Die nächste Industrierevolution: Industrie 4.0

„Smart Factory“ ist das neue Schlagwort der Industrie. Übers Netz sollen Produktionsmodule miteinander kommunizieren und Entscheidungen treffen.

Industrie-Roboter im Einsatz: Künftig sollen sie nur aktiv werden, wenn eine Bestellung vorliegt. Bild: dapd

BERLIN taz | Schon wieder eine Industrierevolution – aber die wievielte? Während der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin derzeit mit seiner Vision der „dritten industriellen Revolution“ – einer umweltverträglichen „grünen Wirtschaft“ – durch die Konferenzsäle tingelt, arbeiten deutsche Produktionstechniker bereits emsig am Konzept einer „Industrie 4.0“.

Sie will die Fabrikwelt mit dem Internet verbinden und neue Dimensionen einer effizienten Produktion erschließen. „Wir werden intelligente Maschinen sehen, die sich selbst steuern und sich gegenseitig optimieren, um intelligente Produkte herzustellen“, beschreibt Henning Kagermann, früherer Chef des Software-Riesen SAP und heutiger Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften „Acatech“, seinen Ausblick auf die entstehende „Smart Factory“.

Zur Präsentation des aktuellen Forschungsstandes hatten sich Acatech und der Thinktank des Bundesforschungsministeriums, die „Forschungsunion“, unlängst das Produktionstechnische Zentrum (PTZ) in Berlin ausgesucht, einen kreisrunden, elfenbeinfarbenen Wissenschaftstempel am Ufer des Moabiter Spreebogens.

Ein höchst symbolischer Ort, denn die gemeinsame Einrichtung von Fraunhofer Gesellschaft und Technischer Universität Berlin war 1986 für den Produktionswissenschaftler Günter Spur errichtet worden, um hier die computergesteuerte Fabrik der Zukunft („Computer Integrated Manufacturing“, kurz CIM genannt) – die Industrie 3.0 – vorzubereiten.

Ein Paradigmenwechsel

Die Verheiratung der Werkzeugmaschinen mit den Rechenmaschinen, der Produktionstechnik mit der Informatik, war damals der dritte Schub der Industriemodernisierung, nach dem Zeitalter der großen Dampfmaschinen und dem Einzug der Elektrotechnik. Die damalige Befürchtung, mit CIM beginne die Ära der menschenleeren Fabrik, hat sich allerdings nicht bewahrheitet.

„Bei Industrie 4.0 handelt es sich um einen Paradigmenwechsel: Wir gehen weg von der zentralen Fabriksteuerung hin zu einer dezentralen Steuerung“, erklärt Wolfgang Wahlster, Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken.

„Bitte färbe mich rot“

Durch die informationstechnische Vernetzung kann der Rohling einer Produktionsmaschine mitteilen, wie er bearbeitet werden will. „Er beantragt beim Roboter: Bitte färbe mich rot oder schleife mich an dieser Stelle“, beschreibt Wahlster die neuen Maschinendialoge. „Das ist eine völlige Umkehrung der bisherigen Produktionslogik.“

In Wahlsters Forschungslabor werden die Techniken dafür entwickelt, mit denen zum Beispiel Seifenflaschen über den aufgedruckten RFID-Tag dem Einfüllautomaten melden, mit welcher Seife sie befüllt werden sollen und welche Farbe der Deckel dazu haben muss.

Ihre Programmierung lässt die intelligenten Seifenflaschen dann in unterschiedliche Kartons rauschen, mit ebenfalls unterschiedlichen Bestimmungsorten.

Globale Kundschaft

Über das Internet wird die smarte Fabrik mit der globalen Warenwelt verknüpft. Der Trend: Bauteile werden in kleineren Stückzahlen und auf direkte Kundenanforderung produziert. Das senkt die Verlustrate und beschleunigt die Auslieferung. Der Automobilzulieferer Bosch hat die Herstellung von Einspritzdüsen für Dieselmotoren jetzt so umgestellt, dass die Produktion erst dann beginnt, wenn irgendwo auf der Welt eine elektronische Bestellung dafür aufgegeben wurde.

Die voranschreitende Digitalisierung der Produktion verändert auch die Industrieforschung. Die Hälfte seines Forschungsaufwands steckt Siemens heute in die Software-Entwicklung; 17.000 der insgesamt 30.000 FuE-Spezialisten bei Siemens sind damit befasst.

Das Bundesforschungsministerium will diesen Trend weiter forcieren und hat über seine Hightech-Strategie laut Staatssekretär Georg Schütte bisher 25 Millionen Euro in Forschungsprojekte für „Industrie 4.0“ gesteckt. „In den kommenden vier Jahren wollen wir bis zu 200 Millionen Euro zur Verfügung stellen“, kündigte der Politiker an.

Autonome Service-Roboter

Das Bundeswirtschaftsministerium startete seinerseits den Förderwettbewerb „Autonomik“, der mit 40 Millionen Euro ausgestattet ist. Gesucht werden Pilotprojekte, die von autonomen Service-Robotern im industriellen Dienstleistungsbereich bis hin zum „elektronischen Butler in der Pflege“ reichen. Weitere Programme sollen auf der Hannover Messe im kommenden April präsentiert werden.

Der Wandel in den Fabriken birgt auch neue Chancen für ihr Umfeld. Ihr Lärm und giftige Ausdünstungen haben die Produktionsstätten der Industrie erst an den Rand der Städte und vielfach ganz hinausgedrängt.

Die neue Fabrikgeneration verspricht, sauber und klein genug zu sein, um wieder in die Städte zurückkehren zu können. Das Maschinenbau-Unternehmen Wittenstein konnte in Fellbach nördlich von Stuttgart eine Fabrik im Wohngebiet errichten, weil sie praktisch emissionsfrei ist. Für die Beschäftigten ist der wohnortnahe Standort von Vorteil, weil sich die Anfahrtszeiten verkürzen.

Warmwasser für de Nachbarschaft

Aber es gibt auch ein „Gegengeschäft“ für die Kommune: Die Prozesswärme der Maschinen wird über einen Wärmetauscher aufgefangen und an die umliegenden Wohnhäuser abgegeben.

Schon wird bei Wittenstein darüber nachgedacht, die Öko-Effekte der smarten Fabrik weiter zu verbessern. „Unsere Vision ist, die Produktion so zu steuern, dass sie dann läuft, wenn in der Nachbarschaft viel Warmwasser gebraucht wird, etwa morgens zum Duschen“, erklärt Philipp Guth von der Wittenstein Bastian GmbH.

„Das könnte am Ende sogar dazu führen, dass Energie für uns alle etwas billiger wird“, stellt er in Aussicht. Damit könnte die Industrie 4.0 nicht nur die Fabriken revolutionieren, sondern auch die Energiewende mit voranbringen.

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