Räumung des Gezi-Parks: „Verbrechen gegen Menschlichkeit“

Durch das brutale Vorgehen der Polizei soll es hunderte Verletzte gegeben haben. Für Sonntag ruft das Protestbündnis zu einer Massendemo in Istanbul auf.

Die Polizei führte den Einsatz wie einen Krieg, kritisieren die Demonstranten Bild: reuters

ISTANBUL dpa/afp/rtr | Bei der gewaltsamen Räumung des Gezi-Parks in Istanbul sind nach Angaben der türkischen Protestbewegung in der Nacht zum Sonntag hunderte Menschen verletzt worden. Die Polizei habe ihren Einsatz mit einer Gewalt wie im Krieg geführt, kritisierte die Taksim-Plattform, die zu den wichtigsten Organisatoren der Proteste gehört.

Die Gruppe wertete den „brutalen Angriff“ mit Gummigeschossen, starkem Tränengas und Schockgranaten zu einer Zeit, zu der auch viele Frauen mit Kindern und ältere Menschen im Park waren, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie verlangte, die Polizei müsse auch aufhören, die Arbeit von Ärzten zu behindern, die den Demonstranten freiwillig helfen.

Nach dem Angriff auf den Gezi-Park flüchtete die viele Demonstranten in die umliegenden Straßen und suchten unter anderem in den dortigen Hotels Schutz. Einige hätten dort erbrechen müssen. Familien mit kleinen Kindern seien in Seitenstraßen gerannt, um sich vor der Polizeigewalt zu schützen. Tausende Menschen errichteten Barrikaden. Einige forderten den Rücktritt Erdogns. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie eine Gruppe Demonstranten eine große Zufahrtstraße zum Atatürk-Flughafen blockierte.

Roth: „Es war wie im Krieg“

Grünen-Chefin Claudia Roth, die als Zeichen der Solidarität mit den Aktivisten im Gezi-Park war, schilderte den Polizei-Einsatz in dramatischen Worten. „Wir versuchten zu fliehen, und die Polizei verfolgte uns. Es war wie im Krieg“, sagte Roth.. Der Istanbuler Gouverneur Hüseyin Avni Mutlu sprach dagegen von einem reibungslosen Einsatz. 29 Menschen seien leicht verletzt worden.

Die Organisation Taksim-Plattform erklärte, die Gewalt werde die Proteste im Land nicht stoppen können. Am Sonntagmorgen gab es weitere Auseinandersetzungen. Die Polizei habe eine Gruppe Demonstranten von der Einkaufsstraße Istiklal aus verfolgt, berichtete ein Augenzeuge. Am frühen Sonntagabend will die islamisch-konservative Regierungspartei AKP ihre Anhänger in Istanbul zu einer Kundgebung versammeln

Auch in Ankara massive Proteste

Auch in der Hauptstadt Ankara kam es zu Protesten. Dort setzten sich demonstrativ Oppositionsabgeordnete in die erste Reihe, um einen Tränengas-Einsatz zu verhindern. Der Gewerkschaftsverbund Kesk rief für den öffentlichen Dienst für Montag zu einem Generalstreik auf. Über den Kurznachrichtendienst Twitter wurde für Sonntag zu einer Massendemonstration aufgerufen.

Der erste gewaltsame Polizeieinsatz gegen die Aktivisten in dem Park hatte vor zwei Wochen die größte Protestwelle in der rund zehnjährigen Amtszeit Erdogans ausgelöst. Ursprünglich richtete sich der Widerstand einzelner Gruppen gegen die Pläne der Regierung, im Gezi-Park eine Nachbildung einer osmanischen Kaserne zu bauen.

Doch das massive Vorgehen der sorgte dafür, dass sich die Demonstrationen zu einem landesweiten Protest gegen Erdogan auswuchsen. Dabei wurden nach Angaben des Ärzteverbandes vier Menschen getötet und etwa 5000 weitere verletzt. Die Demonstranten werfen dem konservativen Ministerpräsidenten einen zunehmend autoritären Regierungsstil vor und befürchten eine schleichende Islamisierung des Staates.

Opposition verurteilt brutales Vorgehen

Oppositionsführer Oguz Kaan Salici sagte, das brutale Vorgehen der Polizei werde auf Erdogan zurückschlagen. „Die Menschen fühlen sich betrogen.“ Erdogan hatte den Demonstranten trotz seines jüngsten Entgegenkommens am Samstag ein neues Ultimatum gestellt. „Wir haben morgen unsere Kundgebung in Istanbul. Ich spreche es deutlich aus: Der Taksim-Platz muss geräumt sein, sonst werden die Sicherheitskräfte dieses Landes wissen, wie er zu evakuieren ist“, hatte der Regierungschef vor Zehntausenden Anhängern seiner islamisch-konservativen AKP in einem Vorort von Ankara zugerufen.

Erdogan hatte am Freitag zunächst eingelenkt und zugesagt, ein Gerichtsurteil über die Baupläne abzuwarten und gegebenenfalls ein Referendum über die Zukunft des Parks abzuhalten. Er bestand aber darauf, dass die Besetzer ihr Zeltlager räumen. Einige Aktivisten zogen zwar ab, doch Hunderte Demonstranten blieben auch am Samstag in dem Park am belebten Taksim-Platz im Zentrum der Bosporus-Metropole.

Vertreter der Protestbewegung sagten, die Regierung habe nicht all ihre Forderungen erfüllt, etwa die Freilassung inhaftierter Demonstranten. Der massive Polizeieinsatz überraschte aber dann doch viele, auch weil Präsident Abdullah Gül kurz zuvor noch von Fortschritten bei den Gesprächen mit den Demonstranten sprach.

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