piwik no script img

Ungesühntes SS-VerbrechenEine Medaille immerhin

Er kämpfte für eine Verurteilung der Täter von Sant’Anna - erfolglos. Nun bekommt Enrico Pieri den Stuttgarter Friedenspreis.

Will Gerechtigkeit, keine Rache: Enrico Pieri, Überlebender des NS-Massakers in Sant'Anna. Bild: dpa

BERLIN taz | Enrico Pieri kauerte unter einer Treppe, als seine Eltern und seine Nachbarn von Männern der Waffen-SS erschossen wurden. Dann warfen die Deutschen Stroh auf die Leichen, steckten das Haus in Brand. Pieri, er war damals 10 Jahre alt, flüchtete hinaus in den Gemüsegarten, unter ein Bohnengerüst. In seinem Versteck überlebte er das Massaker von Sant’Anna di Stazzema. Über 500 Menschen starben am 12. August 1944 in dem kleinen Bergdorf in der Toskana.

Am Sonntag überreichten Vertreter des Bürgerprojektes „Die Anstifter“ den mit 5.000 Euro dotierten Friedenspreis an die Überlebenden Enrico Pieri, Enio Mancini und die Dorfbewohner von Sant'Anna, die mit einem Bus zur Verleihung angereist waren. Mancini konnte aus gesundheitlichen Gründen den Preis nicht persönlich entgegennehmen. Pieri, heute 79 Jahre alt und Vorsitzender des Opfervereins von Sant'Anna, wurde zuvor von Ministerpräsident Winfried Kretschmann begrüßt.

Pieri war auch derjenige, der den Bundespräsidenten Joachim Gauck im März nach Sant’Anna eingeladen hatte. „Hier in Sant’Anna wurde die Menschenwürde mit Füßen getreten und Menschenrechte massiv verletzt“, sagte Gauck bei seinem Besuch. Doch die Hinterbliebenen wünschen sich mehr als klare Worte: die strafrechtliche Verurteilung der Täter. Dazu wird es wohl nicht mehr kommen.

Die Alliierten hatten zwar nach Kriegsende Täter und Opfer befragt. Doch die italienischen Behörden hielten die Dokumente in einem Schrank verborgen. Deutschland wurde wiederbewaffnet, trat der Nato bei: kein Zeitpunkt, um die Verbrechen der Vergangenheit zu sühnen.

Deutschland liefert nicht aus

Erst in den 90er Jahren, als ein italienischer Militärstaatsanwalt gegen den kürzlich verstorbenen SS-Hauptsturmführer Erich Priebke ermittelte, öffnete ein Justizbeamter den sogenannten Schrank der Schande. 2005 verurteilte das Militärgericht von La Spezia zehn SS-Männer, die für das Massaker von Sant’Anna verantwortlich waren, zu lebenslangen Haftstrafen.

Dem italienischen Richter Marco de Paolis zufolge hatten die Beschuldigten ein gezieltes Massaker an Zivilisten verübt, um sich für den Widerstand der Partisanen in der Region zu rächen. Antreten mussten die Verurteilten ihre Haftstrafen nicht, Deutschland liefert seine Staatsangehörigen nicht aus.

Der ehemalige Stuttgarter Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler hingegen erkannte keinen hinreichenden Tatverdacht für „eine von vornherein geplante und befohlene Vernichtungsaktion gegen die Zivilbevölkerung“. Im Herbst letzten Jahres hatte er die Ermittlungen eingestellt. Die Tötung könnte auch kurzfristig befohlen worden sein, entschied Häußler. Deshalb hätte man jedem einzelnen Beschuldigten Mord oder Beihilfe zum Mord nachweisen müssen. Das war ihm nicht gelungen.

