Volksentscheid: „Hier werden Ängste gestreut“

Streitgespräch mit Stefan Taschner vom Energietisch und Christian Amsinck von der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg.

Stefan Taschner: "Wir versprechen nur das, was in unserem Gesetzentwurf steht." Bild: dpa

taz: Herr Amsinck, Ihnen gegenüber sitzt Herr Taschner vom Berliner Energietisch. Was der mit dem Volksentscheid am 3. November vorhat, halten Sie für gefährlich. Warum?

Christian Amsinck: Es gibt in dieser Diskussion ein eklatantes Missverhältnis zwischen einem kleinen Kreis von Interessierten und einem großen Kreis, der schlicht nicht über die wesentlichen Zusammenhänge des Volksentscheids informiert ist. In Wirtschaft, Politik und noch mehr in der Bevölkerung gibt es da ein gewaltiges Defizit.

Inwiefern?

Amsinck: Es gibt nicht wenige, die sagen: Am 3. November wird darüber entschieden, wer künftig Berlins Stromnetz betreibt. Das ist nicht so. Entschieden wird diese Frage ausschließlich in einem Konzessionsverfahren, an dem sich mehrere Bewerber beteiligen. Außerdem taucht häufig in Diskussionen auf, dass alles grüner und günstiger wird, wenn der Gesetzentwurf des Energietischs umgesetzt wird. Auch das stimmt nicht. Denn ein Netzbetreiber muss jeglichen Strom diskriminierungsfrei durchleiten, nicht nur den aus erneuerbaren Quellen.

Herr Taschner, verspricht der Energietisch etwas, das er nicht halten kann?

Stefan Taschner: Natürlich nicht. Wir versprechen nur das, was in unserem Gesetzentwurf steht. Und den haben wir vor anderthalb Jahren fertigschreiben müssen, seitdem liegt er für alle einsehbar vor. Darin sagen wir eben nicht, dass wir das Stromnetz per Gesetz rekommunalisieren können. Wir versprechen keinen billigen Strompreis. Trotzdem geistert all das ständig durch die Kommentare großer Berliner Zeitungen. Ich empfehle jedem: Lesen Sie den Gesetzentwurf einfach durch. Im Übrigen haben wir 270.000 Unterschriften für das Volksbegehren gesammelt, und zumindest ich war an meinen Ständen fast überrascht, wie gut die meisten Bürgerinnen und Bürger aufgeklärt waren.

Herr Amsinck, Ihnen gefällt zum Beispiel ein Wort nicht, das im Gesetzentwurf steht: „Gewährträgerhaftung“. Was hat es damit auf sich?

Amsinck: Das heißt, dass die Kommune einspringt, wenn etwa beim Stromnetzbetreiber Verluste anfallen. Alarmiert hat das den von uns beauftragten Gutachter Helge Sodan, den früheren Präsidenten des Landesverfassungsgerichts. Aus seiner Sicht verstößt dieser Punkt gegen EU-Recht, weil er einem Berliner Landesunternehmen eine rechtswidrige Wettbewerbshilfe einräumt. Klingt etwas technisch, meint aber, dass sich dieses Unternehmen günstiger mit Krediten versorgen kann als Konkurrenten. Denn Kommunalkredite sind viel günstiger als solche am normalen Markt. Wenn der Volksentscheid gelingen und der Senat diesen Mangel nicht heilen würde, dann kommt es womöglich zu einer Klage durch unterlegene Mitbewerber. Das muss man wissen.

Taschner: Das ist eine unter mehreren Rechtsauffassungen, auf EU-Ebene gibt es dazu keine klare Aussage. Diese Gewährträgerhaftung findet man auch bei anderen Berliner Unternehmen, bei BSR oder BVG steht die letztlich genauso drin. Der Senat hat unseren Gesetzentwurf intensiv geprüft und Herr Wowereit hat uns schriftlich gegeben, dass er nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Natürlich steht es jedem frei zu klagen, sollte das Gesetz per Volksentscheid in Kraft treten.

Amsinck: Für uns geht es bei der ganzen Sache um grundsätzliche Fragen: Ist das Land Berlin in der Lage, eine solche langfristige strategische Entscheidung zu treffen und das Stromnetz selbst zu betreiben? Hat es die Ressourcen dafür, ist es in der Lage, die Investitionen zu stemmen, die für das Netz in den nächsten Jahren nötig sind? Und außerdem: Was könnte man mit dem anfallenden Kaufpreis von einer, anderthalb oder zwei Milliarden alternativ machen? Mir fiele da in Berlin einiges ein: Straßen, Infrastruktur, eine bessere Gesundheitsversorgung, Vivantes und Charité brauchen Geld, es muss investiert werden. Fehlt Berlin etwas, wenn kein landeseigenes Unternehmen an den Start geht? Müssen wir dann damit rechnen, dass sich an irgendeiner Stelle etwas nachhaltig verschlechtert?

