Erdem Gündüz über stillen Protest: „Mir geht es um Respekt“

Als „der stehende Mann“ vom Taksimplatz wurde Erdem Gündüz weltweit bekannt. Er will keine Politik machen, sondern die Menschenrechte stärken.

„Durch meine Aktion haben Menschen wieder etwas Hoffnung geschöpft", sagt Erdem Gündüz. Bild: dpa

taz: Herr Gündüz, als Sie nach der Räumung des Geziparks im Juni für mehrere Stunden regungslos auf dem Taksimplatz in Istanbul ausharrten, wurden Sie zur Ikone. Wie hat diese Aktion Ihr Leben verändert?

Erdem Gündüz: Ich bin danach spät in der Nacht nach Hause gegangen. Damit war die ganze Sache für mich zu Ende. In den folgenden Tagen habe ich von den Reaktionen wenig mitbekommen. Ich war nicht im Internet und mein Telefon war in dieser Zeit abgestellt.

Haben Sie später deshalb Schwierigkeiten bekommen?

Nein. Auch wenn es in manchen Zeitungen hieß, dass ich festgenommen worden sei. Das stimmte nicht. Nur als ich kürzlich zur Polizei gegangen bin, um meinen Pass zu verlängern, der abgelaufen war, haben die Polizisten dort ein paar Sprüche gemacht nach dem Motto: Du bist doch ein CIA-Agent, oder?

Wer hat denn dieses Gerücht in die Welt gesetzt?

Ein regierungsnaher Journalist, der später zu Erdogans Berater ernannt wurde, hat mich beschuldigt, ich sei ein Agent oder ein Mitglied von Otpor, der serbischen Bürgerbewegung, die den Sturz von Milosevic eingeleitet hat. Und Egemen Bagis, der Minister für Europa-Angelegenheiten, hat über Twitter verbreitet, ich habe vor meiner Aktion drei Tage in der deutschen Botschaft verbracht. Dabei bin ich dort nie gewesen.

Der Tänzer und Choreograf, 34, wurde im Zuge der Gezipark-Proteste als „stehender Mann“ (türkisch „Duran Adam“) über das Internet weltberühmt. Am Donnerstag wurde er in Potsdam für seinen Protest mit dem Medienpreis M100 geehrt.

Was hat Sie zu Ihrem stillen Protest veranlasst?

An dem Montag, an dem ich mich auf den Taksimplatz gestellt habe, herrschten Hilflosigkeit und ein Gefühl der Niederlage. Die Polizei hatte damit angefangen, gezielt in Wohnungen zu gehen und Leute festzunehmen. Durch meine Aktion haben die Menschen wieder etwas Hoffnung geschöpft.

Dass Sie sich vor das Atatürk-Kulturzentrum gestellt haben, an dem eine riesige Fahne mit dem Konterfei des Staatsgründers hing, gab Ihrer Aktion eine besondere Symbolik. Was wollten Sie damit ausdrücken?

Ich vermisse Atatürks visionäre Gedanken und das, was er dem Land gegeben hat. Früher als in Europa hat er das Wahlrecht und das Recht auf Bildung für Frauen eingeführt. Er hat in vielen Bereichen wie Kleidung und Kultur eine Revolution durchgeführt, um die Türkei näher an die westliche Welt zu führen, Klassenunterschiede zu beseitigen und Religion und Staat zu trennen.

Atatürk war aber auch ein Diktator, der die religiöse und kulturelle Vielfalt seines Landes unterdrückt hat. Gerade Kurden sehen ihn deshalb kritisch, denn deren Sprache war jahrzehntelang verboten.

Man muss Atatürk im Licht der damaligen Zeit betrachten. Die Türkei war 1926, als die Republik gegründet wurde, in Besatzungszonen aufgeteilt. Damals gab es 26 ethnische Gruppen, die verschiedene Sprachen gesprochen haben. Damit sich alle verständigen konnten, gab es nur einen Weg: eine gemeinsame Sprache. Mir geht es um Gleichheit und Respekt. Im türkischen Pass wird nicht zwischen Türken und Kurden unterschieden. Da steht nur: türkischer Staatsbürger.

