Buchmesse in Leipzig: „I need a hit, baby“

Krisen, Leidenschaft und Rechtspopulismus: Auf der Leipziger Buchmesse gibt es Einsichten in Ländliches, Banlieues und Popmusik.

Egal ob Knecht, Lustiger, Distelmeyer oder – wie hier – Mangas. In Leipzig soll gelesen werden. Bild: dpa

LEIPZIG taz | Es beginnt mit einem Paar roter Lacksandalen von Yves Saint Laurent, in ihnen nimmt das Elend seinen Lauf. Im schicken Hosenanzug stellt die Wiener Autorin Doris Knecht am Donnerstag auf der Leipziger Buchmesse ihren Roman „Wald“ vor, der die Schuhe zum Ausgangspunkt eines Butterfly-Effekts nimmt und das Leben von Protagonistin Marian einmal komplett resettet.

Nach der Finanzkrise ist mitten in der Lebenskrise: Marian hat alles verloren und muss neu anfangen, in einem geerbten Haus auf dem Land. „Ich wollte keine Naturverklärung betreiben. Viele Leute in meinem Umfeld haben diese romantische Idee vom Selbstversorgerleben auf dem Land. Ich wollte einmal nachspielen, wie das tatsächlich aussähe“, erzählt Knecht dem überwiegend weiblichen Publikum, und sie muss kurz lachen.

Denn allzu romantisch wird das nicht mehr. Marian sucht sich einen Kümmerer namens Franz, dem sie in Wien keinen Blick geschenkt hätte, und tauscht bei ihm Sex gegen Ware ein. Ist das ein kreatives Überlebensmodell, oder nicht eher ein krass veraltetes Frauenbild? „Wenn die erste Verliebtheit weg ist, geht es sowieso nur noch um Ökonomie“, sagt die Autorin ganz trocken. „Was gibst du mir? Was gebe ich dir? Jede Beziehung läuft auf Abhängigkeiten hinaus.“

„Die Schuld der anderen“

Ökonomie spielt auch eine Rolle in Gila Lustigers Thriller „Die Schuld der anderen“. Die gebürtige Frankfurterin, die seit vielen Jahren in Paris lebt, erzählt auf dem blauen Sofa, wie sie sich in ihrem neuen Roman dem kriselnden Frankreich gewidmet hat: „Nach dem Erfolg des Front National bei den Regionalwahlen und nach den zahlreichen antisemitischen Übergriffen, haben sich mir viele Fragen gestellt, auf die ich in meinem netten Pariser Wohnviertel keine Antworten fand.

Also fuhr ich durchs Land.“ Lustiger war in Banlieues und in Dörfern unterwegs, sprach mit Politikern und Schustern, um innerhalb des Krimi-Korsetts ein umfassendes Gesellschaftsporträt zu liefern.

„Sie müssen nur 30 bis 40 Kilometer aus Paris rausfahren, um eine ganz andere Welt zu entdecken“, sagt Lustiger, „etwa in Dreux, wo dreißig Prozent der Bewohner arbeitslos sind.“ Diese Menschen wählten nicht den rechtspopulistischen Front National, weil sie alle Rassisten seien, meint Lustiger, sondern weil sie sich abgehängt fühlten. Sie wählten eben die Partei, die als einzige noch nicht an der Macht war. „Das ist eine Form des Protests, die sehr gefährlich ist.“

„Wuuu!“

Deutlich leichtfüßiger und intimer geht es am Abend abseits des Messegeländes zu. Im Werk 2 liest und singt Jochen Distelmeyer, ehemaliger Frontmann der Band Blumfeld. Der Laden ist fast voll, Distelmeyers Fans – knutschende Pärchen und auf Handydisplays starrende Einzelgänger – haben sich von den überwiegend negativen Kritiken seines ersten Romans „Otis“ nicht beirren lassen. Und sie werden belohnt - denn über das Gehör wirkt die an Homers „Odyssee“ angelehnte Geschichte des Tristan Funke ganz anders. Die Sätze hat Distelmeyer größtenteils im Gehen und Sprechen konstruiert, das merkt man seinem mitreißenden Vortrag an.

„Ich wollte unsere Gegenwart als etwas Vergangenes darstellen“, sagt der Entertainer, „deshalb der feierliche Ton.“ Es geht um Leidenschaft und um Verlust. Zur Tragik der Antike gesellt sich das Pathos der Popmusik.

So läuft zu Beginn der Show ein Song von One Direction, der aktuelle Liebeskummer-Soundtrack in Millionen von Kinderzimmern der Welt. Zwischendurch greift Distelmeyer zur Gitarre, um Britney Spears zu covern, „Toxic“: „I need a hit, baby, give me it.“ Ein paar Damen rufen euphorisch: „Wuuu!“ Auch Distelmeyer trägt rote Schuhe. An ihm wirken sie wie das Zeugnis eines Triumphs.

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