Pieris Anwältin leitete ein Klageerzwingungsverfahren am Oberlandesgericht in Karlsruhe gegen die zu diesem Zeitpunkt nur noch vier lebenden Beschuldigten ein. Karl Gropler ist inzwischen ebenfalls verstorben. Zwei weitere Beschuldigte sprach der Senat am 30. Oktober frei, weil einer zum Tatzeitpunkt im Lazarett gewesen sei und der andere einen einfachen Mannschaftsdienstgrad hatte und als solcher „mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in die Planungen des Einsatzes eingebunden gewesen“ war. Bleibt nur noch der inzwischen über 90-jährige Gerhard Sommer. In seinem Fall müsse der Senat zunächst klären, „ob er aus gesundheitlichen Gründen (dauerhaft) verhandlungsfähig sei“.

Enrico Pieri ist einer, der Stillstand nicht erträgt. „Ich will ja keine Rache“, sagt er. „Ich will Gerechtigkeit.“

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, dass Winfried Kretschmann den Stuttgarter Friedenspreis persönlich überreicht habe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Themen #SS
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • @ Emil: Auch wenn selbst die Nazi-Moerder nicht tausend Jahre alt, sondern vielleicht nur 80 oder 90 werden: das nationalsozialistische Erbe ist zaeh, es wird immer noch fleissig weitergereicht, in den letzten Jahren sogar wieder verstaerkt. Leider gerade auch in den Geschichtswissenschaften, in denen Junior-Wissenschaftler mit "Auszeichnungen" wie dem Werner-Hahlweg-Preis geehrt und damit entsprechend konditioniert werden. Zum einen duerfen sie mit dieser Auszeichnung in der Tasche dann stolzgeschwellter Brust auf ihren Wegbereiter, den SS-Historiker Hahlweg zurueckblicken, zum anderen duerfen sie damit sein Werk in, den zeitgenoessischen Rahmenbedingungen entsprechend aktualisiert - weiterfuehren und mitmachen bei der Nutzbarmachung geisteswissenschaftlicher Arbeit fuer Militaer und aggressive neokoloniale deutsche Aussenpolitik. Die deutschen Geschichtswissenschafen mit ihren Spezialisten fuer Vergangenheit und "Aufarbeitung" machen es vor, wie Vertuschen, Verschweigen, Dissimulieren, Verleugnen, Schoenfaerberei und heimliches Wiederanknuepfen funktioniert - wen sollte da noch wundern, wenn es in anderen Berufszweigen (Juristen, Verfassungs"schuetzer", Polizisten, Psychiater....) nicht besser aussieht. Insofern liefert der Artikel hier eher ein Zerrbild der deutschen Gesellschaft: geehrt wird bei uns immer noch gerne nicht der, der sich gegen Faschismus, Rassismus und Nationalsozialismus einsetzt, sondern diejenigen, die selbst noch in entsprechenden Traditionen stehen oder sich in diese neu einschreiben. Dafuer gibt es dann gerne auch mal das Bundesverdienstkreuz.

  • R
    reblek

    "Enrico Pieri (re.) hat den Stuttgarter Friedenspreis von Ministerpräsident Winfried Kretschmann verliehen bekommen." - Unsinn, "verliehen" haben diesen Preis die "AnStifter". Kretschmann hat den Preis, wie es im Text richtig heißt, lediglich überreicht: "Am Sonntag überreichte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den Überlebenden Pieri, heute 79 Jahre alt und Vorsitzender des Opferverbandes von Sant’Anna, und Enio Mancini den mit 5.000 Euro dotierten Friedenspreis der Stadt Stuttgart." - Allerdings handelt es sich nicht um den "Friedenspreis der Stadt Stuttgart", sondern um den "Stuttgarter Friedenspreis", der jährlich von den "AnStiftern" vergeben wird.

  • E
    emil

    nach nur 70 jahren ist deutschland ein bisschen bereit irgendwas aufzuklären, aber dann sind schon alle beteiligten tot. sowas aber auch. offenbar ist die justiz der meinung, dass deutsche aus dem tausendjährigen reich auch tausendjährig werden. das stimmt aber glücklicherweise auch nicht.