: „Mich fesselt dieses Strahlen“
NATIONALSOZIALISMUS Den 1943 ermordeten „Lübecker Märtyrern“ ist ein Oratorium gewidmet, das jetzt in Hamburg uraufgeführt wird. Es handelt nicht vom Leben der vier Geistlichen, sondern von ihrer bis zuletzt ungebrochenen Zuversicht
■ 57, Organist und Komponist, ist seit 2000 Kirchenmusiker in Hamburg-Wandsbek. Er erforscht von dort stammende Komponisten, aber auch vergessene Orgelwerke der französischen Romantik.
taz: Herr Willscher, war es Ihre Idee, ein Oratorium über die vier „Lübecker Märtyrer“ zu schreiben?
Andreas Willscher: Die Idee stammt vom Hamburger Erzbischof Werner Thissen, der kürzlich sagte, dass man die „Lübecker Märtyrer“ durch ein Oratorium würdigen könnte. Da mich das interessierte, habe ich eins geschrieben.
Es ist kein Auftragswerk?
Nein. Ich habe es komponiert, weil es mir ein Bedürfnis war, an diese drei katholischen Kapläne Hermann Lange, Johannes Prassek, Eduard Müller und den evangelischen Pfarrer Karl Friedrich Stellbrink zu erinnern.
Verbindet Sie selbst etwas mit diesen vier Widerständlern?
Franz von de Berg, der einstige Pfarrer der St.-Joseph-Kirche in Hamburg-Wandsbek, wo ich als Organist arbeite, fühlte sich ihnen sehr verbunden. Besonders Kaplan Eduard Müller hat er gut gekannt. Er hatte auch Dokumente verwahrt, die ich in seinem Nachlass fand. Und da ich eine Zeit lang mit von de Berg zusammengearbeitet habe und er viel von den „Märtyrern“ erzähle, wusste ich einiges. Die Lektüre der Briefe hat ein Übriges getan.
Was fesselt Sie an den Geistlichen?
Dieses Strahlen. Die Tatsache, dass sie angesichts des bevorstehenden Todes nie die Zuversicht verloren. Sie haben trotz allem hoffnungsvoll in die Zukunft auf die göttliche Verheißung geblickt – die des ewigen Lebens. Diesen Glauben haben sie nie aufgeben, und das spricht auch aus ihren Gebeten und Briefen: Da ist mehr Licht als Schatten.
Wie ist Ihr Oratorium aufgebaut?
Es ist eine Art Meditation aus Texten des Librettos, das der Hamburger Theologe Klaus Lutterbüse geschrieben hat. Es war ihm wichtig, die Märtyrer historisch zu verorten und andererseits die Kirche als Hoffnungsträger zu benennen.
Und welche Texte kommen darin vor?
Unter anderem Hirtenbriefe von Clemens August Graf von Galen, der damals Bischof in Münster war und sich als erster Geistlicher öffentlich gegen die Euthanasie der Nazis aussprach. Die vier Lübecker hatten seine Predigten verbreitet, was Grund ihrer Verhaftung war. Von Galen sagt darin unter anderem: „Wir sind Amboss, nicht Hammer“ und „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Diese Passage zieht sich refrainartig durch das Oratorium.
Gibt es Bezüge zur Vita der „Märtyrer“?
Ein Gedicht Lutterbüses spielt auf eine Predigt Pastor Stellbrinks an. Darin hatte er sich darüber ereifert, dass die Nazis während einer Trauerfeier ein Kreuz verhängt hatten. Nach der Bombardierung Lübecks 1942 sagte er sinngemäß, dies sei die Strafe. Dieser Satz war Mitauslöser seiner Verhaftung.
Zitieren Sie aus Briefen der „Märtyrer“?
Ja, aus einem Gebet des Kaplans Eduard Müller: „Herr, hier sind meine Hände. Lege darauf, was du willst. Führe mich, wohin du willst. In allem geschehe dein Wille.“ Er war erstaunlich gelassen. Genau wie die anderen drei.
Wie endet das Oratorium – mit der Bergpredigt?
Die vier „Lübecker Märtyrer“ starben am 10. November 1943 in Hamburg durch das Fallbeil. Der nationalsozialistische „Volksgerichtshof“ hatte sie wegen „Wehrkraftzersetzung, Heimtücke, Feindbegünstigung und Abhören von Feindsendern“ zum Tode verurteilt. Es waren:
■ Hermann Lange (*1912), katholisch, ab 1939 Vikar an der Lübecker Herz-Jesu-Kirche
■ Johannes Prassek (*1911), katholisch, ab 1939 Adjunkt, dann Kaplan an der Herz-Jesu-Kirche
■ Eduard Müller (*1911), katholisch, ab 1940 Kaplan an der Herz-Jesu-Kirche
■ Karl Friedrich Stellbrink (*1894), evangelisch, Pastor der Lutherkirche in Lübeck; 1933–1937 NSDAP-Mitglied; 1941 Begegnung mit Prassek
■ Vorbild war Clemens August Graf von Galen (1878–1946), genannt der „Löwe von Münster“, wo er ab 1933 Bischof war. Er hielt ab 1941 NS-kritische Predigten, etwa gegen die Tötung „unwerten“ Lebens. Kirchenleute wie die Lübecker verbreiteten seine Predigten.
■ Die Katholiken Lange, Prassek und Müller wurden 2011 seliggesprochen, an Stellbrink erinnert seit 1969 der Evangelische Namenkalender.
Nein, die gibt es zu Beginn: „Selig sind, die um meinetwillen beschimpft und verfolgt werden“, heißt es da. Den abschließenden Trost gibt es am Schluss mit einer Sequenz aus Jesaja: „Wir werden wiederkommen mit Jauchzen und Freuden. Kummer und Seufzen werden entfliehen.“
Zur Musik: In welcher Tradition sehen Sie sich selbst?
Ich komponiere modern, aber nicht extrem atonal. Ich bin gewissermaßen Enkelschüler von Olivier Messiaen: Ich habe unter anderem bei seinem Schüler Günter Friedrichs studiert.
Zum Schluss: Warum wird das Oratorium ausgerechnet in Hamburg-Wandsbek aufgeführt?
Wandsbek ist meine Wirkungsstätte, und der Bezug zu Lübeck ist durch den einstigen Pfarrer von de Berg gegeben. Er kannte nicht nur die vier „Märtyrer“, sondern war auch Liturgik-Professor in Lübeck und hat bis heute existierende Verbindungen zwischen Wandsbek und Lübeck aufgebaut. Aber es wäre natürlich schön, wenn das Oratorium eines Tages auch in Lübeck gespielt würde. INTERVIEW: PS
Sonntag, 17 Uhr, St.-Joseph-Kirche, Hamburg, Witthöftstraße 1