Bezirke sind nicht unregierbar: Die Drei-Prozent-Hürde ist weg

Verfassungsgericht kippt Sperrklausel gegen Parteienzersplitterung aus dem Hamburger Wahlgesetz. SPD und CDU befürchten Unregierbarkeit, Piraten freuen sich.

Das Gleichheitsprinzip "one man - one vote" darf nicht beinträchtigt werden. Bild: dpa

HAMBURG taz | Hamburg bekommt schon wieder ein neues Wahlgesetz. Das Verfassungsgericht gab gestern der Beschwerde eines Mitglieds der Piratenpartei weitgehend Recht und kassierte die Drei-Prozent-Sperrklausel bei den Bezirkswahlen. Dass Stimmen für Parteien, die die Hürde nicht übersprängen, quasi verloren seien, beeinträchtige das Gleichheitsprinzip „one man – one vote“ und sei deshalb verfassungswidrig. Die Bürgerschaft muss nun ein neues Bezirkswahlgesetz aus der Taufe heben.

Der Kammervorsitzende Joachim Pradel betonte, der mit 8:1 Richterstimmen gefällte Beschluss sei nicht auf Wahlen zu Kommunal- und Landesparlamenten oder gar die Bundestagswahl übertragbar, wo eine Fünf-Prozent-Hürde gilt. Hier könnte eine Vielzahl von Parteien, Wählergruppen und Einzelkandidaten die „Funktionsfähigkeit“ der Volksvertretungen aushebeln, sie handlungsunfähig machen.Deshalb sei hier ein Sperrklausel nach Abwägung rechtlich vertretbar.

In den Bezirken bestehe die Gefahr der Unregierbarkeit jedoch nicht, da diese weder Personal– noch Finanzhoheit und auch keine Gesetzgebungskompetenz hätten. Zudem könne der Senat mit Fachanweisungen und Globalrichtlinien von oben kräftig in die Bezirke hineinregieren, wenn ständig wechselnde Mehrheiten ein kontinuierliches und verlässliches Handeln einschränkten. Im Klartext: Weil die Bezirke politisch kaum etwas bewegen können, bedeute auch „eine spürbare Zunahme kleiner Parteien“ kein Risiko.

Das sehen die großen Parteien anders – gleich nach der Urteilsverkündung malten sie das Gespenst der Unregierbarkeit von Altona bis Wandsbek an die Wand. Die bezirkliche Demokratie „geschwächt“ sieht die SPD-Verfassungsexpertin Barbara Duden, „Zersplitterung und Kleinteiligkeit kommen auf Hamburgs Bezirke zu“, mutmaßt CDU-Chef Markus Weinberg, „Instabilität und widersprüchliche Entscheidungen“ sieht sein Parteikollege André Trepoli voraus.

Nüchterner die Grünen: „Das Verfassungsgericht folgt der Rechtssprechung der letzten Jahre“, fiel ihrem verfassungspolitischen Sprecher Farid Müller auf. Beschwerdeführer Dieter Brinkmann von der Piratenpartei hingegen zeigt sich „glücklich und zufrieden“, dass das Gericht seiner Beschwerde „im Wesentlichen stattgegeben“ habe.

Dass die Ergebnisse der Bezirkswahlen trotzdem nicht wie von ihm beantragt nun annuliert und Neuwahlen angesetzt werden, sei „zu erwarten gewesen“, sagte Brinkmann. Dazu, so das Gericht, sei der Verfassungsverstoß nicht gravierend genug. Brinkmann zeigte sich aber sicher, dass nach dem Fall der Drei-Prozent-Klausel seine Partei nach der nächsten Wahl „in allen sieben Bezirksversammlungen vertreten“ sein werde.

Für Manfred Brandt von „Mehr Demokratie wagen“ ist das Urteil „ein voraussehbarer Selbstläufer“. Brandt erinnerte daran, dass die Bezirks-Hürde 2004 bereits abgeschafft war, bevor ein Parteienkompromiss der Klausel ein kurzlebiges Comeback bescherte.

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