Sie sagen: Nein.

Amsinck: Vattenfall hat in den letzten Jahren nachweisen können, dass sie es können. 12 Minuten Stromausfall pro Jahr, das ist ein sehr guter Wert. In diesem Wettbewerb geht es darum, ob ein Netzbetreiber eine bestimmte Leistung zu einem vertretbaren Preis erbringen kann. Vattenfall hat das nachgewiesen. Das Land Berlin hat diese Erfahrung nicht.

Taschner: Sie werden nicht mehr zahlen müssen, bloß weil die Kommune das Netz betreibt. Denn die Netzentgelte überwacht die Bundesnetzagentur. Die garantiert auch die Versorgungssicherheit, denn ein Bewerber, der seine Befähigung dazu nicht unter Beweis stellen kann, den würde die Bundesnetzagentur gar nicht zulassen. Dass Kommunen das können, dafür gibt es in Deutschland viele Beispiele. Es gibt etwa einen Netzbetreiber, dessen Arbeit noch besser ist als die Vattenfalls: die Stadt München. Hier werden Ängste gestreut, dass bei uns dann vielleicht das Licht ausgehen könnte. Dem trete ich ganz klar entgegen.

Warum sollte Berlin nicht machen, was andere Kommunen erfolgreich tun?

Amsinck: Tatsächlich haben etliche Kommunen, zum Beispiel im Ruhrgebiet, versucht, mit der Gründung von Energieversorgungsunternehmen ihre finanzielle Basis zu verbreitern. Viele dieser Versuche sind gescheitert. Natürlich kann eine bestimmte Kommune in einer bestimmten Situation finanziell so aufgestellt sein, dass sie ihr Stromnetz betreibt. Aber Berlin ist definitiv nicht so aufgestellt. Berlin hat 63 Milliarden Euro Schulden, und wir erleben gerade zinstechnisch eine Schönwetterperiode. Steigt die Zinslast für den Haushalt, dann wird der finanzielle Spielraum des Landes noch geringer. Und sollte sich in Zukunft irgendwas an den Rahmenbedingungen für den Netzbetrieb ändern, dann kann es natürlich sein, dass auf einmal eine solche Veranstaltung ins Minus rutscht. Ich denke, Investitionen in Bildung oder in Wohnungen sollten da Vorrang haben.

Taschner: Wir sollten hier nicht Schulen und Kindergärten gegen die Energieversorgung ausspielen. Das kennen wir schon von dem einen oder anderen Vattenfall-Plakat. Natürlich muss man den Kauf des Netzes finanzieren, das einzig öffentlich zugängliche Gutachten dazu taxiert den Preis übrigens auf 400 Millionen und nicht auf ein bis zwei Milliarden. Wie viel es auch sein mag, eines ist doch ganz klar: Den Kaufpreis können wir komplett fremdfinanzieren, dafür kann man Kredite aufnehmen. Mir sind dafür Kommunalkredite am liebsten, aber wir wissen doch, dass viel Geld in Deutschland Anleger sucht. Gerade für Netzrekommunalisierungen stehen Kreditgeber bereit, ebenweil die Rendite so sicher ist. Weil ein Kreditgeber weiß, dass er sein Geld zurückbekommt. Dafür sorgt die strenge Regulierung der Bundesnetzagentur.

Trotzdem müsste das Land Berlin erst einmal Schulden dafür aufnehmen.

Taschner: Ja, aber wer würde denn eine Eigentumswohnung nach solch einem Finanzierungsmodell nicht kaufen? Wenn das dann abbezahlt ist, bleibt nicht nur die volle Rendite, ich habe endlich auch mal wieder Tafelsilber in die Schublade des Landes Berlin gelegt. In letzter Zeit haben wir nur verkauft, verkauft, verkauft. Jetzt können wir Werte für die Zukunft schaffen. Es geht hier um ein Modell, bei dem das wirtschaftliche Risiko absolut kalkulierbar ist. Wenn Berlin nicht hier investieren soll, dann frage ich mich: ja, wo denn überhaupt noch? Wer dagegen ist, der spricht sich doch eigentlich für die vollständige Privatisierung aus.

Der öffentliche Zuspruch für Daseinsvorsorge in kommunaler Hand ist derzeit groß.

