Wahl in Afghanistan: Der Prinz von Kandahar

Salmai Rassul entstammt der Königsfamilie von Afghanistan und war lange Außenminister. Jetzt will er selbst Präsident werden.

Anhängerinnen des Präsidentschaftskandidaten Salmai Rassul. Bild: allauddin khan

KANDAHAR taz | Der Boden ist noch matschig vom Regen der vergangenen Tage. Am Hauptplatz nahe dem Zentrum der Stadt Kandahar haben sich viele Menschen versammelt. Sie warten auf einen Mann, der Afghanistans gegenwärtigen Präsidenten, Hamid Karsai, ablösen will. Er heißt Salmai Rassul.

Immer wieder heißt es, dass viele, die zu den Veranstaltungen der Präsidentschaftskandidaten kommen, dafür bezahlt werden; doch Rassuls Anhänger sehen nicht gekauft aus. Sonst wären sie zumindest gute Schauspieler. Der Hauptgrund für seine Beliebtheit ist, dass der frühere Außenminister ein Mitglied der einstigen Königsfamilie ist. Als Abkömmling des royalen Mohammadsai-Clans ist Rassul direkt mit dem letzten afghanischen König, Mohammad Sahir Schah, verwandt. Mit diesem lebte er auch lange Zeit in dessen Exil in Rom.

Rassul macht kein Hehl aus seinem „blauen Blut“. Seine Wahlplakate zeigen neben seinem Konterfei auch afghanische Herrscher vergangener Zeit. Obwohl die meisten von ihnen Tyrannen waren, werden sie vom Volk immer noch geliebt. Da der Mohammadsai-Clan aus Kandahar stammt, wünschten sich viele dort „ihren König“ zurück, vor allem nach dem Sturz der Taliban, die ebenfalls von Kandahar aus die Macht erobert hatten.

Auch Karsais Stamm hat seine Wurzeln in Kandahar. Dass der Großteil seines Clans aber hinter Rassul steht, wurde deutlich, als Hamids älterer Bruder Kajum, der eigentlich auch Präsident werden wollte, zugunsten Rassuls aufgab. Seine Unterstützer rief er zu dessen Wahl auf.

Was? Am 5. April wählen die Afghanen einen neuen Präsidenten. Acht Männer kandidieren. Parallel werden 34 Provinzräte gewählt.

Wer? Registriert sind 12 Millionen Wähler, aber über 20 Millionen Wahlkarten sind in Umlauf.

Wie? Nicht abwaschbare Tinte am Finger soll Wahlbetrug verhindern. Das ist aber auch ein Hinweis für die Taliban.

Gefahr: Die Taliban drohen, die Kandidaten, Wahlhelfer und Wähler zu töten. Bis zu zehn Prozent der Wahllokale dürften aus Sicherheitsgründen nicht öffnen. Die letzten Wahlen 2009 wurden massiv manipuliert, hauptsächlich von Präsident Karsais Lager.

Ergebnis: Das vorläufige Ergebnis wird am 24. April erwartet, das Endergebnis am 14. Mai. Bei einer Stichwahl am 28. Mai käme das Endergebnis Ende Juni.

Bedeutung: Zum dritten Mal seit Sturz der Taliban 2001 wird ein Präsident gewählt. Amtsträger Karsai darf nicht mehr antreten. Es wäre der erste demokratische Machtwechsel am Hindukusch.

Aufgaben: Der neue Präsident muss über eine Ausbildungsmission ausländischer Soldaten ab Ende 2014 entschieden. (han)

Nun, nach langem Warten, erscheint er endlich. Im Wahlkampf verzichtet er lieber auf seine maßgeschneiderten italienischen Anzüge. Stattdessen trägt er Turban und afghanische Tracht. Die Menschen toben und jubeln. Schnell kommt der Paschtune auf seine Hauptthemen Frauenrechte und die Korruption zu sprechen – in Paschtu. Zumindest versucht er es in dieser Sprache.

