Auszeichnung für Cartarescu in Leipzig: „Superchampion der Träume“ geehrt

Für seine Trilogie „Orbitor“ wird dem Rumänen Mircea Cartarescu der „Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung“ verliehen.

Verfasst Weltliteratur: Mircea Cartarescu Bild: dpa

Drei ziegeldicke Bücher, beladen mit der „Texistenz“ ihres Autors, hat Mircea Cartarescu auf nahezu 2.000 Seiten ausgebreitet, beflügelt von einem jahrelangen Schaffensrausch, der in den Schilderungen des Autors einem mystisch erleuchteten Schöpfungsakt glich.

„Orbitor“, so der Titel der Trilogie, heißt übersetzt „blendend“. Obwohl die drei Teile dieser Kindheit, Jugend und die 1989er Erlebnisse des Bukaresters umkreisen, ist „Texistenz“ keine schicke Verkleidung eines autobiografischen Projekts. Mit seiner Wortschöpfung bezeichnet Cartarescu vielmehr die Einswerdung von Leben und Werk im Prozess der Entstehung, die wiederum mit dreieinigen Prinzipien verschmilzt: Zwischen mütterlichem Paradies und väterlicher Hölle erscheint das irdische Leben des Sohns als eine verpuppte Zwischenstation zur gleißenden Erkenntnis.

Selbst bewundernde Kritiker gestehen, dieses surreal um ein allumfassendes Ich wuchernde Werk nicht zur Gänze zu verstehen, geschweige denn die Hybris seines Autors, der sich enthusiastisch zur unlesbaren, schwer entschlüsselbaren Literatur bekennt. Und der am Mittwoch den „Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung“ erhält, für die er sich mit „Orbitor“ verdient gemacht habe. Verständigung durch ein paar Tausend Seiten rumänischer Avantgardeprosa? Tatsächlich hat sich dieser Preis schon als ein überaus realistisch kalkulierter Coup der Jury erwiesen.

Der 58-jährige Rumäne verschafft dem Leipziger Buchpreis jene Aufmerksamkeit, die ihm zuletzt fehlte. Häufig verwechselt mit dem längst etablierten Preis der Leipziger Buchmesse und deutlich im Schatten des Frankfurter Friedenspreises, den der Deutsche Buchhandel vergibt, soll die Auszeichnung, festlich im Gewandhaus verliehen, das kulturpolitische Prestige der Leipziger Messe auch international mehren.

Die Auszeichnung Cartarescus schlägt nicht nur geschickt einen Bogen zurück in die 1990er Jahre, als literarische Schwergewichte wie Peter Nadas und Aleksandar Tisma die ost- und mitteleuropäische Ausrichtung des Preises festlegten, sie kann auch für sich reklamieren, auf einen im deutschsprachigen Raum fast unbekannten Autor hinzuweisen, der längst zum engeren Favoritenkreis des Nobelpreises gezählt wird.

Tendenz zum eingängigen Erzählen

Dass mit „Orbitor“ ein künstlerisch enorm herausforderndes Werk prämiert wird, kann obendrein als Signal der Jury wider die Tendenz zum eingängigen Erzählen gewertet werden. Doch so wacker diese Renitenz erscheinen mag, so sehr haftet ihr ein Retrocharme an, der deutlich verblasst angesichts der nervösen Aktualität, die in der Preisbestimmung rumort.

Es ist nicht das schwer Zugängliche in Cartarescus Werk, das an dieser Preisvergabe irritiert in einem Moment, da Verständigung in Europa nicht zuletzt darauf beruht, das Unverständige zu integrieren in einen Dialog. Es stellt sich aber die Frage, ob wir uns über die Rätsel dieser genialischen Prosa nicht längst schon verständigt haben.

Der „Turm“-Autor Uwe Tellkamp, der am Mittwochabend im Leipziger Gewandhaus die Laudatio halten wird, nennt Cartarescu ebenbürtig mit Joyce, Kafka und Borges. Man könnte ergänzen, dass Cartarescu von Joyce das mäandernd Sinnliche, von Kafka das Phantastische und von Borges des Labyrinthische hat, um in „Orbitor“ nur den neuesten Relaunch des klassisch modernen Romans zu erkennen, Weltliteratur made in Romania. Was Dublin für Joyce, das ist Bukarest für Mircea Cartarescu.

Vertrauen in die Macht der Literatur

Aber natürlich geht in dieser ausgeleierten Perspektive, die sich einzig einer Tradition vergewissert, ein Werk wie „Orbitor“ nicht völlig auf. Statt immer wieder die Säulenheiligen der Moderne aufzurufen, mit deren Hilfe Cartarescu auch schon mal zum „Proust aus dem Plattenbau“ gekürt worden ist, wäre es erhellend, Querbezüge zu zeitgenössischen Autoren zu wagen, zu Nádas und zu Herta Müller, die auf die Erfahrungen in der Ceausescu-Diktatur mit einem ans Spröde grenzenden Skrupel gegenüber der Sprache reagiert hat. Oder zu Reinhard Jirgl, der sich wie Cartarescu aus dem sozialistischen Alltag zurückzog und in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg eine autonome Kunstsprache schuf.

Cartarescu und Jirgl ist gemeinsam ein Vertrauen in die Macht der Literatur, die es mit einer atemberaubend übermächtigen staatlichen Unterdrückung aufnehmen musste, und so verwundert es nicht, dass sich Cartarescus Triptychon in seinen monströsen Ausmaßen auch spiegelt in der grotesken Gigantonomie von Ceausescus Parlamentspalast.

Doch so sehr Cartarescu sein Erzähl-Ich auch bläht, so bleibt der Maßstab doch menschlich: Er wird vorgegeben vom Blick des Jungen Mircea aus dem dreiteiligen Fenster auf die Stadt, mit der er verbunden ist über die vibrierenden Röhren der Heizung, die seine Füße wärmt. Es ist ein großartiges Bild des „Superchampions der Träume“, wie Cartarescu sich einmal selbst nannte, und die spöttische Selbstironie verleiht der pathosschweren Meisterschaft dieses ungeheuerlichen Werks zuweilen tatsächlich Flügel.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.