Die Lust der Frauen: Sich anfassen

Wenn guter Heterosex für Frauen wie lesbischer Sex ist, dann ist der Penis Diener und nicht länger Gebieter. Ein Plädoyer, die Unterschiede aufzuheben.

Es ist kein Fehler, beim Sex alle Farben zuzulassen. Bild: ap

Dieser Text ist eine Erkundung. Erkundet wird: der Körper der Frau. 1,73 Meter, 64 Kilogramm. Grüne Augen. Langsam wandert ihr Blick von der weißen Zimmerdecke über die über und über mit blauen Aquarellen bedeckte Wand hinunter zu ihrem entblößten Körper. Weil sie ihn liegend nur verschwommen sehen kann, stützt sie sich auf die Arme, hebt den Kopf. Vor ihr wölben sich die Brüste, weich, weiß, nur auf den Spitzen die Röte, dahinter die hügelige Ebene, zwischen den Beinen die Schlucht. Eine Hand liegt darauf.

Über Lust zu schreiben, ist einfach. Da ist dieser nackte Körper. Aber was kommt danach, nachdem diese Frau, die ihren eigenen Körper erkundet und deren Schlucht zur Quelle wird, einer, aus der Wasser kommt und Wahrnehmungen sprudeln, die gar nicht gesagt sind, in den Blick gerät? Wessen Hand auf ihrer Scham liegt, steht hier nicht.

Sex haben; mit jemandem ins Bett gehen; mit jemandem schlafen, den Beischlaf vollziehen – wenn es schön ist, wird schlafen in der Sprache lieben. Schlafen also. Danach kommt Träumen.

Derbe Ausdrücke aber gibt es zuhauf: bohren, stoßen, nageln. Darauf haben Frauen gewartet, dass sie Holz sind, in das hineingebohrt wird. – Besteigen, stechen, reiten. Darauf haben Frauen gewartet, dass sie Rösser sind, die man antreiben, die man peitschen kann, ein Schlag auf die Flanke. – Bespringen, vögeln, mausen. Darauf haben Frauen gewartet, dass sie in die Falle gehen. – Und bumsen, ficken, knallen sind keine Augenwörter, das sind Ohrwörter. Schon klar, worauf das hinausläuft.

Jemand hat also mit jemandem etwas. Was genau, bleibt ungesagt.

Worauf haben Frauen Lust? Zum Internationalen Frauentag liefert die taz Erfahrungen und Argumente, die eines belegen: Sex ist politisch taz.am wochenende vom 8./9. März 2014 . Außerdem eine Reflexion über Sibylle Lewitscharoff - eine Schriftstellerin auf dem Kreuzzug gegen die moderne Gesellschaft. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Andeutungen in der Literatur

Nun ist es jedoch so, dass Sex nur in der Literatur mit dem Ungesagten auskommt. Marguerite Duras: „Er stöhnt, er weint. Er ist in einer erbärmlichen Liebe. Und weinend tut er es.“

Wenn aber ein Autor, eine Autorin sich doch vorwagt in die genauere Beschreibung – Vladimir Nabokov „nach einer langen, regungslosen Wache bewegten sich meine Tentakel wieder auf sie zu“, Michael Faber „Sein Pimmel wird an ihrer Zunge hart, und als er im warmen Nest ihres Mundes zu voller Größe geschwollen ist“, Haruki Murakami „Sie legte das Ohr an meinen Bauchnabel und nahm meine Hoden in den Mund“, Philip Roth „Sie beugte sich vor und nahm meinen Schwanz zwischen ihre Brüste, damit ich gut sehen konnte, wie er dort eingebettet war“, Anäis Nin „Der Mann sah ihr zu. Seine Hand lag auf ihrem Kopf, und er drückte ihn herunter, so dass ihr Mund sich schließlich über seinen lüsternen Kolben stülpte“, Henry Miller „Oh Tanja, wo ist jetzt deine warme Möse, diese dicken schweren Strumpfbänder, diese weichen üppigen Schenkel. In meinem Pint ist ein sechs Zoll langer Knochen. Ich will jede Falte in deiner Möse aushobeln. Samenträchtige Tanja. Dein Sylvester, ja er versteht, ein Feuer zu machen, aber ich weiß, wie man eine Möse entflammt. Ich ficke dich, Tanja, dass du gefickt bleibst!“ – wenn sich also doch jemand vorwagt in die genauere Beschreibung, dann ist der Penis der Gebieter.

Besser wäre, der Penis wäre Diener.

Das Ungesagte im Alltag

Literatur kann alles, kann geschwätzig sein oder verschwiegen. Und die Wirklichkeit? Ich sitze in der Berliner U-Bahn. Mir gegenüber ein Mann. Braune Cordhose, brauner Anorak, dicke Brille, Cord-Käppi auf den weißen Haaren. Die Daumen seiner verschränkten Hände kreisen umeinander. Am Ringfinger der Ehering. Hatte er schon einmal Sex ohne Penetration?

