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Archiv-Artikel

Was für eine Nacht!

Es gibt genau fünf Sorten der Silvesterparty. Eine Analyse

Die meist überschätzte Frage des Jahres lautet: Was tun an Silvester? Dabei muss sich der durchschnittliche Erwachsene schon sehr viel Mühe geben, um am 31. Dezember nicht auf einer Party zu landen – sich beispielsweise beide Beine brechen oder sich für die ehrenamtliche Altenbetreuung am Neujahrsmorgen verpflichtet haben. Völlig überbewertet wird gemeinhin die Auswahl der Feier, tatsächlich unterscheiden sich Silvesterpartys nicht großartig voneinander. Sekt trinken und Feuerwerk schauen gegen null Uhr gehören zum Standardprogramm jedes anständigen Jahreswechselfestes. Es gibt genau fünf Sorten von Silvesterpartys.

Raketen-Fetisch-Party mit fettigen Chips

Die Raketen-Fetisch-Party findet meist im deprimierenden Ambiente einer kahlen Junggesellenwohnung statt. Einziger Vorzug der Bude ist ein riesiger Balkon, auf dem sich die Party dann auch hauptsächlich abspielt. Meine erste Raketen-Fetisch-Party war gleichzeitig meine letzte. Es war kalt und zog die ganze Nacht wie Hechtsuppe, weil die Balkontür sperrangelweit offen stand. Jeder Gast schleppte riesige Tüten voller Kracher, Böller, Heuler und Raketen an. Mitgebrachte Frauen wurden in der Küche abgestellt und gegen null Uhr dort wieder abgeholt und zu Hilfsdiensten wie Packungen öffnen, Feuerzeuge betanken und Raketen halten nachdrücklich nach draußen gebeten. „Junge Frau“, hieß es, „kommse rauf auf die Raketenabschussbasis!“ Die wenigen Gespräche drehten sich ausschließlich um Chinakracher und Frauenfürze. Auf einer Raketen-Fetisch-Party gibt es rein gar nichts zu essen. Wenn man Glück hat, verirrt sich ein Schälchen fettiger Alt-Chips auf den zugemüllten Wohnzimmertisch.

Notgemeinschaft Heißer Stein mit Wildschweindeputat

Gigantische Fleischberge abzutragen ist dagegen Sinn und Zweck einer Notgemeinschaft Heißer Stein. Diese Gruppen treffen sich regelmäßig und bestehen aus miteinander befreundeten Paaren. Man trifft sich immer in derselben Wohnung mit den selben Leuten. Es gibt feste Zuständigkeiten für die Salate, fürs Geflügel, für die Saucen, und es ist todlangweilig, aber lecker. Auch ich gehörte einige Jahre einer Stein-Gemeinschaft an und hatte den an und für sich coolen Job, die Curry-Honig-Cocktail-Sauce mitzubringen. Die ideelle und fleischliche Basis der Gruppe bestand aus einem riesigen Batzen Wildschweingulasch, das Jahr für Jahr seinen Weg auf unsere Teller fand. Computerspezialist Thomas bekam den Braten in der Klitsche, in der er arbeitete, regelmäßig als Weihnachtsgratifikation überreicht und war als Single damit derartig überfordert, dass er die Notgemeinschaft Heißer Stein gründete. Als Thomas den Job wechselte und die Wildschwein-Connection zerbrach, war das auch das Ende der steinernen Gastfreundschaft.

„Kennt hier eigentlich jemand den Gastgeber?“

Sie ist der Klassiker unter den Silvesterfestivitäten: die Kennt-hier-eigentlich-irgendjemand-den-Gastgeber-Party? Auf dieser Sorte Veranstaltung rutscht man gegen zwei Uhr in Erbrochenem aus. Die Toiletten lassen sich nicht verschließen, weil die Schlösser klemmen oder gleich die Türen fehlen. Das Zentrum des ansonsten unübersichtlichen Festes ist die Küche, in der ein gigantischer Kessel Chili con Carne vor sich hin brodelt. Der Ereignischarakter ist hoch. Mindestens ein Kind wird pro Party gezeugt. Ersatzweise gibt es einen Herointoten.

Gähnen bei den Dänen oder wenn das Bierglas zerbricht

Am Anfang sind alle von der Idee begeistert. Ferienhaus mieten. Faxe trinken. Smörebröd essen. Der Nachteil von Dänen-Partys ist, dass nichts wirklich Aufregendes passiert. Außer dass mal ein Bierglas zerbricht. Oder die Scheibe einer dänischen Waschmaschine. Nach einer ziemlich ruhigen Silvesterparty hatte Silke am Neujahrsmorgen nichts Besseres zu tun, als ihre gesamte Kleidung in die Waschmaschine zu stecken, weil die angeblich überall mit Rotweinflecken verunreinigt war. Dadurch verzögerte sich der Abfahrtstermin um viele Stunden. Das Problem war, dass sich die Maschine nicht mehr öffnen ließ. Die Gruppe spaltete sich sofort in zwei Lager. Die Kleider in der Schmutzbrühe zurücklassen, wollten die Vernünftigen. Einen dänischen Monteur am Neujahrsmorgen herbeitelefonieren, die Unvernünftigen. Scheibe einschlagen und fahren setzte sich durch.

Die „Hauptsache, man ist untergekommen“-Party

Bei der „Hauptsache, untergekommen“-Party handelt es sich genau genommen gar nicht um eine Party. Stimmung und Dramaturgie der Veranstaltung erinnern verdächtig an Maxim Gorkis „Nachtasyl“. Darin treffen sich Trinker, Ausgestoßene und andere Existenzen in einer Kellerherberge und träumen vom besseren Leben. Bei der „Hauptsache, untergekommen“-Party treffen sich frisch Getrennte, Singles und unglückliche Paare zu einem Raclette genannten Käsefondue und stochern eher lustlos in der zähen gelben Masse herum. Gespräche kommen schwer in Gang, weil sich die Beteiligten gar nicht kennen. Auf einer Veranstaltung diesen Typs gilt es als Todsünde, vorzeitig wieder zu gehen. Hier wird jeder Mann, jede Maus dringend gebraucht. Zum Beispiel fürs Bleigießen, das, gewissenhaft betrieben, jedoch eine ziemlich obszöne Angelegenheit ist. Schließlich entstehen beim Gießen immer genitale Formen. Die dann auf einer echten Dankbar-dabei-zu-sein-Fete höflich als Seepferdchen und Ruderboote umschrieben werden. Was das Orakel damit jedoch unmissverständlich sagen will: Wenn du bei flüssigem Käse und nicht intakten Genitalien gelandet bist, hast du zwölf Monate lang was falsch gemacht! HEIKE RUNGE