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Archiv-Artikel

Vietnamesenkinder besonders schlau

Studie: Im Osten Deutschlands gibt es mehr Abiturienten und weniger Sonderschüler unter Migranten als im Westen. Über 70 Prozent der Einwandererkinder stammen aus Osteuropa oder Asien. Bildung hat in diesen Kulturen einen hohen Stellenwert

„Die Schüler bekommen von den Eltern eher zu viel Leistungsdruck“

VON MARINA MAI

Anders als im Westen gehören Migrantenkinder in den ostdeutschen Bundesländern zu den leistungsstärksten Schülern in den Schulen. In Brandenburg, das unter den Ostländern den Spitzenplatz erreicht, legten 44 Prozent aller Migrantenkinder das Abitur ab. Das sind deutlich mehr als unter deutschen Schülern Brandenburgs, von diesen schafften nur 29 Prozent die Hochschulreife.

Auch in den anderen ostdeutschen Ländern ist die Bilanz positiv: In Thüringen verlassen 12 und in Sachsen 20 Prozent aller Migrantenkinder die Schule mit der Hochschulreife. Im bundesdeutschen Durchschnitt erreichen hingegen nur neun Prozent der Einwandererkinder das Abitur. Die Abi-Quote der Migrantenkinder in Thüringen und Sachsen liegt allerdings unter der entsprechenden Quote ihrer deutschen Altersgenossen. Für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt liegen zwar keine Zahlen der Abiturienten unter den Migranten vor. Doch sie dürften ähnlich hoch liegen, denn zwischen 30 und 40 Prozent aller Einwandererkinder besuchen dort Gymnasien.

Die Zahlen legte die Potsdamer Sozialwissenschaftlerin Karin Weiss am Wochenende auf der Fachtagung „Zuwanderung und Integration in den neuen Bundesländern“ in Potsdam vor. „In der Pisa-Studie werden die Bildungserfolge der ostdeutschen Kinder mit Migrationshintergrund nicht ausgewertet, weil es so wenige sind“, beklagt die Wissenschaftlerin, „doch wenn man sie aus allen fünf neuen Ländern ohne Ostberlin zusammenzählt, kommt man immerhin auf 20.000 Kinder.“ Diese Kinder dürfe man nicht einfach unter den Tisch fallen lassen.

Auch auf der anderen Seite der Bildungspyramide sind Migrantenkinder in den Ostländern und besonders in Brandenburg Spitze: Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern besuchen weniger als 10 Prozent der jungen Migranten die Sonder- und Förderschulen. Damit liegt der Anteil der Förderschüler geringer als unter gleichaltrigen Deutschen in diesen Ländern. In Brandenburg verlassen zudem lediglich sieben Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund die Schule ohne Abschluss.

„Diese Zahlen widersprechen jeglicher These von den generell schlechten Bildungschancen ausländischer Jugendlicher. Sie sind sogar so gut, dass man zunächst an einen Irrtum glaubt“, sagt Karin Weiss. Doch Migranten in Ostdeutschland weisen seit Jahren gute Schulergebnisse auf, und die Tendenz zeigt sogar nach oben. „Das überrascht, weil gerade in den Ostländern unter den Zuwanderern viele sind, die erst während der Schulzeit nach Deutschland kommen.“

Über die Gründe kann Karin Weiss nur spekulieren. „In den Ostländern kommen die Zuwanderer aus anderen Herkunftsstaaten als in den Westländern.“ Über 70 Prozent stammen aus Osteuropa und aus Asien, nur verschwindend wenige aus der Türkei und den Alt-EU-Staaten. Karin Weiss: „Es spricht vieles dafür, dass in den Familien dieser Herkunftskulturen Bildung einen höheren Wert hat.“

Für die jüdischen Zuwanderer aus den GUS-Staaten und für Vietnamesen kann Weiss das mit Daten nachweisen. Spitze sind die Vietnamesen in Thüringen: Von ihnen besuchen 63 Prozent ein Gymnasium. Hinzu kommt, dass unter der großen Gruppe der Vietnamesen fast alle Kinder von klein auf in die Kitas gehen und dort Deutsch lernen. „Hingegen hatten in den alten Bundesländern Migrantenkinder lange Zeit einen schlechteren Zugang zu Kindergärten als deutsche Kinder“, erklärt Weiss.

Für Brandenburg spielt auch die so genannte Bildungsmigration eine Rolle: 15 Prozent der ausländischen Schüler stammen aus Polen und kommen als Grenzgänger nach Deutschland, um hier den Schulabschluss zu machen. „Dass von solchen Schulversuchen eher bildungsorientierte junge Polen Gebrauch machen, liegt auf der Hand. Das ist eine riesige Chance für diese strukturschwache Region“, sagt die Sozialwissenschaftlerin.

In der Lehrerfortbildung werde in den Ostländern das Thema Migration behandelt, als hätte man dort – wie im Westen – mit schlechten Deutschkenntnissen und bildungsfernen Elternhäusern zu tun, beklagt Weiss. „Damit redet man an den wirklichen Problemen der Lehrer vorbei. Die haben es eher mit Schülern zu tun, die von den Eltern zu viel Druck in Bezug auf die Schule bekommen und daran mitunter zerbrechen.“