Londons Skater kämpfen um Southbank: Heiliger Beton

An der Themse befindet sich der älteste noch existierende Skateboarder-Spot der Welt. Doch die Undercroft soll weg. Eine Kampagne will das verhindern.

„Skateboarding lehrt dich, deine Grenzen zu erkennen und wie du sie Stück für Stück verrücken kannst.“ Bild: Oliver Pohlisch

LONDON taz | Die Undercroft ist das Wembley der Skateboarder. Ihr Name, zu Deutsch Krypta, verweist auf die quasireligiöse Verehrung des Ortes wie auch auf seine Lage unter der Terrasse des Southbank Centre – ein Komplex aus Konzertsälen und Galerieräumen an Londons südlichem Themseufer. Zwischen klobigen Stützpfeilern haben schon mehrere Generationen von Rollbrettfahrern Ollies, Flips, Grabs, Slides und Grinds geübt.

Gleich nachdem 1973 die Skateboardingwelle aus den USA herübergeschwappt war, entdeckten die ersten Londoner, dass die Architekten des in den 60er Jahren errichteten Southbank Centre im zum Fluss hin offenen Parterre eine ideale Spielwiese für den neuen Sport geschaffen hatten, bestehend aus ebenen Flächen, zahlreichen Schrägen, Treppen, Geländern, Vorsprüngen und Bänken. Ein Paradies aus Beton.

Die Skateboarder machten die Undercroft zu ihrer Homebase. In einem Land, in dem es gefühlte 365 Tage regnet, hatte sie gegenüber anderen skatebaren Orten den Vorteil einer Überdachung. Und sie lag zentral: Dorthin kamen bald nicht nur die Rollbrettfahrer der ganzen Stadt, sondern Skater von überall her aus dem Königreich. Im Laufe der Jahre komplettierten Graffitisprayer, BMX-Fahrer sowie Breakdancer die Undercroft zum Hort urbaner Straßenkultur.

Moderne: Ende der 60er Jahre ließ Londons Magistrat das Southbank Centre am Themseufer erweitern, um der zeitgenössichen Kunst und Musik eine Heimstatt zu bieten. Die Architekten, später Mitglieder der Avantgarde-Truppe Archigram, entwarfen dafür einen Tempel des sozialdemokratischen Fortschrittsglaubens. Roh kam der so genannte Festival Wing mit Hayward Gallery und Queen Elizabeth Hall daher; ein grob behauenes Beton-Gebirge aus Kuben, Plattformen und Fu?gängerbrücken. Im New Brutalism, so der Architekturkritiker Owen Hatherley, setzte sich fort, was britische Kunst auszeichnet: ein Hang zur Aggression, Kantigkeit, Plakativität und die Liebe zu billiger Technologie.

Postmoderne: Während der 80er Jahre stieg das Southbank Centre in die Liga der architektonischen Stiefkinder ab. Die Postmodernisten führten es als Beispiel für das Scheitern gebauter Utopien an. Ab 1983 gab es unter Beteiligung namhafter Architekten wie Cedric Price oder Richard Rogers immer wieder Versuche, das Kulturzentrum entweder komplett abzureißen oder umzugestalten – meist mit reichlich Glas. Alle scheiterten sie am fehlenden Geld.

Postpostmoderne: Jetzt will sich das Southbank Centre an eine 120 Millionen Pfund teure Überbauung wagen. Es ist der erneute Versuch eines gläsernen Update, diesmal in Form eines riesigen Würfels in der Mitte des Festival Wing – wie die im März 2013 veröffentlichten Pläne des Architekturbüros Fielden Clegg Bradley verraten. Seitlich flankiert wird er durch einen Bügel, der auf die Themse zeigt, drumherum sollen neue Dachgärten entstehen. Der Umbau stößt auch passionierte Fürsprecher der architektionischen Moderne vor den Kopf, denen sowieso missfällt, dass das Southbank Centre es nicht auf die Denkmalschutzliste geschafft hat.

Jetzt droht dieser Kultur die Vertreibung, denn in die Undercroft sollen Restaurants und Läden ziehen. So sehen es Pläne für einen Umbau des Southbank Centre vor, das sein pädagogisches und soziokulturelles Angebot erweitern möchte. Und das benötigt mehr Raum, aber auch mehr Geld. Vom Staat ist da nichts zu erwarten, deshalb setzt das Management auf Mieteinnahmen durch neue Gewerbeflächen – ebendort, wo heute noch der Sound der Rollen von den Wänden widerhallt.

