: Im Kreuzberger Reich der Knöpfe
Es begann mit der Suche eines Gymnasiasten nach einer neuen Taschengeldquelle. Über die Jahre hat sich Paul Knopf zu einem ansehnlichen Spezialisten für Knöpfe gemausert. An seinem Imperium baut er mit der Leidenschaft einer suchenden Seele
Von Hans W. Korfmann
Paul Knopfs Vorfahren waren Sammler und Jäger. Der Nachfahr sucht nicht mehr, er findet. Dann allerdings, wenn er etwas gefunden hat, beginnt er zu sammeln. Eine rote Murmel zur blauen, einen Bugatti zum Ferrari, einen Lastwagen zum Jeep, einen Pflaumen- zum Kirschkern …
So war das mit den Spielzeugautos und den Murmeln und später mit den Knöpfen. Die taschengeldabhängigen Gymnasiasten Paul und Franz waren in der zehnten Klasse, als der alte Knopf-Thomas in der Stubenrauchstraße eines Tages seinen Laden schloss, und sie sich überlegten, dass es schade wäre um das Knopfimperium. Also kauften sie den Schatz, lagerten ihn im Keller und füllten samstags und sonntags eine Lücke auf dem Flohmarkt. Inzwischen regiert Paul über ein Imperium von einer Million Knöpfen.
Seine Kunden sind Requisiteure vom Film und vom Theater, Frauen mit Kinderwagen und Zeit zum Stricken, ältere Damen auf der Suche nach einem Ersatz für den fehlenden Verschluss der fünfzigjährigen Rüschenbluse. Er erklärt der jungen Frau, die auf der Suche nach einem „Sonnenknopf“ für ihre „echte Hippie-Jacke aus den Sechzigern“ ist, dass die Steinnüsse, die er in der Vitrine hat, aus dem Dschungel – genauer gesagt aus Ecuador – kommen, auf Palmen wachsen und ursprünglich leeren Segelschiffen als Ballast zur Erreichung des nötigen Tiefgangs einverleibt wurden.
Nach einigen notwendigen Erklärungen zur Segelschifffahrt und Nautik erreicht der Knopfhändler die japanische Küste, wo die Steinnüsse – wegen ihres Glanzes und ihrer Farbtönung auch Elfenbeinnüsse genannt – zur Herstellung der Kimonoverschlüsse verwendet werden. Nach der kleinen Weltumseglung kehrt Knopf Paul in den heimischen Hafen in der Zossener Straße 10 zurück. Er erklärt, dass ebendiese Steinnuss einst weltweit das Hosenknopfmaterial Nummer 1 darstellte.
Erst durch die Entwicklung des Kunststoffs wurde sie in den 30er-Jahren vom Markt verdrängt. Deutschlands größter Knopfhersteller allerdings hat sich, ganz nach kolonialistischer Manier, vor wenigen Jahren noch eine Steinnussplantage in Südamerika erobert und lässt seine Knopfrohlinge an Ort und Stelle herstellen.
Dem jungen Mann, der als Nächster den Laden betritt, weil er 1.500 Knöpfe als Getränkemarken für eine gewaltige Kinderparty braucht, erklärt Knopf Paul, dass der Knobus (lat. für: Knospe, Knoten, Knopf) die Welt im Innersten zusammenhält. Und zwar seit der Steinzeit. Als nämlich dem Neandertaler allmählich die Haare ausgingen – Knopf Paul erzählt das, als wäre er dabei gewesen –, war es diese erste ungeschickte Verknüpfung zweier Sehnen, die das schützende Bärenfell zusammenhielt und somit den Menschen vor dem Erfrieren rettete.
Dass Paul zu „Knopf Paul“ wurde und auch fünfundzwanzig Jahre nach der Taschengeldaktion noch immer mit Knöpfen handelt, entsprach nicht ganz der jugendlichen Lebensplanung. Sein eigentliches Talent ist schließlich nicht das Sammeln und Horten, sondern eher das Finden und Erfinden. Und schreitet der Besucher an den Legionen nach Farben geordneter Plastik-, Horn-, Perlmutt-, Holz- oder Metallknöpfe vorüber und die hölzernen Stufen mit dem Emailschild „Privat“ hinauf, betritt er Pauls eigentliches Reich: die Werkstatt mit der altmodischen Lampe, den Zangen, Feilen, Schleifsteinen, Lochern und Schraubenziehern, mit dem Aschenbecher, dem Lötkolben, den Bügeleisen, den Stanzmaschinen. Und dem wunderlichen Zahnarztbohrer aus jenen Jahren, als das Bohren im Karieskrater noch abenteuerlich und markerschütternd war. Paul benutzt ihn nun zum Polieren und Reparieren seiner winzigen Modellautos. Oder wenn er aus den Tasten alter Schreibmaschinen diese originellen Manschettenknöpfe schmiedet – eine Idee, die sich bis New York herumgesprochen haben soll.
Paul nähert sich dem kleinen, alltäglichen Knopf mit gewissem Respekt. Knöpfe sind sein Metier. Er stellt sie her aus Pflaumen- und Kirschkernen, die andere achtlos ausspucken. Er bedient sich ausgedienter Spielsteine, selbst alte Zahnbürsten und Winchester-Patronenhülsen bleiben von der kreativen Zweckentfremdung nicht verschont. In großen Gläsern warten zwischen den Regalen Muscheln, Hölzer und andere Naturalien auf die Stunde der Intuition.
Doch immer wieder ruft den Bastler die Ladenklingel in den Verkaufsraum zurück. „Irgendetwas mit Wasser?“ Der Archivar der Knöpfe nickt, verschwindet für einen Augenblick in irgendeiner Nische und taucht mit einem Sortiment von Blechknöpfen wieder auf. Einen Anker hat er anzubieten, ein Schiff, einen Seemannsknoten. Bis in die Küche hinein stapeln sich die Kartons: Seefahrt, Luftfahrt, Länderwappen, Flaggen … Uniformknöpfe von der Feuerwehr, den Bergwerkern, den Eisenbahnern, den Waidmännern, den Musikkapellen und der Polizei, aus Ost und West … Die ganze runde Welt – in Knopf Pauls kleinem Laden.
Knopf Paul, Zossener Straße 10, www.paulknopf.de