Ein Mann, der die Sprache des Volkes nicht spricht

Rassul wuchs mehrsprachig auf. In der Schule lernte er Französisch. Später kamen Englisch und Italienisch hinzu. Zu Hause wurde stets Dari gesprochen. All diese Sprachen beherrscht er fließend. Doch seine Kenntnisse des Paschtu, der Sprache seines eigenen Volkes, sind mangelhaft.

Das ist nicht untypisch für die royalen Mohammadsai. Den einstigen König Sahir Schah und seinen Cousin, den späteren Präsidenten, Mohammad Daud, hörte man nur selten Paschtu sprechen. Rassul ist klar, dass dieses Manko ihn Wählerstimmen kosten könnte. Immerhin kann selbst sein Rivale Abdullah Abdullah, hinter dem hauptsächlich die persischsprachigen Tadschiken stehen, vorzüglich Paschtu.

Nun versucht sich Rassul vor versammelter Menge in der Sprache auszudrücken, die er am wenigsten beherrscht. Seit Beginn des Wahlkampfes munkelt man, dass er Paschtu-Lektionen nimmt. Während seiner Rede blickt er immer wieder herab. Liest er ab? Manchmal stottert er oder verspricht sich, seine Aussprache wirkt etwas laienhaft. Doch seine Anhänger scheint das nicht zu stören. „Er spricht doch gar nicht so schlecht. Außerdem bemüht er sich“, sagt ein junger Mann. Rassul habe wenigstens keinen Bluthund wie Abdul-Raschid Dostum zu seinem Vize gemacht, sagt ein Greis. Der Kriegsfürst Dostum ist unter den Paschtunen verhasst. Er ist der Stellvertreter Aschraf Ghani Ahmadsais, der ebenfalls Paschtune ist und zu Rassuls wichtigsten Konkurrenten zählt.

„Wir müssen alle korrupten Kanäle schließen“

In seiner Rede betont Rassul immer wieder, wie wichtig die Gleichberechtigung der Geschlechter sei und wie viel Arbeit diesbezüglich noch auf Afghanistan warte. Für viele ist er in dieser Frage der glaubwürdigste Kandidat. Denn unter den drei Favoriten ist er der Einzige, der eine Frau zu einem seiner zwei Stellvertreter gemacht hat. Doch das Frauenthema ist für Rassul problematisch geworden. Denn er ist unverheiratet. In Afghanistan behaupten Kleriker, ein lediger Mann könne Muslime nicht führen. Dafür stellten sie in den letzten Jahrzehnten fast jedem Kriegsverbrecher einen Persilschein zum Regieren aus, Hauptsache, er war verheiratet.

Rassul thematisiert sein Singledasein nicht, stattdessen die Bekämpfung der Korruption: „Wir müssen alle korrupten Kanäle schließen“, wiederholt er. Wie er das machen will, wird aber nicht deutlich. Dass sein erster Stellvertreter, Ahmad Sia Massud, einst am Flughafen in Dubai mit mehreren hunderttausend Dollar ertappt wurde, scheint Rassul verdrängt zu haben. Die Tatsache, dass er als einstiger Außenminister unter Karsai selbst Teil dieses korrupten Systems war, spielt an diesem Tage ebenfalls keine Rolle.

Für seine Gegner ist Rassuls Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen jetzt schon klar. Doch manche Beobachter sehen ihn als potenziellen Karsai-Nachfolger. Rassul werden auch gute Kontakte zu den USA nachgesagt. Wie die Hauptfavoriten Ghani Ahmadsai und Abdullah hat er angekündigt, im Falle seiner Wahl das strategische Partnerschaftsabkommen mit den US-Amerikanern unverzüglich zu unterschreiben.

„Unser Land war stets stolz und unabhängig. Allerdings sind wir gegenwärtig auf jedwede Hilfe angewiesen“, sagt er. Was im Abkommen steht, das von manchen scharf als „Kolonialpakt“ kritisiert wurde, sagt er nicht. Die Masse jubelt trotzdem. Währenddessen ist der Himmel klar geworden und die Sonne scheint in Rassuls Gesicht. Fast schon majestätisch, winkt er ein letztes Mal und verabschiedet sich – in Dari und Paschtu.

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