Feuerwehr-Nachwuchs: „Bei den Frauen tut sich was“

Die Dörfer sind leer und in den Städten haben die Leute anderes im Kopf: die freiwillige Feuerwehr hat Personalsorgen. Ein Gespräch über die Entdeckung der Hausfrauen, die Vorbehalte der Akademiker und die Robustheit von Katzen

Hofft, in seiner Amtszeit noch die 40. Jugendfeuerwehr zu gründen: der Stormarner Kreiswehrführer Gerd Riemann. Bild: Miguel Ferraz

taz: Haben auch Sie mit Mitgliederschwund zu kämpfen, Herr Riemann?

Gerd Riemann: Wir haben hier im Kreis 3.300 aktive Feuerwehrleute, davon 700 Jugendfeuerwehrleute, wir waren auch schon mal bei 750. Das ist leider rückläufig. Wir bemühen uns, zwei weitere Jugendfeuerwehren zu gründen, das wären die 37. und 38. Mein Ziel war einmal, in meiner Amtszeit 40 zu schaffen – vier Jahre habe ich noch Zeit.

Wann klappt so etwas?

Es müssen ausreichend junge Leute in den Gemeinden sein und der Bedarf muss da sein.

Bedarf von welcher Seite?

Von beiden Seiten. Von uns gibt es den ohnehin. Meist ist es so: Wenn in einer Gemeinde eine relativ starke Feuerwehr ist, dann gibt es auch Kinder von Feuerwehrleuten. Und die Jungen, inzwischen auch die Mädchen, kommen irgendwann und sagen: Wir möchten eine Jugendfeuerwehr gründen. Inzwischen ist von Elternseite teils auch der Wunsch nach Jugendfeuerwehren für die unter 10-Jährigen geäußert worden. Unser Präsident ist da sehr aufgeschlossen. Er sagt: Der Topf der jungen Leute schrumpft. Und jeder, vom Sportverein bis zur Musikgruppe, will ein Tortenstück aus diesem Kuchen junger Kräfte.

Kann man sich noch darauf verlassen, dass die Feuerwehrverbundenheit in den Familien weitergetragen wird?

Wenn Sie im ländlichen Raum eine Familie haben, die, ich nenne das feuerwehrbelastet ist, dann wird der Sohn mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in die Feuerwehr gehen. Dazu kommt: Wer in Orten unter 1.000 Einwohnern dazugehören will, der ist in der Feuerwehr oder beim Sportverein. Die Frage ist das Dabeibleiben: Im Dorf kann man nicht studieren, dann geht der Junior in andere Städte und danach wird er sich möglicherweise beruflich stark engagieren.

57, ist seit 2005 Kreiswehrführer beim Kreisfeuerwehrverband Stormarn. In die aktive Feuerwehr eingetreten ist er vor 40 Jahren. Hauptberuflich ist er Bankkaufmann. Sein Sohn ist Jugendwart bei der Freiwilligen Feuerwehr Reinfeld (Holstein).

Und in den Städten?

Da ist es nur scheinbar besser. Sie haben ein viel größeres Reservoir, aus dem sie Interessierte ziehen können. Das Ergebnis ist also besser – aber bei einer schlechteren Quote.

Und wie schützt man sich vor den Bewerbern, die nur den Adrenalin-Kick suchen?

Das merken erfahrene Wehrführer sehr schnell. Ein Bewerber, wir nennen sie Anwärter oder Anwärterin, wird vom Wehrvorstand für ein Jahr zur Probe aufgenommen. Nach dem Probejahr entscheidet die Mitgliederversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit über die endgültige Aufnahme.

Skeptiker sagen, dass die Mitgliederprobleme weniger an der Demografie lägen als an einem Rückgang bürgerschaftlichen Engagements.

Die Summe macht es. Der junge, gut Ausgebildete, der in eine gut bezahlte Position möchte, wird sich in den Beruf hineinknien und weniger ehrenamtlich engagieren. Hinzu kommt: In den Dörfern mit rund 500 Einwohnern gab es vor 25 Jahren vielleicht zehn Landwirte – heute sind es ein oder zwei. Die Landwirte aber waren zu 99 Prozent in der Feuerwehr und sie arbeiteten hofnah. Das heißt, am Tage hatte man diese Gruppe fast sicher, dazu noch ein, zwei Handwerker und schon war die Tagesverfügbarkeit abgedeckt. Heute verlassen die meisten morgens den Ort und stehen erst ab 17 Uhr wieder zur Verfügung.

Gibt es Ideen, wie man trotzdem einsatzfähig bleibt?

Die Doppelmitgliedschaften, also das Prinzip, auch am Arbeitsort einer Feuerwehr zur Verfügung zu stehen, steckt erst in den Kinderschuhen. Dazu kommt, dass der Umgang zwischen den Arbeitnehmern und den Firmen inzwischen straffer geworden ist: Nicht jede Firma sieht es gerne, wenn der Mitarbeiter für Feuerwehrzwecke seinen Arbeitsplatz verlässt.

