Accessoires aus Häkelspitze: Die Nadel wird heiß

Bei einem Berliner Modelabel ist Handarbeit cool. Die Frauen häkeln Tangas, BHs und Schmuck. Im Hintergrund läuft türkischer Pop.

Eine Kette des Labels „Rita in Palma“ aus türkischer Spitze. Bild: Myriam Lutz

BERLIN taz | Birgül Günaydin häkelt einen Tanga. Der schwarze, hauchdünne Faden setzt sich kaum ab von ihrer dunklen Kleidung, dem langen Rock, dem Kopftuch, unter dem die Haare verschwinden. Nur die Swarovski-Kristalle, die auf das Garn gefädelt sind, funkeln im Licht, wenn sie das Garn straff zieht und eine neue Reihe beginnt. „Ich häkele gern“, sagt sie und blickt auf die Reizwäsche. „Egal was. Ist mir doch egal, was die Leute anziehen.“

Günaydin wohnt im Berliner Bezirk Neukölln. Dort ist auch „Ritas Häkelclub“ – ein Verein, der extrem feine Handarbeiten für das Modelabel „Rita in Palma“ herstellt, Accessoires aus traditioneller türkischer Spitze, die aus feinstem Nähgarn gearbeitet werden.

In der Türkei wird vor allem gehäkelt, wenn eine Hochzeit ansteht. Dann verzieren die Verwandten das Kleid der Braut mit einer Spitzenbordüre, sie umhäkeln Tischdecken, Kopftücher und Hausschuhe als Mitgift.

Beim Label „Rita in Palma“ fing vor zwei Jahren alles mit aufwendigen Kragen aus Spitze an. Im Atelier in Neukölln hängen sie, fein säuberlich an seidenen Kleiderbügeln aufgehängt, neben gehäkelten Kugelanhängern an langen Silberketten. Nur ist derzeit der Bedarf an Tangas, Büstenhaltern und Nipple Pasties – selbstklebender Schmuck für die Brustwarzen – größer, seit Rita in Palma mit einer Lingerie-Kollektion im Berliner Kaufhaus KaDeWe vertreten ist. In drei Abteilungen werden gehäkelte Spitzenaccessoires verkauft – der Tanga von Birgül Günaydin kostet dort über 200 Euro.

Alle reden über Pegida, aber noch hat keiner umfassend die Frage beantwortet: Warum Dresden? 23 Ursachen benennt die Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 24./25. Januar 2015. Und: Wie der Tod des Eritreers Khaled Idriss Bahray in Dresden viele Gewissheiten infrage stellt. Außerdem: Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger über gute Traditionen, große Autoren und verpasste Chancen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Uralte Kulturtechniken

Der Verein Ritas Häkelclub ist aus dem Modelabel entstanden. Er soll in Zukunft aber unabhängig funktionieren, damit auch andere Designer Aufträge geben können. So werden uralte Kulturtechniken erhalten. Und natürlich geht es dabei auch um Arbeit. Und um Integration – keine einseitige.

Ein Morgen im Atelier: Vier Frauen verzieren schwarze Lederhandschuhe mit glitzernden Spitzenornamenten, in den hinteren Räumen verpacken Praktikantinnen die Bestellungen, Studenten bringen die Homepage auf Vordermann, und die fünfte Häklerin kocht die Eier fürs Frühstück, während ihre fünfjährige Tochter mit einem aufblasbaren Gummiball spielt. Die Kita hat heute zu.

Sobald Oliven, Käse, Salat, Brot und Tee auf dem Glastisch stehen, verteilen sich alle auf den drei pastellfarbenen Ledersofas. „Kein Hunger“ ist keine Ausrede, hier geht es nicht nur ums Essen. „Am Anfang habe ich lieber ein Brötchen im Stehen gegessen“, sagt Labelchefin Ann-Kathrin Carstensen, die sich irgendwann fragte, was die Handarbeitstechniken der Neuköllnerinnen für ein Schatz sind und wie er besser zur Geltung gebracht wird. Inzwischen gehört das Frühstück fest zur Arbeitszeit.

„Da haben die Frauen ein Stück ihrer Kultur zu uns gebracht“, sagt Carstensen. Es wird Deutsch gesprochen, das verstehen alle. Um Privates geht es, um den Verlobungsring mit dem großen Edelstein, den die Praktikantin letzte Woche noch nicht trug. Und um die alltäglichen Probleme. Eine fühlt sich benachteiligt, weil andere so selten Essen mitbringen. Eine andere will einen Geschirrspüler. Und der Elektriker war immer noch nicht da, um das bessere Licht einzubauen. Im Winter wird es früh dunkel und deshalb schwieriger, die einzelnen Maschen wie auch die richtigen Einstichstellen zu erkennen und fehlerfreie Arbeiten abzuliefern.

Der Verein „Ritas Häkelclub“. Bild: Carsten Kofalk

Günaydin tritt in solchen Momenten als Sprecherin auf. Sie erzählt den anderen, dass die Neue es sich nicht leisten kann, jeden Tag Essen mitzubringen. Und findet den Geschirrspüler unnötig. Jeder könne doch einfach seinen Dreck selbst wegmachen. „Wir brauchen besseres Licht. Alles andere ist egal.“ Ihr Auftreten hat etwas ganz Natürliches. Dabei ist die 37-Jährige nicht die Älteste und mit Abstand die Zierlichste. Während sie nur mit ihren weiß-grün gepunkteten Strümpfen von ihrer Vorliebe für Schwarz abweicht, tragen ihre Kolleginnen helle, engere Klamotten, die Kopftücher sind farblich aufs Outfit abgestimmt.

