerade hustend zu Boden geblickt, schon vorbei. Zu Weihnachten, so soll die Mutter versprochen haben, bekommt Maxim seine erste Kamera.

Das Wettbewerbsspektrum dehnt sich andererseits bis zu Daniel Langs “female/male“. Der Filmhochschüler (Jahrgang 1977) aus Berlin zeigt ein altes Paar im gleißenden Gegenlicht wie klassische Statuen, hat die Oberflächentexturen ihrer Hautlandschaften erforscht, dabei zärtlich kühl die Schönheit der Sexualität im Alter inszeniert – frei von Voyeurismus. Dafür gab es bereits vor vier Wochen den Deutschen Kurzfilmpreis.

Als Ergänzung könnte nun noch der Deutsche Nachwuchsfilmpreis hinzukommen, den das Festival erstmals in drei Altersstufen auslobt und mit jeweils 1.500 Euro dotiert hat. Eine Auszeichnung, die sich neben dem bereits bestehenden Deutschen Filmpreis etablieren soll, um die besten Fingerübungen des Filmmachernachwuchses zu würdigen. Neben dem Deutschen Nachwuchsfilmpreis wird der International Young Film Makers Award vergeben – um diesen Preis konkurrieren die Beiträge, die nicht aus Deutschland stammen.

Was schwer fällt. Manche Filme des deutschen Wettbewerbs haben nur Handykamera-Qualität, pixeln aus, ruinieren die kreativen Ansätze in brachial grellen, wackeligen, konturmatschigen, selten ausgeleuchteten Bildern. Wenn dann mal Wolken, Lippen, Blumen, Wasser auf 35-Millimeter-Material eingefangen werden, das mit Hochschulgeldern finanziert wurde, verströmt das sofort eine überwältigende Sinnlichkeit.

In der Reihe internationaler Filme ist das handwerkliche Niveau deutlich höher. Die Teilnehmer sind zumeist solche, die sich bei weltweit vielen Festivals bewerben, nachdem ihr Film in der Heimat bereits erfolgreich gelaufen ist. In Hannover haben sie zudem den Vorteil, von Alan Bangs präsentiert zu werden: Die freche Neugierde und der eitle Charme des Moderators mit der Nacht-Radiostimmenmagie ist allein den Besuch wert.

“Das Festival will“, so Karin InHülsen, „die Qualität des deutschen Films nachhaltig verbessern durch die Innovationskraft des Programms.“ Aber wo es welche Innovation zu bestaunen gibt, weiß sie nicht zu sagen. Vielleicht geht es eher um Basisarbeit statt um Begabtenförderung. „up and coming“ könnte man verstehen als Messe für den Austausch zwischen jugendlichen und professionellen Filmemachern, Medienpädagogen und Produzenten. Arte übernimmt ab und an einige Beiträge in das Programm. Ein Festival der Filmförderung also, um dem Nachwuchs den ersten Kick, die Bestätigung, den Mut zum Weitermachen zu geben. Offen für jeden.

Dafür ist Platz notwendig. Und so ist man dieses Jahr aus der Kestner Gesellschaft, die immer teuer zur Lichtspielstätte hergerichtet werden musste, ins Cinemaxx am Raschplatz umgezogen, also im Kino angekommen. Was auch finanzielle Gründe hat, da die Filmförderanstalt Nordmedia die Förderung von 147.000 auf 65.500 Euro kürzte. „Genau diese Summe sparen wir im Cinemaxx ein, das wir zu Sonderkonditionen angemietet haben“, erklärt Karin InHülsen. Fügt aber hinzu, dass vom 170.000-Euro-Festivaletat noch 20.000 Euro ungedeckt sind.

Jetzt tummelt sich die Festivalgesellschaft also im Keller des Multiplex, sozusagen im Film- Underground. Nur wenige „Harry Potter“-Gucker verirren sich dorthin, trotz eines glamoureffektiv ausgelegten roten Teppichs. Trotz eines Live-Talkshow- TV-Magazins, das angehende TV-Volontäre im Foyer drauflosüben. Die Filmemacher bleiben separiert, ernähren sich auf Multiplexkino-Niveau, hocken auf Treppen oder an Bistrotischen, kommunizieren, um zu kooperieren. Folgeprojekte anschieben.

Ein Kennlernfestival. Weswegen auch das komplette City Hotel Hannover angemietet wurde, wo 130 junge Filmemacher untergebracht sind, 80 müssen in die Jugendherberge ausweichen. Die Schlafzeit aber ist begrenzt. Am heutigen Samstag läuft das Programm von 10 bis 23 Uhr, anschließend ist Festivalparty. Und am Sonntag um 11 Uhr werden bereits die Preise verliehen.

Das genaue Programm ist unter www.up-and-coming.de einzusehen.