Wird die Arbeit der freiwilligen Feuerwehr noch wertgeschätzt?

Nach den Umfragen ist die Feuerwehr einer der Berufsstände, denen am meisten Vertrauen entgegengebracht wird. In anderen europäischen Ländern gibt es gar keine freiwilligen Feuerwehren oder der Beruf kommt auf Höhe des Straßenkehrers. Das ist auch eines der Hindernisse, Menschen mit Migrationshintergrund für die Feuerwehr zu gewinnen.

Es heißt, die Feuerwehr solle mehr Frauen anwerben. Aber noch gilt sie als Männerdomäne.

Bei den Frauen tut sich etwas. Im ländlichen Raum versucht man derzeit, die Tagesalarmsicherheit zu stärken, indem man einen höheren Anteil von Hausfrauen, die zu Hause im Dorf verbleiben, in die Feuerwehr zieht.

Und die kochen nicht den Kaffee, sondern sind im Einsatz dabei?

Ich will nicht behaupten, dass bei einer kleineren Feuerwehr die Kameradinnen nicht auch mal diesen Job erledigen. Aber es darf nicht sein, dass wir uns Hilfskräfte suchen, weil wir am Tag nicht da sind und die sonst ans Funkgerät und in die Schreibstube stecken. Sondern die Frauen machen auch richtigen Einsatzdienst. Üblicherweise muss eine Tragkraftspritze von vier Kräften geschleppt werden – da muss ein Gruppenführer eben die stärksten Frauen dafür aussuchen.

Was hat die Feuerwehr als Anwerbe-Argument in der Hand?

Wir haben einen Bonus, die zweigleisige Ausbildung: den feuerwehrtechnischen Teil einerseits und andererseits die allgemeine Jugendarbeit. Die Handwerkskammer bescheinigt uns, dass junge Leute aus der Jugendfeuerwehr ein gewisses Führungssystem kennenlernen. Die Führungskräfte in der freiwilligen Feuerwehr werden schon seit der Kaiserzeit gewählt – das war damals fast terroristisch. Aber im Einsatz wird nach dem Prinzip Auftrag und Ausführung gearbeitet. Da kann nicht diskutiert werden, ein Auftrag ist auszuführen. Bei Fehlern kann der Betroffene Einwände erheben – aber eben erst nach dem Einsatz.

Ist die Feuerwehr in dieser Traditionsverbundenheit nicht zugleich sozial sehr abgeschlossen – man findet Handwerker, Landwirte, Angestellte, nicht aber Müllmänner oder Rechtsanwälte?

Bis in die 1930er-Jahre war es so, dass in den kleinen Städten nur der in die Feuerwehr aufgenommen wurde, der Grundeigentum im Ort hatte oder Handwerksgeselle war, für die von mindestens zwei Feuerwehrleuten gut gesagt wurde. Heute haben wir eine große Bandbreite von Schülern, Studenten – die gehen uns nach dem Studium leider oft verloren. Wir haben einige Ärzte, allerdings sind das im Kreis weniger als zehn bei über 3.000 Mitgliedern.

Und nach unten hin, etwa bei Arbeitslosen, die, so eine weitere Empfehlung, in die Feuerwehr integriert werden sollten?

Da müssten wir einen Anreiz schaffen. Eine Hürde ist auch die gesundheitliche Prüfung. Bislang haben wir keine Verwaltungsabteilung – da könnte derjenige, der kein Feuer ausmachen kann, bei der Feuerwehr Bürotätigkeiten machen.

Es gibt weniger Brände, aber mehr Anrufe wegen Haustierrettungen bei der Feuerwehr. Empfinden Sie das als Bagatellisierung Ihrer Arbeit?

Die meisten Katzen kommen tatsächlich alleine wieder vom Baum herunter, ich habe kaum Katzenskelette dort gesehen. Aber bevor wir dann in der Zeitung stehen, weil wir uns weigern, zu so einem Einsatz zu fahren, kommt die Feuerwehr und fährt die Drehleiter aus.

Warum ist gerade die Feuerwehr in vielen Dörfern die letzte Bastion des Gemeinschaftslebens?

Es ist wohl Tradition und ein gewisses Beharrungsvermögen. Aber selbst da können die Verantwortlichen irgendwann zu dem Schluss kommen: Es geht so nicht mehr, wir sind nur noch fünf bei den Übungen. Wir haben gerade einen Fall, wo sich eine Feuerwehr mit über 100 Jahren Beharrungsvermögen freiwillig auflöst. Die Hürde dafür ist bewusst hoch gehängt. Man muss einen Beschluss mit deutlicher Mehrheit fassen und diesen nach mindestens 30 Tagen Bedenkzeit wiederholen.

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