: Wende im Ehrenmord-Prozess?
Im Berliner Verfahren gegen die drei Brüder, die ihre Schwester Hatun ermordet haben sollen, zweifelt die Verteidigung die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin an
BERLIN taz ■ Wieder einmal war es Alpaslan Sürücü, der die Verhandlung mit einem wütenden Zwischenruf unterbrach. Was der zweitälteste der drei angeklagten Sürücü-Brüder dem Berliner Landgericht gestern entgegen schleuerte, hat er im Prozess schon viele Male gefordert: Nicht er und sein Bruder Mutlu gehörten auf die Anklagebank, sondern die Hauptbelastungszeugin Melek A.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die drei Brüder ihre 23-jährige Schwester Hatun im Februar in Berlin wegen deren westlichem Lebensstil gemeinschaftlich ermordet haben, um die Familienehre wiederherzustellen. Der 26-jährige Mutlu soll die Waffe besorgt, der 25-jährige Alpaslan Schmiere gestanden und der 19-jährige Ayhan geschossen haben. Ayhan hat die Tat allein auf sich genommen. Die beiden Älteren bestreiten jegliche Beteiligung.
Dass Alpaslan in dem seit September laufenden Prozess so auf der Zeugin Melek herumhackt, hat seinen Grund. Die 18-Jährige war zum Tatzeitpunkt mit Ayhan liiert. Bei ihr hat sich der Todesschütze vor und nach der Tat erleichtert. Auf die Aussage Meleks – mit ihrer Mutter seither im Zeugenschutzprogramm der Polizei – stützt die Staatsanwaltschaft die Annahme des Familenkomplotts.
Das Gericht hat diese Auffassung bislang ganz offenkundig geteilt. Der Antrag der Verteidiger, den Haftbefehl von Mutlu und Alpaslan aufzuheben, wurde Anfang November abgelehnt: Gegen die beiden bestehe weiterhin dringender Tatverdacht.
Inzwischen hat die 18. Strafkammer einen neuen Vorsitzenden bekommen. Der alte ist in Ruhestand gegangen. Nun leitet der bisherige Beisitzer, Michael Dagreif, die Verhandlung. Die Beweisaufnahme gestaltet sich schwieriger als angenommen, was dazu führt, dass nicht vor Januar oder Februar mit einem Urteil zu rechnen ist.
Gestern wurde zum zweiten Mal eine Kriminalbeamtin als Zeugin vernommen, die im Februar die Vernehmung der Hauptbelastungszeugin Melek durchgeführt hat. Bei Melek, die ihre Erkenntnisse über die Tatbeteiligung von Mutlu und Alpaslan im Wesentlichen von Ayhan haben will, kommt es auf jede Feinheit an. Die Kammer darf nicht den leisesten Zweifel an Glaubwürdigkeit und Stimmigkeit ihrer Angaben haben, wenn sie Mutlu und Alpaslan verurteilen will.
Aus Sicht der Verteidigung ist diese Stimmigkeit spätestens seit der Befragung der Vernehmungsbeamtin nicht mehr gegeben. „Die Zweifel mehren sich“, sagte Mutlus Verteidiger Matthias Kock zur taz. Gemeint ist damit insbesondere ein Satz, den Alpaslan in Meleks Gegenwart nach der Tat bei einer U-Bahnfahrt zu Ayhan gesagt haben soll: „Ich habe dir doch gesagt, schieß ihr in den Kopf …“
Diesen Satz hatte Melek zum ersten Mal vor Gericht erwähnt. Sie meinte aber, davon auch schon bei ihrer polizeilichen Vernehmung gesprochen zu haben. In dem Polizeiprotokoll findet sich davon nichts. Die Vernehmungsbeamtin sagte nun, sie könne sich auch nicht an einen solchen Satz erinnern.
PLUTONIA PLARRE