Der Fortsetzungsroman: Kapitel 19: Die Verwandlung

Was bisher geschah: Auf ihrer Suche nach der Lust trifft Leena auf ein seltsames Geschöpf, das hohe Perücken und Kleider aus Spiegelscherben trägt.

„Currywurst“, flüsterte er verschwörerisch. Bild: ap

Die Haare kitzelten in Leenas Nase. Sie nieste. „Könntest du bitte stillhalten?“, bat die Frau, die ihr als „meine Übergangsstylistin“ vorgestellt worden war. Sie saßen in einem kleinen Raum – irgendwo in den Gedärmen des Gebäudes, das den Club beherbergte. Leena atmete durch den Mund und überlegte, ob die Idee des Spiegelwesens wirklich so brillant war, wie sie vor einer halben Stunde gedacht hatte.

„Das wird ein Spaß!“, hatte es versichert und Leena hinter sich hergezogen. Seine Entourage war ihnen unauffällig gefolgt. In dem hell erleuchteten Raum hatte das Wesen Leena aus ihrem meerwasserblauen Kleid geschält und einen der Bodyguards aus seiner Hose gequatscht, um diese dann (dreimal umgeschlagen) Leena anzuziehen. Dazu hatte die Stylistin einen übergroßen Kapuzenpulli aus einem nicht minder großen Beutel gezogen. Außerdem zum Vorschein gekommen waren: ein paar grüne Sneakers in Größe 40 samt Socken, diverse Bandagen, Töpfchen, Pinselchen und Schwämmchen und eine Basecap. Der Beutel, dachte Leena, muss mit Hermines perlenbesetzter Handtasche aus „Harry Potter“ verwandt sein. Die Hälfte des Tascheninhalts trug Leena nun am Körper, die andere klebte in ihrem Gesicht. Ihre gesamte Kinnpartie war von einer pappigen Masse bedeckt. Die Stylistin tupfte hochkonzentriert Haare darauf.

„Ich fass es nicht“, sagte DIE LUST in regelmäßigen Abständen. „Ich fass es nicht. Wir sitzen hier mit …“

„Ich bin müde“, unterbrach Leena sie.

„Kommt nicht in Frage!“ DIE LUST rieb Leena irgendein Pulver in die Nase und warf dabei ungläubige Seitenblicke auf das Wesen, das sich vor ihrer beider Augen verwandelt hatte. Die auffälligste Veränderung war, dass es nicht mehr glitzerte. Stattdessen saß Leena ein kleiner, dunkelhaariger Typ in Anzughose und weitem T-Shirt gegenüber. Er trug einen Bartschatten und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er sog an einer Zigarette.

„Du-hu?“, fragte Leena und versuchte dabei der Übergangsstylistin zuliebe, den Mund nicht zu bewegen.

„Nenn mich Joe.“ Das Wesen strich sich die Koteletten glatt.

„Joe?“

„Ein perfekter Name für einen italienischen Kerl, findest du nicht?“

Leena hmhm-te.

„Wir haben ihn vor zwei Jahren erfunden, mein damaliger Stylist und ich. Und dann bei den Video Music Awards … Verdammt, das war grandios!“ Die Augen des Wesens, das sich Joe nannte, glänzten.

Leena hatte keine Ahnung, wovon es sprach. Es schien in der Tat ziemlich gaga zu sein. Aber egal. Sein Plan schien aufzugehen: Von der Langeweile, über die es auf der Tanzfläche geklagt hatte, war nichts mehr zu spüren. Das Wesen, Joe, hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der Discokugel, mit der Leena am Rande der Tanzfläche ins Gespräch gekommen war. Statt der Teetasse hielt es nun ein Whiskeyglas in der Hand.

„Fertig“, befand die Übergangsstylistin und hielt Leena einen Spiegel vor die Nase. DER LUST fiel die Kinnlade herunter. Leena auch.

Nach etwa sieben Minuten hatte sie sich an den Anblick gewöhnt. DIE LUST brauchte etwas länger.

„Cool“, sagte Leena. „Ich seh aus wie mein kleiner Bruder.“

„Ich würd’ deinen kleinen Bruder gern mal treffen“, sagte Joe. Leena lachte. Sie griff sich in den Schritt, eine Geste, die sie schon immer mal in der Öffentlichkeit hatte testen wollen. Fühlte sich gut an. Leena begutachtete ihren Bart von allen Seiten. „Du bist eine Zauberin.“ Sie verneigte sich ehrfurchtsvoll vor der Übergangsstylistin. Dann drehte sie ihrem Spiegel-Ich den Rücken zu und Joe die Hand entgegen.

„Ich bin Filip“, entschied sie.

„Hey“, sagte das Wesen, das gerade Joe hieß.

„Sag mal, machst du das öfter?“, wollte Leena wissen.

Joe sah sie unverwandt an. „Du weißt echt nicht, wer ich bin“, stellte er fest.

„Natürlich weißt du, wer das ist!“ DIE LUST summte eine Melodie, die Leena vage vertraut vorkam. „Pokerface? Bad Romance? Born This Way?“, half DIE LUST. Einige Zahnräder in Leenas Hirn setzten sich in Bewegung, aber was auch immer ihr DIE LUST gegen die Müdigkeit verabreicht hatte, streute Sand in die Verbindungsstücke. Sie kamen knirschend wieder zum Stehen. Leena zuckte hilflos die Achseln. „Du bist wohl berühmt, oder?“

„Denk’ schon.“

„Sorry. Ich hab keinen Fernseher und …“

„Keine Ursache.“ Die Hand des Joe-Wesens wedelte die Entourage aus der Tür. „Amüsiert euch! Wir machen uns hier einen gemütlichen … Männerabend.“ Leena prustete los.

Als sie allein waren, nickte Joe gen Fenster. „Können wir los?“

„Wohin noch mal?“

„Currywurst“, flüsterte er verschwörerisch.

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