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Protest an der East Side Gallery in BerlinTeilabriss vorerst gestoppt

Ein Teil der Mauerreste nahe der Oberbaumbrücke in Berlin wurde abgetragen. Grund ist ein privates Großprojekt für Luxuswohnungen – das sehr umstritten ist.

Proteste am Freitagmorgen an der Mauer. Bild: reuters

BERLIN taz | In der weltbekannten Berliner Mauer-Galerie klafft ein neues Loch. Am Freitagmorgen riss ein Kran ein bemaltes Stück aus der East Side Gallery, dem längsten noch erhaltenen Stück der Mauer. Nach Protesten von mehreren hundert Menschen wurde der Teilabriss am Mittag vorerst gestoppt. Ob und wann die Arbeiten fortgesetzt werden, war zunächst nicht bekannt. CDU und SPD forderten den Erhalt des Geschichtszeugnisses.

Vertreter von Bürgerinitiativen sowie Künstler hatten die Straße an der weltweit längsten Open-Air-Galerie blockiert. Es gab kleinere Gerangel mit der Polizei. Fünf Demonstranten wurden festgenommen, wie ein Sprecher sagte. Rund 100 Polizisten waren im Einsatz.

Die East Side Gallery nahe der Oberbaumbrücke entstand nach dem Mauerfall. Knapp 120 Künstler bemalten den Betonwall auf 1,3 Kilometer Länge.

Wegen eines privaten Bauprojekts zwischen der früheren Hinterlandmauer und der Spree sollten für einen Durchgang mehrere Blöcke aus dem Betonwall herausgenommen werden. Auf dem früheren Todesstreifen soll ein Hochhaus mit Luxuswohnungen entstehen. In der Vergangenheit hatten Investoren bereits Durchbrüche erstritten.

Am Donnerstag hatten überraschend die Vorbereitungen für den Abriss begonnen. Auf einer Länge von rund 20 Metern wurde die obere Kante des Betonwalls abgetragen. Die Pläne des Investors stammen zum Teil noch aus den 90er Jahren. Am Freitag wurde ein rund ein Meter breites Stück aus dem Mauerwall herausgebrochen.

Die Initiative "Mediaspree versenken!" sprach nach dem Stopp von einem Teilerfolg. "Wir kommen wieder", sagte Robert Muschinski für den Fall, dass der Abriss weitergeht.

CDU-Fraktionschef Florian Graf sprach sich für ein Moratorium aus, um sowohl das Bauprojekt als auch die historische Mauerinstallation zu erhalten. Das Mauerstück stehe für die Identität der Stadt.

Die oppositionelle Grünen-Fraktion warf dem rot-schwarzen Senat vor, die internationale Bedeutung des Kunst- und Gedenkortes zu ignorieren. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) müsse sich für die Sicherung der Bildergalerie einsetzen, forderte Fraktionschefin Antje Kapek.

Der Dachverband der SED-Opfer sprach angesichts der Beschädigung von einem dramatischen Akt von Kulturbarbarei und einer gefährlichen Geschichtsvergessenheit.

Schon vor dem Teilabriss stand fest, dass der Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses am 11. März über die bedrohten Freiluft-Bilder diskutieren wollte. Die CDU hatte die Debatte unter dem Titel "Verunstaltung an der East Side Gallery" beantragt.

In der Euphorie über die Wiedervereinigung waren große Teile der Mauer beseitigt worden. Heute ringen Historiker und Opfer um den Erhalt der wenigen originalen historischen Zeugnisse.

Der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), hatte zuvor erklärt, Versuche, den Bebauungsplan zu ändern, seien an Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) gescheitert. Für die SPD-Fraktion sagte Brigitte Lange dem Sender radioeins, der Bezirk gehe nicht sensibel genug mit dem Mauerstück um. (dpa)

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18 Kommentare

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  • J
    Jens

    Richtig bitter: Es ist ein GRÜNER Bezirk und ein wirklich unanständiger grüner Bürgermeister, die hier in Nacht- und Nebelaktionen mit völlig rücksichtslosen Luxus-Investoren gemeinsame Sache machen. Völlig über die Köpfe von Bürgern und Anwohnern hinweg wird ein weltweit einzigartiges Denkmal einfach zerstört. Und der Bezirk schweigt. der Mann sagt - NICHTS! Ich bin fassungslos.

