Londoner Club „Slimelight“: Dämonen im Dämmerlicht

Das „Slimelight“ trotzt der hippen Londoner Clubszene seit 30 Jahren. Hier vergnügt sich die Gothicszene in der zweiten Generation. Ein Augenschein.

Tagsüber wird hier mit Schrott gehandelt – nachts wird Gothik oder Darkwave gespielt. Bild: Daniel Zylbersztajn

Den meisten Ortsansässigen im Londoner Stadtviertel Angel, das zum Bezirk Islington gehört, sind diese seltsamen Frauen und Männer schon mal begegnet. Mit ihrem dick aufgetragenem Make-up unter den roten müden Augen, den turmhoch aufgeföhnten Haaren und kunstvoll geflochtenen Extensions, den einheitlichen schwarzen Klamotten und Nietenschwärmen und plateauhohen Stiefeln, schauen sie leicht jenseitig aus. Liefe ein Film, dann hätte man es mit Dämonen, Vampiren oder Teufeln zu tun. Aber wir sind in der Wirklichkeit und diese Gestalten sitzen völlig übermüdet, aber zufrieden lächelnd Sonntagmorgens gegen 7 Uhr friedlich in den Straßencafés der Upper Street. Seit 26 Jahren ist es das gleiche Bild.

Es sind die letzen Übriggebliebenen einer langen Nacht im Slimelight.

Slimelight, so heißt der bekannteste Gothic-Club Großbritanniens. Während sich die Clubszene Londons fast täglich ändert, gibt es das Slimelight inzwischen in der zweiten Generation. Seine Geschichte lässt sich unter dem alten Namen Kitkat sogar bis in die frühen Achtziger zurückverfolgen.

„Manche, die früher hierher kamen, und bei denen dann irgendwann Arbeit und Familie ins Zentrum des Lebens rutschten, sind nach 20 Jahren wieder aufgetaucht und bringen ihre inzwischen erwachsenen Kinder mit“, erzählt Mayuan Mak, der Manager und Teilhaber des Clubs.

Der Soziologe Paul Hodkinson, der seine Dissertation über die Gothicszene geschrieben hat, bezeichnet das Slimelight als Aushängeschild der Szene. Als Club für Gothic und Darkwave, mit Überschneidungen zu Death-Metal könnte der Club gar nicht verführerischer aussehen. Das Wort Metal gilt hier nämlich sprichwörtlich. Es prangt schon an einer der Außenwände, an der in großen Lettern „Non Ferrous Metal Merchant (Handel mit nichteisenhaltigem Altmetall)“ steht.

Altmetall bringt den Cashflow

Und tatsächlich, in einer Ecke des Clubgeländes ist tagsüber ein Schrotthandel untergebracht, der einzige in der Gegend. Der Schrott vom Tage unterstützt so die Nächte im Club, nicht nur finanziell: „Alles Möbeldesign, was in unserem Club steht, wurde aus dem Schrott hergestellt“, erklärt Mak und lacht.

Der schlanke Mann in dem ärmellosen schlichten schwarzen T-Shirt und seiner schwarzen Jeans mit dem enormen Schlüsselbund gibt sich bescheiden. Doch Mayuan Maks Karriere ist in ihrer unkonventionellen Art einer der größten Erfolgsgeschichte der britischen Clubszene überhaupt. Als 19-Jähriger versuchte Mak 1987, den Kitkat-Club, damals noch in Westbourne Grove, im Londoner Westen gelegen – zusammen mit der benachbarten Portobello Road, einer der Szeneorte jener Jahre – am Leben zu erhalten, als dessen Manager sich mit dem Inhaber in den Haaren hatte.

Mit einer gebrauchten Anlage ließ Mak den Kitkat-Club weiterlaufen. Trotz anfänglicher Erfolge wurde das Gebäude, in dem der Club untergebracht war, bald verkauft. Unter dem neuen Namen Slimelight – eine Parodie auf die schicke Diskothek Limelight – zog man quer durch London. Mak veranstaltete etwa Events in der libyschen Botschaft und in einer verlassenen Kirche in Holborn. Ende 1987 bezog das Slimelight schließlich den obersten Stock der Torrens Street 7 in Angel, in einem dreistöckigen alten Pferdestall aus dem späten 19. Jahrhundert.

Einst wurden dort die Pferde der Taxidroschken beherbergt, bis der Stall 1925 in eine metallverarbeitende Fabrik umgebaut wurde. Über die Jahre ergatterten Mak und seine Teilhaberin Dette zwei weitere Etagen des Gebäudes und der Club vergrößerte sich. Auf seine anhaltende Popularität angesprochen urteilt Mak, dass Gothic oder Darkwave als Musikgenre von vielen jungen Fans falsch interpretiert wird: „Sie glauben, dass wir in den Achtzigern nur seltsame B-Seiten von Sisters of Mercy und Siouxsie and the Banshees aufgelegt hätten. Vollkommen falsch“, sagt Mak. „Wir hörten alles durcheinander, auch heute läuft hier mal ein Song von Blondie oder psychedelische Musik im Set, wenn uns danach ist.“

Für alle Anlässe

Trotz seiner zentralen Lage, ganz auf sich allein gestellt hätte das Slimelight kaum überleben können. Nicht nur mit dem Altmetallhandel hält sich der Club über Wasser; auch auf anderen Ebenen ist man flexibel: Zwar lassen Mak und Dette jeden Samstag in einer der Hallen „echten Gothic“ auflegen. Aber auf den anderen Dancefloors gibt es Clubnächte für andere Crowds. „Auch die Gothic-Heads tanzen nun mal gerne zu Acid-House. Nur wollen sie eben nicht, dass es in ’ihrer Gothic-Halle‘ gespielt wird“. Daneben laufen Spezialnächte wie „Voodoo Rock“, oder „Hard House“ und eine Transgender-Industrial-Nacht, außerdem werden die Räumlichkeiten auch für Hochzeiten und Konzerte vermietet.