Vielleicht liegt es daran, dass Günaydin am besten Deutsch spricht von allen. Schon mit 13 kam sie nach Deutschland, gemeinsam mit ihren fünf Schwestern. Hauptschulabschluss, Arbeit bei einer Reinigungsfirma. Die Eltern schlugen ihr vor, einen Mann aus dem Heimatdorf in der Türkei zu heiraten. Sie mochte ihn, Ismail, und seine Familie, obwohl er zwei Jahre jünger war. „Er ist sehr nett“, sagt sie immer wieder. „Und ein guter Vater.“ Vier Töchter haben sie, die kleinste ist sechs, die älteste 14.

Damit er zu ihr nach Deutschland konnte, musste sie nach der Hochzeit zwei Jahre lang für zwei arbeiten. „Ich bin um zwei Uhr nachts aufgestanden und um 22 Uhr nach Hause gekommen“, sagt Günaydin. „Ich bin von Job zu Job gerannt, habe im Botanischen Garten und im Internat geputzt.“ Wer Familienangehörige nach Deutschland holen möchte, muss zeigen, dass genug verdient wird.

Ismail Günaydin ist inzwischen Taxifahrer, und seine Frau wollte irgendwann nicht mehr putzen. Als Mutter, jeden Tag so früh raus, erzählt sie, runter in die U-Bahn-Stationen, wo sie morgens oft Betrunkenen begegnet, die sie anspuckten, ihr „böse Wörter“ nachriefen. „Wegen dem Kopftuch. Und weil ich so dunkel angezogen bin.“ Das erzählt Günaydin, betont aber, dass sie selbst damals nicht alle Deutschen in einen Topf geworfen habe: „Nicht alle sind so, das weiß ich.“ Sie verstehe sich sehr gut mit ihren deutschen Nachbarn.

„Sie können nur Strickerinnen suchen“

Vor einem Jahr saß Günaydin also beim Neuköllner Arbeitsamt, keine 500 Meter vom Häkelclub entfernt, vor einer Sachbearbeiterin und versuchte ihr klarzumachen, dass sie nicht mehr putzen will. „Was können Sie denn?“, wurde sie gefragt. Günaydin dachte nach, erzählte dann zögernd, dass sie gern häkle. Und wurde nach Hause geschickt. Hartz IV.

Etwa zur gleichen Zeit meldete sich Carstensen beim Arbeitgeberservice Neukölln an. Weil sie sich keine festen Mitarbeiterinnen leisten konnte, aber wusste, dass sie umgeben war von Frauen, die das konnten, was sie für ihr Modelabel suchte.

Wochenlang scheiterte sie an den Sachbearbeitern. „Häklerinnen? Das haben wir nicht im System. Sie können nur Strickerinnen suchen.“ Nein, keine Strickerinnen. Schließlich gewann Carstensen den Kampf gegen das System der Bundesagentur für Arbeit – und Günaydin bekam einen Anruf. Das mit ihrer Handarbeit sei doch interessant.

Inzwischen ist Ritas Häkelclub eine Vorzeige-Integrationsprojekt. Aus der Türkei stammende Frauen werden in die deutsche Kultur integriert. Die Deutschen in die türkische. Hartz-IV-Empfängerinnen in den Arbeitsmarkt. Traditionelle Handarbeit in die Haute Couture. Und vielleicht die Haute Couture auch in die traditionelle Handarbeit. Denn alle hoffen, dass ihre Kinder Häkeln irgendwann so cool finden, dass sie die Techniken selbst lernen und das Wissen nicht verloren geht.

Jeden Tag im Atelier

Günaydin sitzt jetzt jeden Tag im Atelier von Rita in Palma auf dem rosa Ledersofa, hinter ihr eine rosa CD-Anlage, aus der türkischer Pop tönt, und häkelt. Es sind die immer gleichen, schnellen Bewegungen. Dabei ist jedes einzelne Muster so kompliziert, dass ein Abschweifen der Gedanken unmöglich ist. Wie Magie wirkt es, wenn das Spitzenmuster Gestalt annimmt, wenn Rauten, Blumen, Ornamente allmählich erkennbar werden und daraus ein Tanga wird.

Den Faden zigfach um den linken Zeigefinger gewickelt, windet Günaydin die kleine Häkelnadel mit dem feinen Garn einmal, zweimal um den Finger, sodass Luftmaschen entstehen. Dann zieht sie das Fadenende erst durch die Maschen und dann durch das bereits gehäkelte Gespinst. Dantel-Spitze und Igne Oyasi heißen diese Techniken. Günaydin hält nur inne, wenn es Zeit zum Beten ist. Dafür geht sie mit einigen ihrer Kolleginnen in einen anderen Raum.

Bezahlt wird sie wie drei andere Frauen vom Häkelclub nach Mindestlohn, das Arbeitsamt kommt für drei Viertel des Lohns auf. Als Maßnahme gegen die Langzeitarbeitslosigkeit; im Fachjargon: FAW – Förderung von Arbeitsverhältnissen. Nach maximal zwei Jahren ist Schluss. Bis in einem Jahr muss Carstensen also so erfolgreich sein, dass sie Günaydin eigenständig bezahlen kann. Sonst müsste sie sich vom Arbeitsamt eine andere Frau zuweisen lassen.

Im Moment sieht es gut aus. Das KaDeWe hat nachbestellt, die sechs Stunden Arbeit am Tag reichen nicht mehr aus. Deshalb häkelt Birgül Günaydin jetzt auch abends auf dem Sofa weiter an den Tangas. Ihr Mann lacht darüber, erzählt sie. „Nur den Kindern erzähle ich etwas anderes. Die sind noch zu jung für so was.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.