  • H
    HinzundKunz

    Und die Cops drohen gleich wieder mit Pfefferspray, obwohl es nur zu Abwehr einer persönlichen Gefahr für den Beamten und nicht zur Auflösung von Menschenmengen erlaubt ist. Hand in Hand mit verbrecherischen Spekulanten, in dem Fall also keine Freunde und Helfer des Bürgers, sondern Knechte der wirtschaftlichen Interessen von Leuten ohne Gewissen. Wem das Gebiet auf dem Papier gehört, ist mir dabei scheißegal, daran hätte dieses Spekulantengesindel eher denken sollen, die Mauer bleibt dort stehen, wo sie als Mahnmal auch Sinn macht, sonst wird es gewaltig viel Schall und Rauch geben, denn es ist ein Schlag ins Gesicht für jeden ehem. DDR-Bürger und eine Verhöhnung der Opfer, dort einfach Eigentumswohnungen zu bauen, für neu zugezogene gebrauchte Altbundesbürger. Glaubt nicht, dass das so einfach hingenommen wird!

  • RM
    Ralf Möllering

    Hahaha:

    "CDU und SPD forderten den Erhalt" ?

    und:

    "Am Donnerstag hatten überraschend die Vorbereitungen für den Abriss begonnen." ?

     

    Regiert den Laden eigentlich irgendwer?

  • A
    aujau

    Ohne die boesen Berufsdemonstranten gaebe es viel weniger touristische Anziehungspunkte und Flair, welches von den Betonpinklern zerstoert wird.

    Fuer wirklich notwendige Baumassnahmen z. B. an Schulen ist zuwenig Geld da.

    Wo bleibt eigentlich die Haftung der Baufirmen beim Flughafendesaster?

  • N
    Nemi

    @Ursula: Ich hoffe diese Berufsgentrifzierer, Goldgräber und Kulturgutzerstörer werden zur Rechenschaft gezogen!

  • S
    Sara

    Der Abriss der Mauerreste muss gestoppt werden und darf nicht passieren!

     

    Die ganze Welt reist nach Berlin, um Original-Mauerreste zu shene. Die bescheuerten PolitikerInnen, u.a. Herr Wowereit, haben nach 1998 fast die ganze Berliner Mauer abgerissen. Alle TouristInnen fragen einen, wo war die Mauer?

     

    Die letzten athentischen Mauerstücke mpüssen erhalten bleiben, das sind geschichtlich äußerst wertvolle Monumente.

     

    Die Denkmalschutzbehörde des Senats hat vollkommen versagt. Für den lächerlichsten Mist setzt sich diese Behörde ein, aber mit dem Abriss der letzten erhaltenen Mauerstücken für Luxuswohnungen ist sie einverstanden.

     

    SPD und CDU haben ebenfalls völlig versagt. Wie kann der Senat nur so eine geschichtsverachtende Politik machen nur zugunsten von geldgierigen Investoren?

     

    Übrigens: Antje Kapek sollte sich endlich auch mal um die völlig verfehlte Politik ihres Parteikollegen Umweltstadtrat Panhoff in ihrem Wahlkreis kümmern, der seit langem in Friedr.- Kreuzberg auf Steuerzahlerkosten die Stadtnatur ruiniert.

     

    https://baumschutz.wordpress.com/2013/02/27/ueber-wert-von-absprachen/#comment-2333

  • B
    überrascht

    So ein Kunstwerk und Mahnmal muß unbedingt erhalten werden!!

     

    Da wird um diesen unsäglichen Dilletantenstadl Tacheles, in dem jeder der aus einer Gabel 'n Männeken biegen kann zum Künstler ernannt wird, jahrelang prozessiert und die Räumung monatelang verschoben.

     

    Aber hier, wo es um ein weltbekanntes Kunstwerk geht, da werden blitzschnell Tatsachen geschaffen.