Nachdem die Umbaupläne im März öffentlich wurden, riefen die Skateboarder die „Long Live Southbank“-Kampagne ins Leben, um ihren geschichtsträchtigen Treffpunkt zu retten. Denn mittlerweile gilt er als die weltweit älteste noch existierende Skater-Location ihrer Art. Täglich sitzen seitdem AktivistInnen an einem Infotisch vor der Undercroft, auf dem Unterstützerlisten ausliegen. Sie verteilen Flyer und Aufkleber. Die Kampagne finanziert sich durch Spenden und den Verkauf von T-Shirts und Mützen mit dem „Long Live Southbank“-Logo.

Über 65.000 Unterschriften

Henry Edwards-Wood ist Sprecher der Kampagne und in der Undercroft praktisch aufgewachsen. Um die Jahrtausendwende kam er das erste Mal ans Themseufer, nachdem er in Lewisham im Südosten Londons oft alleine auf Parkplätzen und Schulhöfen seine Runden gedreht hatte. Zwölf oder 13 war er da. „Ich fand Zuflucht in der Undercroft. Denn dort waren noch andere, die nicht tun wollten, was man ihnen sagte. Die aber auch nicht randalieren oder kriminell sein wollten.“

Ohne Pathos zu scheuen, beschreibt Henry die Undercroft als alternative, inkludierende Bildungsstätte, wo das Ausprobieren von Tricks auf dem Brett schon immer das gleiche Gewicht hatte wie der respektvolle und fürsorgliche Umgang miteinander. „Die Skater waren für mich wie eine Familie.“ Jetzt ist Henry Mitte 20, Videoregisseur und produziert – Skateboardclips.

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Er und seine MitstreiterInnen haben bisher mehr als 65.000 Unterschriften sammeln können. Sie reichten Anfang Juli 14.000 individuelle Einsprüche gegen das Bauvorhaben beim zuständigen Londoner Bezirk Lambeth ein. Damit schafften sie es, dass das Southbank Centre das Genehmigungsverfahren vorübergehend stoppen ließ. Dabei waren immerhin schon rund fünf Millionen Pfund für die Entwürfe der Architekturfirma Fielden Clegg Bradley ausgegeben worden. „Da flossen teilweise Steuergelder für einen mit Makeln behafteten Auftrag, dem keinerlei Bürgerbeteiligung vorausging“, ärgert sich Henry im Gespräch mit der taz.

Das Southbank Centre versucht nun mit einer PR-Offensive für sein Umbauvorhaben zu werben. In einer Art Selbstverpflichtung erklärt sein Management, das Skateboarding am südlichen Themseufer dauerhaft gewährleisten zu wollen. Dabei hatte es nicht immer ein Herz für den Sport. Mitte der 80er Jahre wollte es die Skater schon mal loswerden – auf die rabiate Art.

Abends ließ es das Licht in der Undercroft ausschalten, Wachmänner sollten den Skatern den Zugang versperren. Und der Beton wurde mit Kieseln bestreut. Als die Rollbrettfahrer wegblieben, kamen Obdachlose, Junkies und Dealer. Das schreckte Konzert- und Ausstellungsbesucher ab, weshalb man die Skater wieder gewähren ließ. Mitte der nuller Jahre schrumpfte die befahrbare Fläche der Undercroft dann durch den Einbau erster Restaurants und Läden auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Größe.

Urbane Simulation

Als Alternative zur Undercroft soll nun für eine Million Pfund unter der nahen Hungerford Bridge ein nagelneuer, viel größerer Skatepark eingerichtet werden. Doch das lehnen viele Skater ab. „Früher bestanden Skateparks aus Wellen und Halfpipes. Heute sind sie Imitate des Straßenraums – akzeptabel für Mittelklassemütter, die ihre Kinder sicher bewahrt wissen wollen“, spottet Henry.

Die Skateboard-Aktivisten würden sie gerne als „Village Green“ registrieren lassen: die Undercroft. Bild: Oliver Pohlisch

Die „Long Live Southbank“-Kampagne will sich die Undercroft nicht durch eine urbane Simulation ersetzen lassen. Ihr Motto ist: Schutz statt Umsiedlung. Gerne verweisen die Skater auf einen erst vor sieben Jahren nahe der Tower Bridge installierten Skatepark, der unbefahren, weil ungeliebt, vor sich hin rottet.

