piwik no script img

Archiv-Artikel

Das Cargobike ist des Sprinters Tod

LASTENRAD Es kann eine Menge vertragen, kommt überall durch. Eine subjektive Annäherung an das Fahrrad mit dem extragroßen Laderaum

Ob Pizza oder Paket, die Lieferflotten werden ergänzt um Cargobikes

VON GUNNAR FEHLAU

Eigentlich ist die Welt doch schon kompliziert genug. Alles verändert sich, alles ist im Fluss – oder doch nicht? Zumindest der Postbote, der kommt heutzutage so anders daher. Früher brachte er die Päckchen mit dem Sprinter. Heute sitzt er auf einem Cargobike und freut sich. Und was ist ein Cargobike? Ein Transportrad. Ein zwei- oder dreirädriges Fahrrad mit mächtiger Transportkapazität. Und somit eine Herausforderung für den Verkehr, ob der nun steht oder rollt. Schön, aber kann das Cargobike denn auch die Welt retten, wie seine Lobbyisten manchmal glauben machen wollen? Oder wenigstens hartnäckige Verkehrsprobleme lösen?

Verkehr ist keine einsame Sache. Man ist ja faktisch niemals wirklich alleine unterwegs. Es gibt Mitfahrer, Überholer, Einfädler, Abfahrer, Auffahrer, Umfahrer, Verfahrer, Drängler und Entgegenkommer. Verkehr findet im öffentlichen Raum statt. Deshalb muss man eigentlich die Nase rümpfen, wenn vom „Individualverkehr“ die Rede ist. Das Anliegen mag individuell sein, die Probleme und Lösungen sind hingegen kollektiv: Die Straßen sind voll. Es rollt schon lange nicht mehr flüssig auf deutschen Straßen. Vor allem nicht in den Innenstädten. Vor allem nicht in den Stoßzeiten. Wenn Paula K. zur Arbeit will, Michael W. in die Schule, Steffi B. ins Fitnessstudio möchte und Abdul K. sich zum Flughafen aufmacht, drückt das mächtig auf die Fließgeschwindigkeit. Und um die geht es den Verkehrsplanern. Denn nicht die absoluten Höchstgeschwindigkeiten bestimmen, wie schnell alle ans Ziel kommen, sondern die Fließgeschwindigkeit aller Verkehrsteilnehmer.

Fluss aber braucht Platz. Letztlich bestimmen die Nadelöhre, wie schnell es geht. Hier kommen die Transporter, die sogenannten Sprinter ins Spiel. Ihr „Stop and go“ mit vielen Auslieferungen auf vergleichsweise geringer Wegstrecke sorgt für fortwährenden Rückstau. Das ist übrigens nicht allein für die anderen Verkehrsteilnehmer ein Problem. Die Fahrer stehen unter einem extremen Zeitdruck und sind stets in Versuchung, sich nicht nur unbeliebt zu machen, sondern auch strafbar. Das kostet Nerven, Geld und Effizienz. Es besteht also eine gewisse Eigenmotivation der Paketdienste, für die „Last Mile“, wie die Logistiker das letzte Glied der Wegkette zum Empfänger im urbanen Raum bezeichnen, Alternativen zum sperrigen 2,8-Tonnen-Laster zu suchen.

Gefunden wurde das gute alte Lastenrad. Auferstanden als Cargobike, kommt es in der Wirtschaft immer mehr in Mode. Vorreiter sind Bringdienste jeder Art. Ob Pizzabäcker oder Paketdienst, sie ergänzen ihre Fahrzeugflotten immer öfter um Cargobikes. Dass jedoch die Lieferwirtschaft dabei angetrieben wird, der Gesellschaft Gutes zu tun oder gar die Welt zu retten, ist noch nicht mal ein Gerücht. Der Einsatz der Cargobikes ist das Ergebnis knallharter Kalkulationen – in einer Branche, die sich mit dem Argument der „Unvermittelbarkeit höherer Kosten für Kunden“ beispielsweise vehement gegen Mindestlöhne wehrt, kann das als selbstverständlich erachtet werden. Wie weit die Logistiker mit ihren Effizienzüberlegungen sind, zeigt eine Anekdote, deren Wahrheitsgehalt sich nicht verbindlich prüfen lässt, die aber stimmig wirkt: Ein amerikanisches Lieferunternehmen soll bei der Routenplanung Strecken mit mehrheitlichen Rechtsabzweigungen bevorzugen, weil diese die Wartezeiten an Ampeln verringern. Wenn solche Unternehmen aufs Cargobike setzen, dann ist dessen Wirtschaftlichkeit nicht mehr grundsätzlich in Frage zu stellen. Das Cargobike rechnet sich und kann damit wörtlich genommen werden: „Car go Bike“. Das mag sprachlich unsauber sein, die Botschaft aber dürfte verstanden werden.

Auf alle Fälle kommt sie zunehmend auch bei Familien an. Kinder werden neuerdings mit dem Cargobike zum Kindergarten gebracht, anschließend wird vom Biosupermarkt der gesamte Wocheneinkauf CO2-neutral nach Hause transportiert. Wobei es sich bei diesen Transportfällen keinesfalls nur um die Umsetzung wirtschaftlicher Logistiküberlegungen handelt. Hier geht’s schon um mehr, manchmal wirklich um alles. Im Endeffekt um die Rettung der Welt.