Knapp überm Boulevard: Kein Amt hinterm Mensch

Schon wieder ein Kaiser ohne Kleider: Der Versuch, hinter die Fassaden der Politik zu blicken, verträgt sich nicht mit der Wunsch nach politischer Begeisterung.

Österreichs Präsident Heinz Fischer (Mitte) arrangiert seine Kollegen für ein Gruppenfoto: Finanzministerin Fekter, Vizekanzler Spindelegger (li), Bundeskanzler Faymann und Innenministerin Mikl-Leitner (re). Bild: reuters

In einem Interview zu seinem 70. Geburtstag sagte der polnische Staatsmann Lech Walesa kürzlich: „Ich mag Politiker nicht. Das sind alles Langweiler.“ Er selbst sieht sich hingegen als Anti-Politiker-Politiker – also als unterhaltsam. Damit beansprucht er paradoxerweise das für sich, was derzeit die gängigste Kritik am Politischen ist: deren Personalisierung.

In unserer Erlebnisgesellschaft soll der Politikdarsteller möglichst telegen und charismatisch sein. Nur so erfüllt er die Show, das „Politainment“ – die einzige Form, wie wir Spaßgesellen uns noch Politik zuwenden.

In ihrem neuen Buch über die „Unpolitische Demokratie“ lassen Danny Michelsen und Franz Walter aber aufhorchen. Denn sie befinden, die Zeit der politischen Charismatiker und Strahlemänner sei vorbei. Heute siegt ein neuer Typus von Politiker: der blasse Administrator, der brave Moderator. Nur solche könnten den „fragmentierten Wählermarkt“ überhaupt managen.

Das ist natürlich eine massive Verschiebung. Dabei bleibt aber eines offen: Wenn das reale Management einer komplexen politischen Wirklichkeit tatsächlich anpassungsfähige, aber tüchtige Politiker braucht, so ist damit noch nicht geklärt, warum die Menschen diese auch wählen. Denn das Wahlverhalten hat bekanntlich am wenigsten mit rationalen Entscheidungen und vernünftiger Einsicht zu tun.

Ein Bundeskanzler muss schieben

Ein neues österreichisches TV-Format aus dem jüngsten Wahlkampf kann das vielleicht klären. „Wahlfahrt“, diese Sendung, hat umgehend Kultstatus erlangt. Das Setting: Ein Journalist chauffiert die Spitzenkandidaten von sechs Parteien jeweils einen Tag zu den Wahlterminen, die sie absolvieren.

Sein Auto ist ein klappriger, alter Mercedes, der folgerichtig bei der letzten Wahlfahrt auch – tatsächlich unbeabsichtigt – seinen Geist aufgegeben hat. Mittendrin. Und der Bundeskanzler musste aussteigen und schieben. Aber der Reihe nach.

Das Konzept war: keine Sonder-, keine Ausnahmezeit für Politikergespräche. Die Politiker wurden vielmehr in ihrem Wahlkampfalltag begleitet. Im Auto waren etliche Kameras montiert, die die Gespräche filmten. Meist saßen nur der chauffierende Journalist und der chauffierte Politiker im Auto. Und oft ging es quer durchs Land. Die Fahrten dauerten stundenlang.

Es gab also drei Elemente: die aufgezeichnete Intimität im Fond, den politischen Alltag und die Erschöpfung, die irgendwann auch den härtesten Profi erreicht. Ziel dabei war, hinter die Fassade zu blicken, weg von den spingedoktorten Wesen. Denn das kann keiner über Stunden durchhalten. Endlich echt. Endlich authentisch. Wobei im Wagen ja sechs Kameras montiert waren und damit das Paradox einer inszenierten Authentizität produziert wurde.

Authentizität? Vor allem Banalität

Und was bekam man dabei zu sehen? Politiker, denen schlecht wurde im Auto, Politiker, die genervt waren, Politiker, die sangen oder Angst vor der Geschwindigkeit hatten. Auch der genialste Cutter konnte nicht die ausgestellte Banalität verbergen. Der Kaiser war ohne Kleider. Ja. War er nackt? Ja. Aber das war keineswegs desillusionierend. Heute verschwindet das Amt hinter dem Menschen. Das ist der Punkt. Politiker müssen heute authentische Menschen sein. Deshalb inszenieren sie diese Authentizität auch.

Die Frage dabei ist doch: Sollen Politiker sein wie jene, die sie wählen – oder sollen sie anders sein? Bis vor Kurzem sollten sie möglichst verschieden sein. Churchill, Brandt oder Kreisky wählte man, weil sie anders, weil sie Autoritäten waren. Den visionslosen Administrator, den wählt man nicht, weil die politische Realität solche Figuren braucht – den wählt man heute, weil er eben nicht anders ist als wir. Man wählt gewissermaßen sein Ebenbild.

Vielleicht ist das ja ein Fortschritt. Vielleicht sind wir ja weniger autoritätsgläubig, emanzipierter. Nur – begeistert wählt man die Banalität nicht. Das sind gewissermaßen müde Stimmen. Und das kann – perspektivisch betrachtet – heikel sein.

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