Vor sechs Jahren ließ der italienische Kunstfonds den „Double Club“ errichten, einen temporären mehrstöckigen Club mit kongolesischer Bar und Restaurant. Viele der damals ausgeführten Umbauten bestehen noch. Zusätzlich wartet ein alter rot-weißer Londoner U-Bahn-Waggon mit integrierte Bar, auf eine imaginäre Fahrt Richtung Upminster. Wichtig sei, sagt Mayuan Mak, nicht das Geld, sondern „die Gäste, die immer wieder fragen, ob es noch mal so eine Nacht, wie die Letzte geben könne! Bei uns geht es um Liebe zur Musik, die entgegen herkömmlicher Geschäftsmodelle existiert!“

Knutschen und Kontrollverlust

Im hellen, von der lauten Musik abgeschirmten Chill-out-Room spielen nun, es ist zwei Uhr morgens, die Gothics in Leder, Latex, Maskara und hohen Stiefeln Tischfußball. Andere reden miteinander, ein Pärchen knutscht an einer Ecke des ausrangierten U-Bahn-Waggons, während zwei ältere Rocker Marke Kontrollverlust etwas fußlahm durch die Gegend stolzieren.

Hier steht auch Demon, der extra aus dem 100 Kilometer entfernten Portsmouth in die Hauptstadt gepilgert ist. Wo er zu Hause ist, gibt es Gothic nur noch als Teil einer Industrial-Subkultur, bedauert er. „Das Slimelight ist deshalb äußerst wichtig!“, sagt der 44-Jährige, der einen Teil seinen vorderen Haarsträhnen zwischen seinem rechten Auge und seiner Brille gesteckt hat, vielleicht weil es so abartiger aussieht. Russ, der neben ihm in einer Jacke mit gigantischen Killernieten steht, fasst Demons Aussehen in einem Satz zusammen: „We are all freaks in our own way here!“

Dann fügt Demon mit heiligem Ernst hinzu: „Wenn das Slimelight tot ist, stirbt Gothic auch!“

Nicht weit von ihm sitzen Lisa, 27, und Nadia, 25. Nadia mit langen türkisfarbenen in ihr Haar geflochtene Extensions und Silberperlen im Gesicht stimmt Demon zu: „Der Club bedeutet alles für mich! Ich habe hier sogar meine große Liebe kennengelernt!“ Auch Calum Gray aka „Jo the Waiter“, einer der DJs, die im Slimelight auflegen, hält den Club für ein ganz besonderes Refugium. „Ich habe schon in vielen Ländern aufgelegt, auch in Deutschland“, sagt er stolz, „aber dort ist die Szene viel anonymer. Im Slimelight ist die Atmosphäre richtig familiär, selbst Fremde begegnen sich freundlich, das gibt es nirgendwo sonst!“

Wie eine Ersatzfamilie

Eine Zigarette bei der Außenabsperrung im Freien rauchend, erzählt Panda, schon seit 24 Jahren Stammgast, dass sie und die anderen Älteren inzwischen auf die Jüngeren aufpassen, „weil die Kurzen ihre Grenzen noch nicht kennen. Wie in einer Ersatzfamilie“, beschreibt sie dieses Miteinander. Es ist inzwischen drei Uhr morgens, im Trockeneisnebel, vor dem mit Seilen und Netzen flankierten DJ-Pult, im Licht der Scheinwerfer, flattern viktorianisch gekleidete Gestalten rhythmisch-verloren wie Fledermäuse zur düsteren Musik.

Trotz der vielen falschen Zombiekontaktlinsen und den der Fetischszene entnommenen S&M-Accessoires, herrscht eine gemütliche Anmutung. Im Gegensatz zu den Angeberläden und Fleischmärkten andernorts in London, ist das Slimelight eine Mischung aus Nostalgie, Theater, Popmusik und Geselligkeit.

Bis in die frühen Morgenstunden werden die Rocker, Punks und Vampire sich hier amüsieren, genau wie vor 30 Jahren. Besonders war schon zu Zeiten als der Club noch Kitkat hieß, dass die Musik auf der Tanzfläche bis mindestens um 7 Uhr erklingt, und damit die Heimreise mit der Londoner U-Bahn ermöglicht.

Auch Paul Hodkinson erinnert sich, wie er vor etwa 15 Jahren ab vier Uhr in einem semi-vegetativen Zustand im Slimelight zubrachte, bis es schließlich Zeit war, mit dem Morgenzug in seine Heimatstadt Birmingham zurückzufahren, die etwa 200 km nördlich liegt. „Da versuchte ich, mich gegenüber all den ausgeschlafenen Sonntagmorgen-Menschen im Zug unsichtbar zu machen.“

Gothics leben eben nur im Dunkeln richtig auf. Mindestens einmal in der Woche, jeden Samstag, pilgern sie deshalb aus ihren Geheimverstecken nach Angel in London, im Dämmerlicht des Schleimes.

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