: Die Kartoffel mal besser kennenlernen
BILDUNG Kindern mangelt es oft an Wissen über Essen und Lebensmittel. Dagegen will Susann Schubert etwas tun – für ihr Projekt sucht sie noch per Crowdfunding Geld. 15.000 Euro sollen es sein
SUSANN SCHUBERT, ERNÄHRUNGSWISSENSCHAFTLERIN
So banal die Feststellung ist, dass jeder Mensch Nahrung zu sich nehmen muss, so bestürzend ist die Entwicklung, dass immer weniger Menschen genug Wissen über Essen und Lebensmittel besitzen. Eine negative Entwicklung sei da erkennbar, sagt auch Detlef Kolbow, Beauftragter der Senatsgesundheitsverwaltung für Kinder- und Jugendschutz: „Immer mehr Kinder wissen nicht, wie lange etwa ein Ei für eine bestimmte Konsistenz zu kochen ist oder wie eine Tomate an der Tomatenpflanze aussieht, warum wir Kartoffeln zum Essen haben und wo sie herkommen.“ Kolbow unterstützt deshalb ein Bildungsprojekt von Susann Schubert, in dem Kindern die Kulturgeschichte der Nahrungsmittel beigebracht werden soll.
Um das Projekt auf den Weg zu bringen, will die 27-jährige Ernährungswissenschaftlerin und Diätassistentin per Crowdfunding 15.000 Euro sammeln. Ziel des Projekts: Kinder im Alter von neun bis 13 Jahren zu verantwortungsbewussten Verbrauchern zu machen. Schubert möchte den Grundschülern umfassende Kenntnisse über Lebensmittel als Kulturgut vermitteln, „angefangen bei der Sortenkunde über die Kulturgeschichte und die Nutzungsmöglichkeiten, den Verlauf der Wachstumsphasen der Pflanze bis hin zu den Inhaltsstoffen und der Zubereitung“. Ganz nebenbei sollen Garten und Küche zum Lernort für Kulturgeschichte werden, etwa wenn die Kinder erfahren, dass viele Pflanzen keineswegs schon immer hier heimisch sind: dass Kartoffeln erst im 16. Jahrhundert nach Deutschland kamen und die Tomate sich hier sogar erst nach dem Zweiten Weltkrieg als Gemüse durchgesetzt hat. „Das ist eine wichtige Form von Aufklärung für Stadtkinder“, ist Schubert überzeugt.
Sinnesfroher Umgang
Vieles lässt sich an Lebensmitteln entdecken: ihre Größe, Farbe, Form, wie es sich anfühlt. „Kinder lassen sich für einen sinnesfrohen Umgang ganz leicht begeistern“, ist Schuberts Erfahrung. Vor einem Jahr hat sie im Rahmen ihres Studiums der Ernährungswissenschaften in der Kinderküche München gearbeitet. Dort reifte ihre Idee für das Bildungsprojekt „Ausbildung eines nachhaltigen Nahrungsmittelwissens“ (AnNa). Im Sommer hat sie dann als Studiumsabschluss einen Businessplan aufgestellt. Ihr Projekt sei in Bezug auf die Laufzeit einzigartig in Berlin, stellt sie heraus. Vergleichbare Kurse anderer Anbieter liefen nur über maximal drei Monate. „Ich plane die Kurse einmal wöchentlich mindestens für ein Jahr. Nur so lassen sich saisonale Unterschiede etwa bei Obst oder Gemüse erfahren.“
Vor vier Wochen hat Schubert ihr Projekt auf der Crowdfunding-Plattform startnext.de veröffentlicht. Aktuell haben ihr 24 Unterstützer 802 Euro zugesagt – noch eine weiter Weg bis zu den 15.000 Euro, die sie bis zum Sommer zusammenkriegen will. Nach ermutigender Resonanz zu Beginn sei das Interesse derzeit abgeflacht, räumt sie ein. „Aber zum einen will ich mit dem Geld Unterrichtsmaterialien erstellen. Zum anderen will ich eine Küche einrichten, um das Projekt auf eigene Füße zu stellen – bevor ich mit Grundschulen Kontakt aufnehme.“ Denn Susann Schubert will ihr Projekt nicht an eine Schule anbinden und damit von diesem Standort abhängig sein.
Die Senatsgesundheitsverwaltung unterstütze die Eigenständigkeit, sagt Kolbow. „Hier könnten Kinder auch von solchen Schulen mitmachen, die nicht über eine Küche oder einen Garten verfügen.“ Außerdem werde Schule meist mit dem Abfragen des Gelernten verbunden. Zwar habe das Bildungsprojekt AnNa durchaus den Anspruch, Lebensmittelwissen zu vermitteln. Dies soll aber in Form eines erlebbaren und alle Sinne ansprechenden Unterrichts stattfinden. „Es wird kein Druck ausgeübt, das Wissen in Prüfungen wiederzugeben“, lobt Kolbow. „Wenn das Crowdfunding nicht gelingen sollte, könnte man auch über andere Finanzierungsmodelle oder Kooperationen nachdenken.“ CHRISTIAN OTT