: Korallen, Kerosin, Klimakatastrophe
Es war ein Marterflug durch Sturzregen und Luftlöcher, dann setzt das kleine Wasserflugzeug sanft auf. Warten auf besseres Wetter – bei gegrilltem Lobster in einem Touristenressort auf den Malediven ist das sehr angenehm. Doch bereits jetzt leiden die Inseln unter der Erwärmung des Erdklimas
von CHRISTIANE SCHULTE
Ausgerechnet auf den Malediven. Ausgerechnet hier, wo Reisekataloge das Paradies ansiedeln und Gott noch einen kräftigen Extraschuss Blau ins Meerwasser gab. Eine Notwasserung im Indischen Ozean! Erst ein Marterflug durch Sturzregen und Luftlöcher, dann setzt das kleine Wasserflugzeug erstaunlich sanft auf. Langsam, ganz langsam lösen sich die verkrampften Finger aus dem weißen Lackleder des Sitzes. Ist es nun wirklich zu Ende? Der Flugbegleiter öffnet die Tür, und endlich kommt frische Luft herein. Das Dröhnen, das Trudeln und vor allem der Gestank nach Abgasen sind erst mal vorbei.
Zwar schunkelt die kanadische Twin Otter, die Captain Shawn gerade auf dem Meer vor der Insel Velessaru aufgesetzt hat, noch kräftig weiter. Aber wenigstens ist sie nicht mehr in der Luft, es gibt wieder einen Horizont, und der Stewart bindet die Maschine an einer Boje fest. Wegen Dauerregen und Sturm konnte der australische Pilot nicht in der Hauptstadt Male landen, musste immer wieder in der Luft kreisen. Bis er der Hand voll Passagiere mitteilte: „Wir landen jetzt, sparen Sprit und warten auf besseres Wetter.“
Aus dem Warten wird eine Übernachtung im nächstgelegenen Touristenressort. Am nächsten Tag – die Sonne scheint wieder, also ob nichts gewesen wäre – werden alle sagen, dass sie so etwas noch nicht erlebt haben hier. Dass es auf den Malediven normalerweise nicht so lange am Stück regnet. Okay, im Oktober ist noch Regenzeit, Monsun. Aber 14 Stunden nonstop Wasser von oben! Hatte da die Natur nur einen schlechten Tag, oder war das schon eine winzige Folge der globalen Erwärmung?
Rolf Berthold knackt seinen Hummer so gekonnt, dass er das weiße Fleisch alsbald aus der Schale geputzt hat. „Grilled Maldivian Lobster“ gibt es an diesem Abend im Sunset-Restaurant, von Kerzenlicht angedimmt, und gern erklärt der Geschäftsführer des „White Sands Resort & Spa“, wie man dem Schalentier zu Leibe rückt. „Tipp 1: mit den Fingern essen. Tipp 2: einfach ausprobieren.“
Der Weg zum Restaurant führt an Palmen und Schraubenbäumen vorbei – Bäume, die ihre Wurzeln horizontal vor sich her schieben. Selbst nachts ist es noch 25 Grad warm. Lampen geben Orientierung. Eine Hütte hier, ein Pavillon dort. Viel Holz und weiße Wände. Alles sehr zurückhaltend.
Gebaut nur für Besucher – das ist Prinzip auf den Malediven: Touristen und Einheimische leben hier getrennt. Insgesamt gibt es ca. 1.190 Inseln in 26 Atollen. Rund 200 sind bewohnt, 120 von Einheimischen, der Rest sind Ressorts. Eine Insel, ein Ressort, ein Name: White Sands beispielsweise heißt eigentlich Dhidhoofinolhu, was in der Landessprache Dhivehi „weißer Sand“ heißt. Mit 1,9 Kilometern Länge und einer Breite von bis zu 120 Metern ist dieses Eiland relativ groß. Nur 20 Prozent einer Insel dürfen bebaut werden, kein Gebäude darf höher als die höchste Palme sein.
Der maledivische Hummer schmeckt köstlich, und er stammt tatsächlich aus dem Meer, das abendlich dunkel und friedlich an den Strand schwappt. „Unseren Fisch angeln wir vor der Haustür“, sagt Berthold. Der 56-Jährige sieht ein bisschen aus wie Peter Ustinov, und seine Augen spiegeln genau das Weltenbummlertum, das ganz langsam entstand, nachdem er vor 28 Jahren seine Heimat Hannover verließ und Hotels in der Welt aufbaute. Er erzählt vom benachbarten Ressort Kanuhuura, wo er mal arbeitete und wo der Hummer aus Boston eingeführt wird. Ware, die um die halbe Welt fliegt. „Das haben die Gäste so erwartet.“
Ein bisschen verrückt sei das schon, gesteht er ein. Aber normal auf den Malediven: Außer Fisch und Kokosnüssen wird alles importiert. Gemüse, Früchte, Wein und Baumaterialien ebenso wie Hotelbosse, Architekten und auch viele der Angestellten. Nur die Softdrinks haben einen kurzen Weg. Auf Thulusdhu, der so genannten Coca-Cola-Insel, produziert der US-Konzern Getränke und stellt die weltweit wohl einzige Coca-Cola mit entsalztem Meerwasser her.
