Der richtige Zeitpunkt zum Rücktritt: Einigermaßen aufrecht

Warum tun sich Politiker mit einem Abgang in Würde so oft so schwer? Was uns die Causa Schavan über den Politikbetrieb in unserem Land lehren kann.

Es suchte die Flucht nach vorne, vergebens: Christian Wulff. Bild: dpa

Aufhören, so sagt es der Volksmund, solle man immer dann, wenn es am schönsten ist. Nun ist es natürlich eigentlich unmöglich zu wissen, ob es gerade jetzt am schönsten ist oder das Dollste noch kommt. Auch ist es währenddessen gar nicht so einfach, festzustellen, ob eine individuell Krise eine vorübergehende ist oder doch der Anfang vom Ende. Im Nachhinein, klar, da ist man immer klüger: Das hätte er wissen müssen, dass das nicht gut geht, selber schuld. Ende mit Schrecken und Schrecken ohne Ende. Und so.

Natürlich ist jeder Fall anders. Und trotzdem gibt es Parallelen und Gleichzeitigkeiten, die bemerkenswert sind. Da wird nun in einer 34 Jahre alten Doktorarbeit einer Wissenschaftsministerin (streng katholischer Arbeitsethos, südwestdeutsch, CDU) gewühlt und von akademisch Geweihten befunden, dass sie ihren Titel zu Unrecht trägt. Fast tragisch bei der Causa Annette Schavan: Da sie ohne Umwege promoviert hat, bleibt ihr jetzt nicht mal mehr ein Diplom- oder Magisterabschluss.

Nun fällt diese Sache in einen interessanten Resonanzraum. Noch sind die Erregungswellen nicht verebbt, die das Land die letzten Wochen in Bewegung hielten. Verursacht von einer heftigen Sexismusdebatte, ausgelöst durch die tumben, frauenverachtenden Sprüche des FDP-Mannes Brüderle.

Drei Wochen hat das Land über strukturellen Sexismus teilweise auf erfreulich hohem Niveau und mit großem Erkenntnisgewinn diskutiert. Es wurde der Rücktritt gefordert und vehement für den Verbleib gefochten. Nun sieht es so aus, als würde er einfach weitermachen. Ein bisschen schmaler und grauer vielleicht. Aber im Kern unberührt. Wohl auch, weil er nicht verstehen will, dass seine Einstellung Frauen gegenüber nicht mehr zeitgemäß ist. Uneinsichtigkeit als Schutzwall.

Aussitzen unmöglich

Annette Schavan wird das nicht so einfach aussitzen können. Wie Brüderle. Oder Helmut Kohl und Roland Koch mit ihren jüdischen Vermächtnissen und Spendenaffären. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich viele Feinde gemacht hat mit ihren Einlassungen zur Plagiatsaffäre Karl-Theodor zu Guttenbergs. Und sie an ihren eigenen Worten gemessen wird.

„Als jemand, der selbst vor 31 Jahren promoviert hat und in seinem Berufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme ich mich nicht nur heimlich. Und das wird Karl-Theodor zu Guttenberg nicht anders gehen“, sagte Schavan, fünf Tage nachdem die Universität Bayreuth Guttenberg den Doktorgrad aberkannt hatte. Einen Tag später trat der CSU-Shootingstar von allen politischen Ämtern zurück. Das wird Bayern ihr nie verzeihen.

Man trifft sich halt immer zweimal. Kanzlerin Merkel weiß das. Und Annette Schavan auch. Beide sind sehr intelligente Frauen. Die hautnah erlebt haben, was mit Menschen passiert, die den Moment verpasst haben, einigermaßen aufrecht das Feld zu verlassen. Die so lange den lange verlorenen Kampf gefochten haben, bis dann fast gar nichts mehr übrig blieb von der Würde, die mit ihnen durch ihre Amtsausführung auch über die Verfehlungen hinaus hätte verbunden bleiben können.

Was also macht es aus, dass es Menschen gibt, die rechtzeitig erkennen, wann Schluss ist, und entsprechend handeln? Und die anderen, denen jedes Gespür, jede Anbindung an die Realität abhandengekommen scheint? Hier lohnt es, noch ein Jahr weiter zurückzublicken. Nach Hannover. Auf Margot Käßmann. Vier Tage hat sie gebraucht, um nach ihrer Trunkenheitsfahrt zurückzutreten. Der Kernsatz: „Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so, wie ich sie hatte.“

Plötzlich arbeitslos

Plötzlich war die Frau, die schon im Dezember wusste, welchen Termin sie am dritten Augustwochenende im nächsten Jahr zu absolvieren hatte, arbeitslos. Der Star der evangelischen Kirche legte alle Ämter nieder. Die Frau, die so viele Jahre lang teils erbitterte Kämpfe gefochten hatte, um Dinge zu verändern, gab alle innerapparatlichen Einflussmöglichkeiten ab.

