Punksänger Jens Rachut: Empathie mit Backsteinen

Jens Rachut ist die Symbolfigur der Hamburger Punkszene: Unversöhnlich, pampig, aber gut. Nun veröffentlicht der 59-Jährige zwei neue Alben.

Fährt gerne zum Angeln nach Finnland: Jens Rachut. Bild: Gabriele Summen

Im Zweifel hat der Mann mit dem Stoffhut ein paar knackige Utopien parat. Wenn Jens Rachut singt, röhrt und fiept, dann verkündet er immer auch Pläne, wie sich alles zum Besseren wenden könnte.

Man denke nur an die Idee, Tsetsefliegen zu züchten, „durchtrainiert und voll mit Hass“, die er mit seiner alten Band Oma Hans auf alles Böse in der Welt hetzte. Oder aber an seinen Willen, zurück in die Steinzeit zu flüchten und einigermaßen glücklich ein paar Mammute zu jagen. 2001 sang Rachut davon, ebenfalls gemeinsam mit Oma Hans.

Mit seinem jüngsten Projekt Nuclear Raped Fuck Bomb (N.R.F.B.) schickt er uns nun in die Wüste – und lässt einen Greifvogel die Plagegeister der Gegenwart davontragen: „Flieg sie bis zum Ozean / Flieg sie in den Tschad / Flieg sie in die Sahara / Und hol den nächsten ab“.

Jens Rachut, der im kommenden Jahr 60 wird, ist seit den frühen Achtzigern eine zentrale Figur der Hamburger Punkszene. Seine Bands – von Angeschissen über Blumen Am Arsch der Hölle bis zu Oma Hans – wurden immer auch über diese Kreise hinaus hoch geschätzt. Der kommerzielle Erfolg war dabei für Rachut weder dringlich noch fand er im großen Maßstab statt.

Ein anderes Kaliber

Nun erscheinen gleich zwei neue Alben mit Rachut-Beteiligung. Mit seiner Band Kommando Sonne-nmilch führt er solide, aber etwas überraschungsarm den melancholischen, treibenden Moll-Punk seiner früheren Bands fort. N.R.F.B. aber sind ein ganz anderes Kaliber.

Ihr reguläres Debütalbum „Trüffelbürste“ (eine EP erschien bereits 2011) folgt weitaus mehr einer neodadaistischen Programmatik – sofern man da von einer solchen sprechen kann. Neben Rachut wirken derzeit Mense Reents und Thomas Wenzel von den Goldenen Zitronen, Armin Nagel, Schlagzeuger der Noisecore-Band Kurt, die Schauspielerin Lisa Hagmeister und Becci Ohms mit, eine Organistin, die Rachut nach eigenen Angaben am Proberaum aufgegabelt hat.

Diese Crew bekommt von Rachut dessen poetische Qualitäten – die Band gibt ihm flauschige Beats und eine reingrätschende Gitarre zurück. Das Konzept: „Jeder macht das, was ihm gerade einfällt“, so Rachut. „Klassische Proben gibt es bei uns nicht.“

Da trifft dann in einer abenteuerlichen Mixtur eine obszön kreischende Orgel auf schlagkräftige Synthies, da folgen Chorstimmen auf Gejohle und Gestöhne, da poltern Beats genauso wie Gitarren klassische Blues- und Countrylicks spielen. Punk ist das höchstens im Geiste, denn das musikalische Feld ist weit, irgendwo zwischen Elektro und Freak Folk. Es finden sich gar ein paar Afro- und Karibikrhythmen dazwischen wieder.

Der achtziger Jahre-Punk

Rachut sieht man dabei durchaus den achtziger Jahre-Punk an. Rötlich gefärbte Haare, die unter der Kopfbedeckung hervorlugen. Dazu ein volles Gesicht mit breitem Grinsen. Große, weit aufgerissene, neugierige Augen. Er ist direkt und salbadert gern drauflos. „Ach, noch ein Jens – wie lebt sich’s mit dem Namen? In manchen Ländern können die den ja nicht aussprechen.“

Der Kerl mit Hut, Jeansjacke und Stranglers-Shirt sitzt gemeinsam mit Mense Reents in einer kleinen, ranzigen Kneipe in Prenzlauer Berg. Man reißt Witze mit dem Labelchef, säuft Discounter-Champagner. Und unterhält sich über Uli Hoeneß, Slayer und den eigenen Schrebergarten. Über Teufel und die Welt.