Auch die Soldaten, die am Atatürk-Mausoleum in Ankara Wache halten, stehen still da. War diese Analogie Absicht?

Die Soldaten dort stehen unter Befehl, sie müssen stramm stehen und tragen eine Waffe. Meine Hände waren in den Hosentaschen, und ich habe mich auch nicht vor ein Atatürk-Denkmal gestellt. Deshalb kann man das nicht vergleichen.

Sie haben sich vor zehn Jahren an der Universität mal ein Kopftuch aufgesetzt. Warum?

Damals durften Frauen mit Kopftuch nicht an den Universitäten studieren, während es den Männern mit Bärten und islamischer Bekleidung erlaubt war. Wir wollten die Rechte der Kopftuchträgerinnen verteidigen. Aber das heißt nicht, dass ich der Meinung wäre, dass muslimische Frauen ihren Kopf bedecken sollten. Ich finde, zwischen dem Menschen und Gott sollte es keine Instanz geben.

Damals haben Sie gegen die Diskriminierung von religiösen Studentinnen protestiert. Jetzt kämpfen Sie gegen die Intoleranz eines religiösen Regierungschefs. Ein Paradox?

In den Zeitungen, die ihm nahestehen, heißt es, dass ich mich mit meiner Kopftuchaktion über die Religion lustig gemacht hätte. Das ist eine Lüge. Ich habe auch kein Problem mit Erdogan, sondern mit dem System.

Was meinen Sie damit?

Ob Kapitalismus, Imperialismus, Neoliberalismus, Hardcore-Islamismus – all diese Ideologien beschneiden die persönliche Freiheit der Menschen. Dass die Rechte der Arbeiter beschnitten werden oder die Rechte der Frauen, damit habe ich ein Problem. Diese Regierung unterstützt alles, was mit dem sunnitischen Islam zu tun hat – und alles andere nicht. Die Türkei hat in wirtschaftlicher Hinsicht einen großen Sprung gemacht. Aber auf dem Gebiet der Menschenrechte hat sie sich nicht entsprechend weiterentwickelt.

Was ist drei Monate nach den Gezipark-Protesten von der Bewegung geblieben?

Momentan herrscht dort eine Ruhe und Stille, als wäre finstere Nacht. Und obwohl es keine Proteste mehr gibt, geht die Repression weiter, die Leute werden mit juristischen Mitteln verfolgt. Im Stadtteil der Fußballfans von Besiktas, die sich an den Protesten beteiligt hatten, herrscht hohe Polizeipräsenz. Telefone werden abgehört. Druck wird ausgeübt. Diese Fangemeinde hat sich deshalb zurückgezogen. Es herrscht ein Regiment der Angst.

Auch viele Künstler und Prominente haben sich an den Protesten beteiligt. Welche Folgen hatte das für sie?

Der Schauspieler und TV-Moderator Memet Ali Alabora wurde von der Regierung zum Drahtzieher der Proteste erklärt – und damit zur Zielscheibe. Andere, die die Gezipark-Proteste unterstützt haben, haben Besuch von den Drogenfahndern der Polizei bekommen. Ein Basketball-Spieler wurde aus dem Nationalteam verbannt, weil er sich geweigert hatte, dem Sender ntv ein Interview zu geben, der während der Gezipark-Proteste besonders einseitig berichtet hatte.

Was ist mit dem Divan-Hotel, in dem die Demonstranten Zuflucht vor dem Tränengas fanden?

Der Besitzer gehört zu einer der reichsten Familien des Landes. Steuerfahnder haben die Büros ihres Konzerns durchsucht, Computer und Laptops beschlagnahmt. Erdogan hat gesagt: Entweder ihr seid auf meiner Seite, oder ihr werdet weggefegt. Und so verhält er sich auch.

Sie sind Tänzer, aber Sie werden als Aktivist ausgezeichnet. Als was möchten Sie lieber wahrgenommen werden?

Ich bin Künstler. Mir geht es nicht um Politik, sondern um Menschen. Das, was ich mache, kann man politisch finden – oder komplett unpolitisch. Man mag es oder man mag es nicht.

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