Weil es in ihrem Leben etwas gibt, das in der Tat größer ist als ein Amt? Weil sie als Kirchenfrau und ausgebildete Pfarrerin trotz allem Glamour auch weiterhin in kleinen niedersächsischen Landkirchen predigte und sich in Dörfern zum Kirchenkreis einladen ließ? Weil sie als Bischöfin der größten evangelischen Landeskirche gar nicht anders konnte, als den Kontakt zu den Menschen zu halten. Und deshalb sofort wusste, was es bedeutet, wenn sie ihr höchstes Gut, ihre Glaubwürdigkeit, verliert?

Ein anderer Niedersachse, Christian Wulff, ist wieder ganz anders mit seiner Krise umgegangen. Er hat nicht zu lange geschwiegen, sondern im Gegenteil zu früh und vor allem zu viel geredet. Anstatt die teilweise absurd kleinteiligen Vorwürfe einfach zu ignorieren, hat er sich in widersprüchlichen Details verheddert und so in der Tat nicht nur sich, sondern auch dem Amt nachhaltig geschadet. Qualvolle zwei Monate kämpfte er. Und im Nachhinein tritt in seiner Rücktrittsrede seine Naivität fast schmerzhaft zutage: „Ich habe Fehler gemacht, aber war immer aufrichtig.“

Mehr als nur ein Amt

Christian Wulff war als Bundespräsident offensichtlich einfach überfordert. Früh schon hatten hämische Gegner behauptet, er kämpfe auch so verzweifelt und redselig, weil es ihm eben nicht nur um sein Amt gehe, sondern auch um sein Leben, zumindest das an der Seite seiner Gattin Bettina. Auch hier gibt es wieder eine tragische Komponente. Die nämlich, dass es ja in der Tat so ist, dass Wulff nicht nur sein Amt los ist, sondern nun auch seine Frau.

Hat ihn das im sinnlosen Kampf gehalten? Oder lag es daran, dass er, der schon so jung in die Partei eintrat, nie etwas anderes hatte als seine Politkarriere? Dass er so verblendet war vom eigenen Glanz im Schloss Bellevue und dazu so schlecht beraten, dass ihm jeglicher Realitätssinn abhandenkam?

Bei Karl-Theodor zu Guttenberg scheint der Fall wieder anders gelagert. In seinem Leben schien es schlicht undenkbar, dass man über so eine vermeintliche Lapalie wie falsches Zitieren stolpern kann. Das passte so gar nicht ins Weltbild, dass ein Mann mit einem solchen Namen tatsächlich öffentlich überführt wird. Seine Rücktrittsrede strotzt entsprechend vor einer Selbstwertschätzung, die mindestens arrogant zu nennen ist. Und doch gibt es auch hier einen Satz, der aufhorchen lässt.

„Es ist bekannt, dass die Mechanismen im politischen und medialen Geschäft zerstörerisch sein können.“ Sein Anliegen ist klar. Er will seinen Rücktritt damit begründen, dass er sich seinen Charakter eben nicht verbiegen lassen will.

Häme und Hetze

Wahr ist die These dennoch. Denn was macht das mit den Menschen, die über Jahrzehnte lang an vorderster Front im politischen Geschäft stehen. Die neben einer sehr gerechtfertigten und notwendigen kritischen Medienberichterstattung immer wieder auch üble Häme und billige, quotenträchtige Hetze über sich ergehen lassen müssen?

Sind es nur noch ganz bestimmte Menschentypen, die überhaupt in die Spitzenpolitik wollen, weil sie wissen, was heutzutage damit an permanenter medialer Aufmerksamkeit und potenziellen Twitter-Stürmen einhergeht? Und wie werden die Menschen geprägt: durch die täglichen Erfahrungen, selbst erlebt oder bei anderen beobachtet? Wie porös dürfen PolitikerInnen überhaupt bleiben, wie durchlässig, wie angebunden ans wirkliche Leben, an den gesunden Menschenverstand? Dabei geht es nicht um Mitleid. Es geht um die Frage, welche Charaktere es eigentlich in die Spitzenpolitik schaffen und welche sich dort halten.

Februare scheinen die Monate für Rücktritte, zumindest wenn wir uns Käßmann, Guttenberg und Wulff anschauen. Noch ist dieser Monat drei Wochen lang. Wir werden am Ende mehr wissen, darüber, wie ernst sich der Wissenschaftsbetrieb nimmt, wie einheitlich die Maßstäbe sind, mit denen die Kanzlerin ihr Spitzenpersonal bewertet, aber auch darüber, wie eine Frau wie Annette Schavan tickt.

Wenn wir genau hinschauen, werden wir einiges lernen können über die Verfasstheit unseres Landes und unseres politischen Betriebs. Und ob Frauen vielleicht ein besseres Händchen für den richtigen Moment haben. Oder Margot Käßmann einfach nur eine rühmliche Ausnahme bleibt.

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