Später, noch immer in der U-Bahn, ein anderer Mann, seine Beine ganz breit. Und diese Frau im schwarzen Mantel, sie riecht nach Zigaretten, die Haut zwischen Zeige- und Mittelfinger ganz braun, ob wohl schon einmal jemand sie mit feuchten Fingern auf der Klitoris zum Aufstöhnen brachte?

Wer über Sex schreibt, weicht aus, stellt Fragen. Antworten gibt es nicht. Weil es vermessen wäre, zu sagen, so und so und so ist es, so und so und so muss es sein. An der Station „Feuerbachstraße“ verlässt der Cordhosenmann den Zug. Feuer und Bach und Straße. An der Station „Schöneberg“ steigt die Raucherin aus.

Komm endlich zur Sache.

Es gibt keine Sache.

In die Lehre gehen

Die Frau, die ausgestreckt auf dem Bett liegt, und deren Blick über die Wand zum Körper schweift, ist nur zehn Jahre in die Lehre gegangen bei einem Mann auf der Suche nach dem Eros. Sie hat sich unter diesem Mann verrenkt, um sich zu spüren. Sie hat sich auf ihn gesetzt, um sich zu spüren. Sie hat Jahre gebraucht, um Worte zu finden für ihr Begehren, langsamer, schneller, hat den Mund verschlossen, und wieder gelernt, ihn zu öffnen. Der Eros war weit. Als sie ihn fand, merkte sie, dass sie auch bei einer Frau in die Lehre hätte gehen können.

Manchmal dauern Dinge. Die Frau, 1,73 Meter, 64 Kilo, grüne Augen, denkt, ihren Körper dabei betrachtend, über die Lehre nach. Wie sie den Mund öffnete und sagte, dass sie angefasst werden möchte, „fass mich an!“ und nicht merkte, dass der Satz gar nicht über ihre Lippen kam und wie sie also erst lernen musste, diesen Satz zu sagen und wie sie nach und nach lernte, zu sagen, dass sie angefasst werden möchte, weich und feucht und zart, fast so, als wäre, wer sie anfasst, der Regen, der Wind.

Und wie die Lehre immer anspruchsvoller wurde, auch darüber denkt sie nach, denn sie merkte, dass nur sie in die Lehre ging, nicht aber dieser Mann, der doch Gebieter war, Herr, schon aufgrund seines Geschlechts, das, anders als ihr Geschlecht, ein Ziel hat in ihr, und wie sie am Ende merkte, dass sie möchte, dass sein feuchter, harter Penis nicht in ihr, sondern auf ihrer Klitoris spielt, sie berührt, sie befeuchtet, tastend in Einklang mit ihrem schwebenden Auf und Ab, denn jede Berührung verlangte eine Pause vor der nächsten und dass sie wollte, dass er dies tat, ohne in sie einzudringen, und wie sie merkte, dass er gar nicht ihr Lehrer war, sondern sie niemanden hatte, der sie etwas lehrte, nur sie sich selbst. Da endlich sagte sie, „berühre meine Klitoris mit dem Penis“, und er tat es.

Es war ihre Erkundung.

Von anderen lernen

Und dann war es doch nicht ihre Erkundung. In Ruanda, diesem kleinen zentralafrikanischen Land, so wird gesagt, kennen die Männer die Glut, die von einem Penis ausgeht, der auf der Klitoris tanzt. „Kunyaza“, sagen sie, was soviel heißen soll, wie „zum Fließen bringen“. Und in Ruanda gelte die Freude der Lust zwischen den Geschlechtern, dank Kunyaza, denn Kunyaza ist für die Frau. Aus ihr soll das Wasser strömen.

Das erfuhr sie viel später, zufällig, eigentlich hörte sie erst davon, als sie diesen Text schrieb und anderen erzählte, was sie schreiben wolle. Zuvor aber lernte sie, dass sie gar keinen Mann braucht, der ihre Klitoris berührt, und dass sie, wenn eine Frau sie berührt, sie anfasst, dies alles erleben kann, von sich aus. Denn wenn eine Frau eine Frau liebt, erkundet sie das Geschlecht, sucht den Eros, indem sie die Klitoris sucht, und vielleicht auch weitergeht, tiefer in die Schlucht, hinab zur Quelle, zum Wasser.

Die Hand, die auf der Scham der Frau liegt, die ihren Körper betrachtet, ist es die Hand einer Frau?

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Seit 2002 bei der taz, erst im Lokalteil, jetzt in der Wochentaz. 2005 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für die Reportage „Schön ist das nicht“, 2011 wurde die Reportage „Die Extraklasse“  mehrfach prämiert. 2021 erschien ihr Roman "Brombeerkind" im Ulrike Helmer Verlag. Es ist ein Hoffnungsroman. Mehr unter: www.waltraud-schwab.de . Auch auf Twitter. Und auf Instagram unter: wa_wab.un_art

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