    Es braucht wohl kein besonderes Fingerspitzengefühl, Interesse an Kunst und Verantwortung gegenüber Kunst und geschichtlichem Erbe wenn man im berliner Senat verantwortlich für Kultur oder Stadtplanung ist.

  • U
    ursulamagichnicht

    Lieber Pferd im Essen als Esel in der Politik! Danke an die 300 Demonstranten. Wir brauchen mehr davon.

     

    Ursula ich mag dich nicht.

  • D
    drui

    Zitat aus dem Angebot der Immo-Firma:

    "Das Konzept beinhaltet eine ökologisch ausgerichtete Temperierung des Gebäudes, eine Elektrotankstelle zur Förderung umweltfreundlicher Energien sowie reichlich Fahrradstellplätze zur Belebung der Uferpromenade und der East Side Gallery. Das Grünkonzept sieht eine nachhaltige Belebung des Standortes vor."

     

    Wie passt der grün-soziale Anstrich von extrem teuren Luxuswohnungen zur Zerstörung von Kunst, Nacht-und-Nebelaktionen unter dem Schutz der Polizei und der Nicht-Partizipation von Künstlern, Anliegern, Politik und Öffentlichkeit?

  • IN
    Ihr Name hmhm

    @christian:

     

    bin ja nicht informiert, in allen zeitungen steht das so wegen bebauung.

     

    http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article114015764/Menschenkette-soll-Abriss-der-East-Side-Gallery-verhindern.html

     

    wo ist die andere info?

  • M
    Martin

    Wer tatsächlich noch daran glaubt, dass hier NUR eine Brücke gebaut wird, kann sich ja schonmal eine Wohnung kaufen, damit er den Bau von seinem Balkon direkt verfolgen kann: http://www.immonet.de/angebot/19786949

  • H
    Hallo

    Ist natürlich schon eher widerlich, wobei mich vor allem stört, dass das Ufer zugebaut wird. Ich glaube kaum, dass die Clubszene in Berlin stirbt, weil irgendwo ein Luxushochhaus entsteht. Das überlebt die Szene, glaube ich.

     

    Im Artikel fehlen leider jede Menge grundsätzliche Infos, z.B. wer baut das Ding? (bing C & H City & Home GmbH)

  • TL
    Tim Leuther

    Kann man nicht minimalinvasiv eine Tür reinbauen?

     

    Die Tür kann zwischen zwei Bildern sein und den Bildern entsprechend ebenfalls bemalt sein, so das es kaum auffällt.

  • C
    christian

    Ihr seid ja wohl nicht mehr ganz bei Verstand: Grund ist mitnichten eine Bebauung sondern eine Fuß und Radbrücke, die Kreuzberg und Friedrichshain verbindet.

    Dieser Populismus in Fragen der Stadtentwicklung ist bald nicht mehr erträglich.

  • S
    super

    „Berlin wird leben und die Mauer wird fallen“ Willy Brandt

  • W
    Westberliner

    Die Interessen des Kapitals sind nur noch mit polizeilicher Gewalt durchzusetzen. Jeder Polizist sollte den Sinn seines Dienstes hinterfragen und bei anstehenden Aktionen eine Krankmeldung abliefern, wenn er Gewissenbisse hat. In den Uniformen stecken Menschen. Darunter sind "robuste Nahkampfmaschinen" aber auch sehr sensible und nachdenkliche Menschen. Letztere sollten die Oberhand bekommen und alles kritisch hinterfragen.

    Power to the people - die Macht dem Volk

  • U
    Ursula

    Ich hoffe diese Berufsdemonstranten werden für die Bauverzögerung zur Rechenschaft gezogen.

  • DE
    Der Esel

    Dieses Vorgehen ist aus mehreren Perspektiven ein Skandal und eine Schande. Die Regierenden Berlin's haben einmal mehr bewiesen das ihnen die Bürger egal sind und sie offensichtlich kein Interesse an den Werten einer Demokratie haben! Jeder Polizist der sich an einer solchen Aktion beteiligt sollte sich vllt. langsam Fragen ob er noch den richtigen dient!