„Skateboarding lehrt dich, deine Grenzen zu erkennen und wie du sie Stück für Stück verrücken kannst“, erklärt Henry. „Klar kannst du deine Tricks auch in Skateparks vollführen, aber dort wirst du zu einem Roboter. Auf der Straße ist das anders. Der Grund hat Risse.“ Die Sprache ihrer Tricks, sagen die Skater, sei es, städtische Texturen in etwas von ihrem ursprünglichen Zweck Entferntes zu verwandeln. Wie keine andere Location verkörpere die Undercroft die Essenz ihres Sports: die organische Selbstaneignung vorgefundener Orte.

Während sich prominente Profiskateboarder mit der „Long Live Southbank“-Kampagne solidarisieren, hat sich Designer und Ex-Southbank-Skater Richard Holland für den geplanten Skatepark starkgemacht und das Southbank Centre im Gestaltungswettbewerb beraten, den ein auf solche Anlagen spezialisiertes dänisches Architekturbüro gewinnen konnte.. „Während meiner 27 Jahre als Skateboarder hat sich die Szene dramatisch verändert. Viele meiner Freunde arbeiten nun in dieser Milliardenindustrie, zu der sie geworden ist“, sagte Holland der Tageszeitung The Guardian. Die Undercroft sei dagegen immer kleiner und weniger skatebar geworden. „Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.“

Das lässt sich auch als Vorwurf an die AktivistInnen der „Long Live Southbank“-Kampagne lesen, sie seien Nostalgiker, deren Wunsch nach Konservierung der Undercroft kaum noch etwas mit dem von ihnen selbst bemühten, rebellischen Street-Skateboarding-Ethos zu tun habe.

Bleiben kostet 17 Millionen Pfund

Die Kampagne hat versucht, die Undercroft als Village Green schützen zu lassen. Einem entsprechenden Antrag erteilte der Bezirk aber eine Absage, die derzeit vor Gericht angefochten wird. Zudem hoffen die AktivistInnen darauf, dass der Entwurf der Planer bei den Behörden nicht durchkommt, weil auch Southbank-Nachbarn wie das National Theatre oder das British Film Institute Einspruch erhoben haben. Diese fürchten Betriebseinschränkungen durch den Umbau.

Ende September schlug das Southbank Centre den Skatern überraschend vor, sie könnten in der Undercroft bleiben, wenn sie innerhalb von sechs Monaten 17 Millionen Pfund aufbringen würden, sie müssten aber eine dreijährige Schließung während der Umbauarbeiten hinnehmen. „Jetzt sollen wir in kürzester Zeit ihre Finanzierungslücke füllen“, empört sich Henry. Auf welchen Berechnungen diese Summe beruhe, sei völlig intransparent. Die AktivistInnen hätten keine Einsicht in die Planungsunterlagen erhalten.

„Denen geht es doch nur darum, so viel Profit wie möglich aus der Gegend herauszuholen“, meint Henry. Der in den vergangenen Monaten lauter gewordenen Kritik an der Privatisierung öffentlicher Räume und den Verdrängungsprozessen in ihrer Stadt folgend, beklagt er die Gentrifizierung des südlichen Themseufers.

Tatsächlich erfährt es seit rund 15 Jahren eine massive Aufwertung als touristischer Anziehungspunkt – davon zeugt das London-Eye-Riesenrad genauso wie die Konversion des alten Bankside-Kraftwerks zur Tate Modern. Weitere Großprojekte sollen folgen. Treibende Kraft dieser Entwicklung ist die Southbank Employers Group, ein Interessenverband aus Anrainern, zu dem neben dem Kulturzentrum auch der Shell-Konzern gehört, ein wichtiger Sponsor des Southbank Centre.

Fenster zur Subkultur

Allein die Undercroft vermag dem Kommerz noch zu trotzen, meint Henry – obwohl die Skater längst selbst zur Publikumsattraktion geworden sind. „Wir öffnen den Leuten ein Fenster zu einer Subkultur, in der man zusammen mit anderen und praktisch ohne Geld die Stadt nach eigenem Sinn umgestalten kann.“

Mit dem Verlust ihres letzten großen Habitats würden auch die Skateboarder aus den Straßen Londons verschwinden, prophezeit er. „In zehn oder 15 Jahren gibt es womöglich nur noch Skateparks. Street-Skateboarding ist dann komplett ausgestorben, weil es sowieso überall Skatestopper gibt.“

Die City of London, der Finanzdistrikt der Metropole, hat längst eine Regelung erlassen, die das Rollbrettfahren dort vollständig verbietet. „Das Image der Skateboarder ist Mainstream geworden, aber indem man sie in Parks drängt, nimmt man ihnen das Element ihres Ausdrucks.“

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