Debatte Homo-Ehe: Die Irgendwie-Kanzlerin

Bei der Homo-Ehe hat sich Angela Merkel grandios verkalkuliert. Mit ihrem strikten Nein zur Gleichstellung verprellt sie das moderne Bürgertum.

Direkt aus den fünfziger Jahren in die Zukunft gereist? Die Kanzlerin. Bild: reuters

Es gibt zwei Images der Angela Merkel, die in der medialen Darstellung immer neu variiert werden. Das erste lautet: Merkel ist eine begnadete Strategin. Sie beobachtet politische Prozesse akribisch, denkt die Dinge vom Ende her und weiß deshalb selbst verfahrene Situationen für sich zu nutzen.

Das zweite: Merkel agiert im Grunde progressiv. Sie, die nüchterne Ostdeutsche, erkennt die Zeichen der Zeit, besetzt Themen der Linken und modernisiert die verstaubte Christdemokratie.

Diese Einleitung war nötig, um zu verstehen, welchen Schaden die Debatte über die Gleichstellung der Homo-Ehe im Steuer- und Adoptionsrecht für die Kanzlerin bedeutet. Denn plötzlich schimmert ein anderes Bild von Merkel durch: das einer reaktionären Stammtischvorsitzenden, die direkt aus den fünfziger Jahren in die Zukunft gereist zu sein scheint.

Es ist ganz einfach: Merkel verwehrt Schwulen und Lesben auch künftig die gleichen Rechte wie Heterosexuellen. Sie lässt eine – sehr wahrscheinlich – grundgesetzwidrige Diskriminierung zu. Und sie nimmt billigend in Kauf, dass das Verfassungsgericht die CDU schon in Kürze zu einer Kurskorrektur zwingen wird. Mit dieser Positionierung schadet sich Merkel gleich doppelt, indem sie beide Erzählungen – die der Taktikerin und die der Modernisiererin – eindrucksvoll widerlegt.

Mutige Modernisierung? Von wegen

Begonnen hatte diese Fehlerkette bereits kurz vor dem CDU-Parteitag im Dezember. „Ich persönlich möchte die steuerliche Privilegierung der Ehe beim Splittingtarif erhalten“, ließ sie damals die Delegierten via Boulevardzeitung wissen. Merkel, die sonst gern im Ungefähren verharrt, legte sich also früh fest. Sie schlug sich nicht nur auf die Seite der Traditionalisten, sie verband dies auch mit ihrer Person. Spätestens nach dem Kanzlerinnenwort war klar, dass der Parteitag die rückwärtsgewandte Linie absegnet.

So viel zum Thema mutige Modernisierung. Merkel hätte durchaus anders gekonnt. Hätte sie sich an die Spitze der innerparteilichen Pro-Gleichstellungs-Bewegung gesetzt, hätten die Delegierten ihr die Gefolgschaft kaum verweigert. Merkels Wort ist Gesetz in der CDU, ihr Führungsanspruch unangefochten.

Doch die Kanzlerin zögerte. Weil sie den dauerfrustrierten Konservativen ein Thema lassen wollte, weil sie die wahlkämpfende CSU in Bayern braucht, weil eine Kampfabstimmung über einen Kurswechsel ein größeres Risiko bedeutet als eine über den Status quo.

Die Situation zeigte wie unter dem Brennglas ein Defizit Merkels auf, an dem ihre ganze Kanzlerschaft krankt. Gute Führung zeichnet sich dadurch aus, dass sie im richtigen Moment Verantwortung übernimmt. Und dass sie Überzeugungen nicht nur erkennen lässt, sondern auch für sie streitet. Merkel verpasste wieder einmal den magischen Moment.

Rauchende Trümmer überall

Auch im zweiten Akt des Homo-Ehe-Streits, der jüngst zu verfolgen war, machte sie keine gute Figur. Den Anstoß gaben drei hohe CDU-Politiker. Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer legte seiner Partei nach einem Verfassungsgerichtsurteil zum Adoptionsrecht nahe, sie müsse „in Sachen Gleichstellung beweglicher werden“. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble und Fraktionschef Volker Kauder plädierten für Offenheit.

Alle drei gehören zum inneren Kreis der CDU-Spitze, sie stehen zu Recht im Ruf, sich präzise mit der Kanzlerin abzusprechen. Es ist schwer vorstellbar, dass ausgerechnet diese drei bei einem wichtigen Streitthema unabgesprochen vorpreschen. Der Verdacht liegt nahe, dass Merkel von dem Vorstoß wusste.

So gesehen waren die vergangenen Tage ein Testlauf der Kanzlerin. Wollte sie die Partei doch noch zu einem Kurswechsel bewegen, weil ihr schwante, wie unangenehm das Thema im Wahlkampf werden würde? Falls dem so war, schwenkte sie am Ende erneut. Und kassierte die Rufe nach Liberalisierung, nachdem CSU-Chef Horst Seehofer sein Veto eingelegt hatte.

Erst bringt Merkel also die CDU dazu, eine juristisch unhaltbare und rückschrittliche Position per Beschluss in Beton zu gießen. Dann nährt sie den Verdacht, diesen demokratisch gefällten Beschluss über Bande doch noch kippen zu wollen. Und am Ende brüskiert sie die, die sie vermutlich selbst vorgeschickt hat.

Fatale Botschaft an die bürgerliche Mitte

All dies ist kein gewieftes Taktieren, es ist schlicht die Abwesenheit von Führung und Haltung. Wo man hinsieht, hinterlässt Merkel Trümmer: Mehrere angesehene CDU-Politiker bleiben beschädigt zurück. Die Partei zieht mit einer Position in den Wahlkampf, die ihr bis Mitte des Jahres von Karlsruhe um die Ohren gehauen wird. Und Merkel hat sich selbst dekonstruiert.

Die Kanzlerin ist eine begnadete Zeitgeistpolitikerin, aber welche Überzeugungen sie leiten, bleibt meist ungewiss. Stattdessen adaptiert sie, wie die Mehrheit denkt. Sie setzte auf dem Leipziger Parteitag 2003 einen radikal neoliberalen Kurs durch, heute will sie Lohnuntergrenzen. Sie verlängerte Laufzeiten von Atomkraftwerken, bis Fukushima und Umfragen sie eines Besseren belehrten. Sie hielt die Wehrpflicht hoch, bis ihr Exverteidigungsminister sie einsparen wollte.

Insofern ist folgerichtig, dass Merkel bei der Homo-Ehe scheitert. Schließlich stemmt sie sich dieses Mal gegen den Zeitgeist, statt ihn aufzusaugen.

Nun kann man über Merkels Überzeugungen nur spekulieren. Wahrscheinlich fände die sonst unideologische Pragmatikerin es völlig okay, Schwule und Lesben gleichzustellen. Doch nutzen solche Vermutungen über Merkels wahre Ansichten Homosexuellen in der Republik wenig.

Letztlich ist es egal, ob die Kanzlerin Diskriminierung gutheißt oder ob sie die Rechte einer Minderheit taktischen Interessen opfert. Entscheidend ist, dass Merkel mit ihrer Verweigerung keine reine Szenedebatte mehr provoziert.

Vielmehr sendet sie eine fatale Botschaft an die breite Mitte der Gesellschaft. Für aufgeschlossene Bürgermilieus sind Schwule und Lesben Freunde, Kollegen und Partner und keine zu vernachlässigende Minderheit. Sie dürften ihre – in Umfragen belegte – Sympathie für die Kanzlerin nun noch mal überdenken. Merkel hat vorgeführt, dass Haltungslosigkeit pure Ideologie oktroyieren kann.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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