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MUSIKVIDEOS Im YouTube-Wust gehen sehenswerte Musik-Videoclips oft unter. Das sollen Veranstaltungen wie die Berlin Music Video Awards Ende April in der Villa Neukölln ändern

Die Berlin Music Video Awards starten kommenden Mittwoch (24. April) um 19 Uhr in der Villa Neukölln mit dem Publikumsvoting der ersten fünf Kategorien (Lo-Fi, Schnitt, Regie/Schauspiel, Konzept und Special Effects), Donnerstag folgen die nächsten fünf (Song, Art Director, Animation, Bild, Trash), Freitag und Samstag werden die jeweiligen Gewinner prämiert, und am Sonntag treten alle Kategoriesieger noch einmal gegeneinander an. Eine Jury aus Dr. Motte, Ellen Allien, Hanin Ellias, Fabian Hoffman, Jan Noll (Siegessäule), Blastik Haifa (Berlin MVA), Stephane Leonard und einer Person von Dailymotion entscheidet. Zwischendurch gibt’s Show Acts und Networking Sessions, das gesamte Programm ist auf berlinmva.com zu sehen.

■ Berlin Music Video Awards: Villa Neukölln, Hermannstr. 233, 24.–28. April, jeweils 19 Uhr

VON MALTE GÖBEL

„Berlin hat unzählige Festivals für Film und für Musik: große, kleine, kommerzielle und Underground. Aber es ist bisher noch niemand auf die Idee gekommen, das zusammenzuführen.“ So ein Festival für Musik-Videoclips organisiert nun Aviel Silook. Der quirlige Israeli lebt seit ein paar Jahren in Berlin und hatte im Herbst 2012 den Geistesblitz, scharte Gleichgesinnte um sich – und nun steigen Ende April die ersten Berlin Music Video Awards in der Villa Neukölln (siehe Kasten).

Aviel Silook kennt die Materie gut, er war als Jugendlicher nach eigener Aussage geradezu abhängig von Musikvideos: Er kam oft zu spät zur Schule, weil er bis spätnachts auf die Clips wartete, die MTV tagsüber nicht senden wollte oder durfte. „Zum Beispiel die explicit version von ‚Smack my Bitch Up‘ von The Prodigy oder Sachen von Aphex Twin, lauter abgefahrene und extreme Videos. Außerdem liefen nachts die B-Seiten, nicht nur die Hits.“

Zu oft ist es Glückssache, ob man auf YouTube auf etwas Interessantes stößt

Das MTV-Monopol war damals Fluch und Segen zugleich: Man musste zwar mitunter lange warten, aber es gab eine Auswahl der Videos, die gesendet wurden. Heute, wo MTViva lange tot sind, ist es andersrum: Auf YouTube und Konsorten kann man sich fast alles ständig und so oft man will anschauen (vorausgesetzt man umgeht die lästige YouTube-Gema-Sperre, aber dafür gibt’s ja fähige Plug-ins). Alles ist verfügbar, doch das Problem ist: Im Videowust gehen die sehenswerten Clips oft unter.

Deswegen gibt es jetzt immer mehr Veranstaltungen, die Videos von den Bildschirmen auf die Bühne und unter die Leute bringen sollen. Seit bald zwei Jahren gibt es im Ballhaus Ost einen Musikvideoabend, ins Leben gerufen von den Filmemachern Dietrich Brüggemann und Christian Mertens – das nächste Mal im Juni. Auch der „Clip Club“ im Eiszeit Kino zeigt alle drei Monate Musikvideos. Und eben die Berlin Music Video Awards. Die hätte schon längst mal jemand erfinden sollen, findet auch der Künstler Stephane Leonard, Jurymitglied bei den Berlin Music Video Awards. „Die meisten Regisseure und speziell kleinere Bands und Labels stecken sehr viel Herzblut, Kreativität, Zeit und Geld in Musikvideos, und gerade scheint es, als würde ihre Halbwertszeit im Netz schon wieder sinken.“ Stephane Leonard kennt das, er gehört zum Umfeld des Indie-Labels Sinnbus und dreht durchdachte und teils aufwendige Musikvideos für Bands wie Hundreds, Bodi Bill und Me And My Drummer. Oft investiert er in Konzeption und Dreh ein paar Monate – „nur um dann zu sehen, wie es bei YouTube oder in der Masse versinkt“.

Nachts liefen die abgefahrenen und extremen Videos – und die B-Seiten

Diese Masse ist vor allem da, weil es heute so einfach ist, selbst etwas zu drehen und hochzuladen – gern nach prominentem Vorbild. Das Netz ist voll von Gangnam-Style-Cover-Songs, angereichert mit Heavy Metal, Mein Kleines Pony oder veganer Ernährung. Von Lady Gagas Songs hat unter anderem die New Yorker Dragkünstlerin Sherry Vine Parodien angefertigt, die die Popsongs weiterentwickeln und mit neuen Inhalten aufladen. Diese Versionen finden sich noch recht schnell, aber schwieriger wird es bei anderen Aufnahmen: Die meisten Video-Covers bestehen aus schrammelnden Möchtegern-Guitar-Heros oder betrunkenem Gegröle in einer Garage – und in dieser mediokren Masse gehen die guten Clips oft unter. Da helfen auch die vor Kurzem eingeführten YouTube-Channels wenig, kritisiert Aviel Silook: „Die sind auch nicht besser als MTV, da ist alles kommerziell und voller Werbung. Also ist es oft Glückssache, dass man auf etwas Interessantes stößt.“

Genau deswegen gibt es bei den Berlin Music Video Awards auch zwei Kategorien für nichtprofessionelle Werke: „Trash“ und „Lo-Fi“. Das passt zu Berlin, findet Aviel Silook: „Es soll ja nicht nur das Budget entscheiden, auch gute Ideen zählen!“ Die Berlin Music Video Awards sollen der Kunstform Musikvideo endlich eine angemessene Bühne verschaffen. Und das Interesse lässt einen aufmerken: Trotz definitiven Lo-Fi-Appeals haben sich auch bekannte Acts angemeldet, darunter Sigur Ros, Gentleman, The Knife, Madsen, Stereo Total, Radiohead-Sänger Thom Yorke und Miss Platnum. Möglicherweise wird die Villa Neukölln zu klein sein für den Andrang. Aber das wäre ja ein gutes Zeichen: „Je mehr Menschen davon wissen, also dass es da draußen Kurz- und Kunstfilme, Sketche, Parodien und Dokumentation mit Musik unterlegt gibt, desto mehr und bessere Dinge können wir machen“, sagt Stephane Leonard. „Ein Magnet für Menschen ist auch immer ein Magnet für Förderungen, und die können wir gut gebrauchen.“