Amsinck: Ja, das Pendel schlägt wieder in Richtung Rekommunalisierung, unter anderem mit dem Argument: Das gehört einfach grundsätzlich in die öffentliche Hand. Außerdem wabert immer so ein bisschen durch, die Kommune würde sich so zusätzliche Einnahmequellen sichern, mit der sie dieses und jenes querfinanzieren kann. Mein Wunsch bis zum Volksentscheid am 3. November ist, dass eine größtmögliche Klarheit darüber entsteht, was geht und was nicht geht. Bisher herrscht über die wesentlichen Fragen, die abgestimmt werden, völlige Unklarheit. Deswegen ist wichtig, dass alle, auch der Energietisch, Informationsarbeit leisten und klarstellen, dass es mit einem Ja weder grüner noch günstiger wird.

Taschner: Ich möchte ganz klar machen: Im Volksentscheid wird nicht nur über das Engagement Berlins im Konzessionsverfahren um das Stromnetz abgestimmt, sondern auch aktiv über die Gründung eines echten Stadtwerkes entschieden. Das Minimodell von SPD und CDU ist dagegen schlichtweg blamabel. Der politische Wille ist klar formuliert, ob im Bund oder in Berlin, ob in den Parlamenten oder in der Bevölkerung: Wir müssen 100 Prozent erneuerbare Energien erreichen. Beim Volksentscheid geht es um die Grundsatzentscheidung: Nimmt das Land Berlin Werkzeuge in die Hand, um diesen Willen aktiv mit umzusetzen? Oder bleibt es Zuschauer und guckt sich an, was andere tun?

Wer die Energiewende voranbringen will, kann schon heute zu einem rein grünen Stromanbieter wechseln.

Taschner: Erstens wollen wir doch gar nicht an den Marktanteil der Ökostromversorger ran, wir wollen an den großen Kuchen Vattenfall. 80 Prozent der Berliner Haushalte sind dort Kunde, geschätzte 40 Prozent im sogenannten Grundtarif. Das ist ein sehr, sehr teurer Tarif, das kann jeder selbst im Internet vergleichen. Und zweitens ist unser Stadtwerk ja nicht nur darauf ausgerichtet, erneuerbaren Strom zu produzieren und zu verkaufen. Es soll zu einem modernen Energiedienstleister für die Berlinerinnen und Berliner werden, ein klarer Anlaufpunkt für alle, wenn es um Energiefragen geht. Darum, dass sich jemand eine Solaranlage auf seinem Dach installieren will, oder um Energiesparberatung, mit der sich die Kosten eines Haushalts senken lassen. Oder energetische Gebäudesanierung, das wird in Berlin doch gar nicht richtig angegangen. Mit solch einem Stadtwerk hätten wir das Instrumentarium, das endlich mal strategisch und gezielt anzupacken, natürlich im Verbund mit anderen Akteuren, die da schon jahrelang gute Arbeit machen. Und unser Stadtwerk soll transparent sein, jeder Kunde soll nachvollziehen können, wohin sein Geld geht, wenn es etwa zu einer Strompreiserhöhung kommt.

Herr Amsinck, was halten Sie von diesem Konzept?

Amsinck: Es geht hier um zwei höchst unterschiedliche Dinge: Rekommunalisierung des Stromnetzes und Stadtwerk. Wenn es noch ginge, müsste man eigentlich daraus zwei Gesetze machen. So kommt man vom Stromnetz zum Stadtwerk und ist dann plötzlich bei 100 Prozent Ökologie. Mit einer entsprechenden finanziellen Ausstattung könnte ein Stadtwerk sicher einige Aufgaben wahrnehmen, aber für mich gilt da auch die Frage: Könnten andere das nicht? Tatsächlich sind in all den Bereichen schon einige andere tätig, und es gibt an dieser Stelle einen gewissen Vorrang der Privatwirtschaft. Sie muss zumindest die Chance erhalten, sich da zu beteiligen. Ich glaube, dass es gegenwärtig überhöhte und falsche Erwartungen an das gibt, was bei einem Ja zum Volksentscheid kommen könnte, und ich glaube, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, wirklich für größtmögliche Transparenz zu sorgen, damit die Bürger wirklich das Gefühl haben, dass sie wissen, was am 3. November entschieden wird.

Taschner: Ich habe mit einer sachlichen und fairen Diskussion die wenigsten Probleme, weil ich glaube, dass wir die besseren Argumente haben. Aber uns werden doch ständig Hirngespinste, die durch nichts belegbar sind, vorgeworfen: Wir würden billigere Preise versprechen und glauben, dass wir dann nur Ökostrom durch die Netze leiten können. Wir arbeiten so lange an diesem Thema, ich kann versichern: Uns sind die Rahmengesetzgebungen bekannt.

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