Wer morgens früh aufsteht auf White Sands, sieht Männer, die Blätter vom Strand fegen. Ein paar Frauen aus Bali gehen zur Arbeit, Gäste massieren. Sie lächeln freundlich. „Good morning! How are you?“ Zwischen zwei Palmen ist eine Hängematte gespannt, das Meer hat Badewannentemperatur. Alles wie im Katalog. Die Farben des Wassers so strahlend grün, türkis oder blue curaçao, dass es unwirklich erscheint. Sauber sieht alles aus, wie frisch gewaschen.
Im Dhoni, dem traditionellen Holzboot mit Dieselmotor, geht es nach Dhangethi, der ausschließlich von Einheimischen bewohnten Nachbarinsel. Hier steht das einzige Kulturzentrum der Malediven. Saud Abdullah, Leiter des Zentrums, erklärt die liebevoll zusammengestellten Relikte aus der Zeit vor 30 Jahren, als die ersten Touristen kamen und Licht noch mit Kokosnussöl gemacht wurde. Mit dem Finger malt er Schriftzeichen auf ein mit Sand gefülltes Tablett. „So haben wir schreiben gelernt.“
Heute wohnen auf Dhangeti 825 Malediver. Die Hauptstraße des Orts ist von Läden gesäumt, bunte Kleider flattern im Wind, Verkäuferinnen hoffen auf Verdienst durch die Touristen. Ein paar knallrote Korallensteine in einer Mauer zeugen von traditioneller Bauweise. Früher wurden die Häuser aus Korallen gebaut. Das ist heute verboten. Wegen der Korallenbleiche, vor allem durch das Klimaphänomen El Niño bedingt, dürfen die Meerespreziosen weder exportiert noch im Land selber benutzt werden. So müssen die Malediver teures Material aus dem Ausland importieren.
Zurück nach White Sands. Obwohl die Sonne vom Himmel knallt, lässt es sich barfuß über den Strand gehen. Korallensand heizt sich nicht auf. Schuhe aus, Sand spüren, langsam gehen. Kaum vorstellbar, dass Weihnachten 2004 der Tsunami über die Insel zog. Die Flut hat fast 15.000 der 300.000 Malediver von ihrer Insel vertrieben, mehr als 100 wurden getötet. Knapp 4.000 Häuser wurden zerstört oder beschädigt, 69 der bewohnten Inseln vollständig überflutet. Ein Viertel der Touristenressorts musste vorübergehend geschlossen werden.
Brusthoch stand das Wasser auf White Sands, ein englischer Tourist starb. Auf der Suche nach seiner Familie, die sich ins Restaurant gerettet hatte, soll er einen Herzinfarkt erlitten haben. Ende Januar kamen die ersten Touristen wieder. Eine Lücke in der Reihe der Bungalows zeugt noch davon, dass die Welle ein paar Bauten mitriss.
In der Nähe des Sunset-Restaurants ist ein Mann mit dem Flechten einer Matte aus Palmengras beschäftigt. Er macht das flink und dennoch ruhig. Man sieht nichts von all der Logistik im Hintergrund: Jede touristische Insel betreibt eine eigene Müllverbrennungsanlage. Biologische Abfälle werden kompostiert, Abwässer, bevor sie ins Meer geleitet werden, biologisch geklärt. Zudem betreibt jedes Ressort eine eigene Meerwasserentsalzungsanlage Die benötigt Energie, deshalb wird eigener Strom erzeugt – mit Diesel. Metall- und Plastikabfälle werden gesammelt und auf der Müllinsel Thila Fushi entsorgt.
Hummer-Import aus den USA, Hühnchen-Import aus Brasilien, Wein-Import aus Australien, Gemüse-Import aus Deutschland: Er habe mal recherchiert, so der Österreicher Walter C. Kaufmann, Manager des „Meeru Island Resort“, dass das „deutsche“ Gemüse, das bei ihm auf den Tisch kommt, aus Südafrika stammt. „Und das, wo hier alles um die Ecke wächst, auf Sri Lanka.“ Was im Import aber noch teurer wäre und außerdem nicht in konstanter Qualität geliefert würde, so Kaufmann.
Dabei gehörten die Maldiven zu den Staaten, die weltweit als erste und besonders heftig vom Klimawandel betroffen sind. 80 Prozent der Inseln liegen weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel, Sandburgen gehören schon zu den höchsten Erhebungen. Jeder Zentimeter, den der Meeresspiegel ansteigt, bedeutet Verlust von Land. Bei einem Staatsgebiet, das zu 99 Prozent aus Wasser besteht, eine bedrohliche Vorstellung. Vertreter der Malediven nehmen daher tapfer an jeder Klimakonferenz teil, um sich für den Schutz der Erdatmosphäre einzusetzen. So wundert es nicht, dass der Schweizer Marc Aeberhard, Manager des „island hideaway“ im nördlichen Haa-Alifu-Atoll, erzählt, er habe bei einem Treffen mit dem Staatspräsidenten gleich ein Thema gefunden: das Wetter in der Schweiz und die kontinentale Gletscherschmelze.
Die notgewasserten Touristen sind derweil längst wieder in Deutschland gelandet. Jeder Einzelne von ihnen hat allein mit seinem Hin- und Rückflug Abgase mit einer Klimawirkung von fünf Tonnen Kohlendioxid in der Atmosphäre hinterlassen.