zwischen den rillen
: Im Kopf des Meisters

Das neue Neue und das alte Neue: Auf ihren Mix-CDs interpretieren Richie Hawtin und André Galuzzi die Kunst des Plattenauflegens

Gerade weil er es so unbedingt will, fällt es ein wenig schwer, Richie Hawtin als den großen Visionär ernst zu nehmen, für den er sich hält. Diese akkurat dreieckige New-Wave-Frisur, dieser todernste Blick, dieses ganze der Zukunft zugerichtete Großsprechertum – hier glaubt sich jemand auf einer Mission: Richie Hawtin hat zum dritten Mal in seiner Karriere das Plattenlegen neu erfunden.

„DE 9 – Transitions“ heißt Hawtins neue Mix-CD. Aber was heißt hier Mix-CD: Eine DVD im „Dolby Surround 5.1“-Sound ist auch noch beigelegt, wenn Hawtin nun den dritten Teil seiner „Decks, Effects & 909“-Serie vorlegt. Für den ersten Teil vor sechs Jahren hatte er die Plattenspieler noch durch recht konventionelle Effektgeräte ergänzt, der zweite Teil präsentierte vor vier Jahren die erste Version der Software, die das Auflegen virtualisierte, indem sie die Tracks auf der Festplatte ablegte. Und nun ist es so weit: denn mit Auflegen in einem konventionellen Sinne hat „DE 9 – Transitions“ nur noch wenig zu tun.

Doch sosehr man sich kaputtlachen möchte über das visuelle Minimalismus-Brimborium, mit dem Hawtin auf der DVD versucht, seine Ideen zu visualisieren – manipulierte Tarkowski-Filmausschnitte!, weiße Rollen, die sich über eine weiße Fläche bewegen und ihre Form verändern!, so minimalicious! –: was Hawtin musikalisch macht, ist tatsächlich neu, interessant und überzeugend. Wo ein DJ normalerweise zwei Tracks ineinander mischt und vielleicht hier und da noch einen Loop einspielt, erlaubt es Hawtin seine neue Software, fünf oder sechs Tracks gleichzeitig zu spielen und zu manipulieren. Hier nimmt er sich ein Zischeln, dort eine Bassline, hier ein Gebrummel und da eine Stimme. Was natürlich auch der ultimative Egotrip ist: Von jedem Stück bleibt nur das Element, das den großen Meister gerade anmacht. Aber egal: es funktioniert.

Wenn auch im Fall von „DE 9 – Transitions“ am besten vor dem Computer, wenn man sich den Mix von der DVD aus anhört: Auf dem ansonsten schwarzen Bildschirm tauchen dann nämlich immer die Titel der Stücke auf, die gerade laufen, und instinktiv versteht man, was diese Arbeitsweise so attraktiv macht: dass Hawtin nämlich tatsächlich in eine andere Dimension des Ineinandermixens vorgedrungen ist. Man sieht auf einmal, was man so einfach dann gar nicht hören kann. Man glaubt sich in Hawtins Kopf schalten, seinen Assoziationen folgen zu können, wie er sich durch seine riesige Soundlibrary klickt.

Und nun sage niemand: Techno vorm Computer hören? Wie blöd ist das denn! Keine Mix-CD ist für die Tanzfläche eingespielt, und vor dem Bildschirm hocken ist auch nicht schlimmer als beim Abwasch mitwippen. „DE 9 – Transitions“ ist aber tatsächlich vor allem ein Demonstrationsobjekt für die Möglichkeiten, die die neueste Technologie Hawtin eröffnet: Wer dazu tanzen will, muss sich Hawtin schon im Club anhören.

Seine Exkollegen überflüssig machen wird er trotzdem nicht – was nicht zuletzt an dem Stolz sichtbar wird, mit dem eine Mix-CD wie André Galuzzis „Berghain 01“ den Umstand ausstellt, live mit einem Mischpult an zwei Plattenspielern eingespielt worden zu sein. Tatsächlich zeigt sich an „Berghain 01“ aber noch etwas ganz anderes: dass Hawtin den klassischen DJ eben nicht ersetzt, sondern schlicht die Bedeutung des Tracks auflöst.

Galuzzi ist einer der Resident-DJs im Berliner Technoclub Berghain, dem ehemaligen Ostgut. Rau, reduziert und sehr schön spielt sich er einen Sound, der nicht ganz so ruppig ist wie der, für den die große Tanzfläche des Berghain berühmt ist – vielleicht wirkt es aber auch nur so, die dortige Anlage ist schließlich nur schwer mit irgendetwas anderem zu vergleichen.

Nun ist es so verführerisch wie Unfug, zu behaupten, die Ruffness von Galuzzis Mix stehe für eine Authentizität oder Wärme, die Hawtin abgehe. Es ist etwas ganz anderes, was klar wird, wenn man die beiden Mixe nacheinander hört. Sie basieren zwar auf ganz ähnlichen Stücken. Doch man stellt bei Galuzzis Mix nur mit einigem Erstaunen fest, dass die Trackästhetik, die ja einstmals als etwas radikal anderes aus dem Songformat hervorgegangen war, längst eine ganz eigene Formensprache ausgeprägt hat – die man eben wieder radikalisieren kann, noch weiter treiben. Bis sich das Alte vermeintlich warm und das Neue wieder kalt anhört.

Und das gilt gerade für den Minimal Techno, aus dem Galuzzi einen Großteil seiner Stücke schöpft: Gerade in ihrer durch keinerlei Schnickschnack aufgepusteten Reduziertheit atmen Stücke wie „Teco“ von Monne Automne oder „Par“ von Alex Under eine ganz eigene Schönheit. Da passiert nicht viel: soll auch nicht, denn genau darum geht es.

TOBIAS RAPP

Richie Hawtin: „DE 9 – Transitions“ (Novamute/EMI), André Galuzzi: „Berghain 01“ (Berghain/Kompakt)