Ehrung für eine Angehörige der Tutsi: Engagement für Traumatisierte

Der Bremer Solidaritätspreis 2015 ehrt Esther Mujawayo-Keiner: Sie hilft Opfern des Völkermords von Ruanda.

Esther Mujawayo-Keiner Bild: dpa

BREMEN taz | Esther Mujawayo-Keiner erhielt gestern im Rathaus den 14. Bremer Solidaritätspreis aus den Händen von Bürgermeister Jens Böhrnsen.Die aus Ruanda stammende Preisträgerin ist Mitbegründerin der Vereinigung der Witwen des Genozids vom April (Association des veuves du Génocide d’Avril, Avega). Die Non-Profit-Organisation wurde nach dem Völkermord in Ruanda von 50 Witwen gegründet.

Der Genozid begann im Frühjahr 1994 und endete im Juli desselben Jahres. Innerhalb von vier Monaten ermordeten Angehörige der Volksmehrheit etwa eine Millionen Menschen, vor allem der Tutsi-Minderheit.

Von den mühsamen Anfängen der Organisation erzählt Josephine Murebwayire: „Wir waren alle traumatisiert, die Arbeit war kaum zu stemmen.“ Sie hatte zuvor ihre Familie verloren: „Man hat meinen Mann und meine sechs Kinder vor meinen Augen ermordet. Ich wurde von einer Machete auf den Kopf getroffen und lag einen Tag zwischen den Leichen.“ Erst drei Wochen später sei sie von Soldaten evakuiert worden. Durch Avega sei sie dann Frauen mit einem ähnlichen Schicksal begegnet.

Die Organisation unterstützt inzwischen etwa 35.000 Witwen und andere Überlebende des Völkermordes, unter anderem mit Hilfe bei gerichtlichen Verfahren oder medizinischer und psychotherapeutischer Versorgung.

Monika Hauser von Medica Mondiale, Trägerin des alternativen Nobelpreises, hielt gestern die Laudatio. Sie betont die Relevanz von Avega. Diese spreche etwa offen über Folgen der Vergewaltigungen. So bekämen etwa HIV-positive Täter, die wegen Kriegsverbrechen angeklagt sind, Medikamente. Ihre Opfer hingegen – Frauen, die von ihnen infiziert wurden – hätten keinen Anspruch auf die benötigten Behandlungen. Avega verteilt Medikamente an sie. Bei einem anderen Projekt der Organisation werden Kühe, die in Ruanda als Statussymbol gelten, an Witwen verschenkt.

Besonders stolz sei sie darauf, so Mujawayo-Keiner, dass die ruandische Regierung aus diesem Projekt inzwischen ein staatliches Programm entwickelt habe. Es sieht vor, alle armen Familien mit einer Kuh zu versorgen. Aus „eine Kuh für jede Witwe“ ist „eine Kuh für jede arme Familie“ geworden.

Daneben engagiert sich die Soziologin und Traumtherapeutin, die an Universitäten in Belgien und England ausgebildet wurde, in weiteren ruandischen Frauenorganisationen. Außerdem war sie von 1990 bis 1996 stellvertretende Landesrepräsentantin von Oxfam für Ruanda, Burundi und Ostkongo.

Seit 2001 arbeitet die 56-Jährige im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf.

Die Einrichtung bietet Beratungen und Therapien für traumatisierte und psychisch belastete Flüchtlinge an. Mujawayo-Keiner betont: „Beide Teile sind für unsere Arbeit wichtig, sowohl die psychologische Behandlung als auch der soziale Aspekt.“ In ihren zwei Büchern erzählt sie über ihr Leben als Angehörige der Tutsi vor, während und nach dem Völkermord. Sie berichtet aber auch von den Schicksalen anderer Überlebender und wie es ist, nach dem Genozid weiterzuleben. „Anfangs haben wir gesagt, wir sind verdammt zu leben. Jetzt sagen wir, dass wir lebendig sein wollen“, erzählt Mujawayo-Keiner. Der Solidaritätspreis soll das Engagement derjenigen würdigen, die sich besonders für Minderheiten einsetzen, die auf der Flucht oder von Vertreibung bedroht sind.

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