„Pressetage“ wie diese hier wären mit seinen alten Punkbands und ihrer Anti-Haltung zum Musikbusiness undenkbar gewesen. Inzwischen resümiert Rachut selbstironisch: „Uns geht’s gut, wir haben Champagner, Kaffee, und die Fahrkarten werden auch bezahlt.“ Dennoch möchte er auf Abstand zur Kulturindustrie bleiben. N.R.F.B. bringen es auf die allzu simple Formel: „Kill Mainstream“. Ein Song, in dem die Band vergnüglich im Wechsel „schrill“, „still“ oder „Grill Mainstream“ singt.

Größtmögliche künstlerische Unabhängigkeit ist ein zentrales Thema bei Rachut, Bands wie Kettcar warf er einst via Song sinngemäß Opportunismus vor. Und schon bei Dackelblut textete Rachut über Popkünstler, die von Musikmanagern gepimpt würden: „Deinen Tiefgang hat er weggemacht / Er streichelt noch das Haar.“ Den Marsch durch die musikalischen Institutionen verbindet Rachut mit mundtoten Musikern.

Anderen würde man diese strikte Anti-Haltung ganz sicher krumm nehmen, er kommt damit durch. Liegt’s am Humor? Liegt’s an den grotesken Texten? Es liegt wohl daran, dass Rachut in erster Linie ein brillanter Lyriker und Texter ist, der vom Erzählduktus her etwa in einer Tradition von Charles Bukowski oder bisweilen auch von William S. Burroughs steht.

Mäandernde Muster

So schildert er etwa in „Hochzeitstage“ realitätsnah eine gescheiterte Beziehung, während eine verzerrte Gitarre fies langsam dazu plätschert und darüber die zweite Gitarre das immergleiche, mäandernde Muster spielt: „Gewohnheit ein schlimmer Begleiter / Liebe erhängt sich am Kreisverkehr / Ich küsse dein Rücklicht im Winter / Es riecht nach befreitem Gelee“, heißt es dort. Von dieser Beziehung übrig bleibt: ein „kaputter Scheibenwischer“ und ein „voller Staubsaugerbeutel“.

Kleinbürgerliche Vorstellungen von menschlichem Zusammenleben waren immer mal wieder Sujet in Rachuts Texten, ebenso die Moralvorstellungen und die deutsche Mentalitätsgeschichte. Auch auf dem neuen Album von Kommando Sonne-n-milch klingt das durch: „Alles geschützt / Alles geregelt / Versicherungen bringen ruhigen Schlaf / Oder der Samstag / Mit seinem Tanzschritt / Der Lebensrhythmus wie bei einem Schaf“, singt er in „6/8“, und intoniert dann Homer-Simpson-like: „Laaangweilig“.

Rachut selbst klingt weniger langweilig, denn er hat sich zuletzt auf diversen künstlerischen Feldern probiert. So hat er Hörspiele produziert (unter anderem „Der Seuchenprinz“). Daneben war er auf dem Theater zu sehen, etwa im Schauspielhaus Zürich. Vorerst aber ist ihm die Lust an der Schauspielerei vergangen: „Ich bin mit Theater durch“, sagt er, „die labern mir viel zu viel, am meisten über sich.“

Lieber fährt Rachut nach Skandinavien und angelt in den Fjorden. „Ich war in Lappland, das ist so ergreifend geil da“, sagt er. Auch die finnische Volksmusik hat es ihm angetan: „Ich hab ja Internetradio – von Aldi, das beste – ich hör den ganzen Tag finnisches Radio“, berichtet er. „Versteh kein Wort, aber egal.“

Gebäudeklotz vertreibt Viecher

Dabei fühlt sich die Musik auf dem N.R.F.B.-Album ohnehin wie eine Weltreise an. Mal geht es in die Mongolei, mal auch nach Japan: Der Song „Fotoapparat“ handelt von weggentrifizierten Wildgänsen in Osaka, wo ein Gebäudeklotz am langjährigen Rastplatz der Viecher errichtet wurde.

Die Opfer menschlichen Treibens werden bei Rachut selbst dann thematisiert, wenn sie steinern sind: In dem Song „Kranke Bunker“ hat Rachut Mitleid mit Häusern und Wolken, die es an einer Strandpromenade mit den Menschen aushalten müssen: „Sie würden lieber am Meer abhängen / Statt sich zu ekeln vor den Kreaturen“, singt er. Die Empathie mit Backsteinen wiederum steht dem Mann mit dem Stoffhut ganz gut.

Nuclear Raped Fuck Bomb: „Trüffelbürste“ (Staatsakt/Rough Trade); Kommando Sonne-nmilch: „You Pay I Fuck“ (Major Label/Broken Silence); N.R.F.B. live: Freitag, 28. Juni, 19 Uhr, Fusion, Lärz; Samstag, 29. Juni, 20 Uhr, Festsaal Kreuzberg, Berlin.
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