Brauchen wir den BH noch?
Ja

SCHWUNG Der BH deformiere die Brust, sagt eine Studie aus Frankreich, und mache die Haltung schlecht. Auch beim Sport? Vor allem beim Sport!

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Ulf Marnitz, 44, Facharzt für Orthopädie in einem Berliner Rückenzentrum

Bei körperlicher Aktivität, insbesondere bei High-Impact-Sportarten wie Tennis oder Trampolin, kommt es durch die Trägheit der Brust zu erheblichen Zugkräften, die nicht nur bindegewebsschädlich sind, sondern die Patientin auch aus dem Gleichgewicht bringen können, dies schon ab Körbchengröße B. Ab Größe C benötigen Frauen bei sitzender Arbeit eine Stütze, damit sie von den Brüsten nicht nach vorne gezogen werden und in eine gebeugte Zwangshaltung geraten. Hinzu kommt, dass BHs auch die Brustwarzen schützen. Selbst abgehärtete Brustwarzen können durch ihre Prominenz schnell wund werden. Zu nennen sind auch Kosmetik- und Gender-Aspekte: BHs ermöglichen eine „gewünschte“ Brustgröße. Wackelnde Brüste können ein Blickfang sein. Ob dies gewollt ist, muss natürlich jede Frau für sich entscheiden.

Catherine Hakim, Soziologin und Autorin des Buches „Erotisches Kapital“

Gegenstand von Rouillons Studie waren junge Frauen, mit (vermutlich kleinen) festen Brüsten. Die meisten Frauen aber fühlen sich mit BH einfach wohler und attraktiver. Also: Es leben die hübschen Dessous! Ältere Menschen tun meist zu wenig für ihren Körper, während junge Leute dem Training heute viel mehr Zeit widmen, um schlank und fit zu bleiben. Sie sind daher attraktiver und bleiben es viel länger. Mein Buch zeigt, dass körperlich und gesellschaftlich attraktive Menschen mehr Geld verdienen und ihrem erotischen Kapital tagtäglich Vorteile verdanken. Leider versäumen es junge Leute viel zu oft, die Vorteile ihrer Jugend auszuschöpfen. Der runde Busen bei Frauen ist noch immer das westliche Idealbild. In Brasilien schätzt man vor allem den wohlgeformten Po. Rouillon hat bei seiner Brüste-Studie offensichtlich seinen Spaß gehabt – geht’s demnächst vielleicht nach Brasilien?

Eustache Deschamps, französischer Poet, ca. 1345–1404, plädierte für verpackte Brüste

Ever since the breast displayed itself / in every place quite generally, / the desire has entered many minds / to come covertly and ravish it / because it gives so suddenly / heart pangs to many just by seeing it, / and it has found people were so cruel, / they took it prisoner and tortured it. / In Paris, it is in a piteous state: / Lady, take pity on the breast!

What got it into this predicament / is only the result of youth. / Round, small and firm: it didn’t then / display itself so openly, / but then it foolishly let go, / turned flabby, heavy, unattractive, / and so it was divided into two, / sewn into bags across the bosom / and bound up with all sorts of cords and knots: / Lady, take pity on the breast!

Angela Diwisch, 38, ist Sexualtherapeutin und lebt und arbeitet in Bonn

Was macht ein BH mit meiner Weiblichkeit und was bewirken wenige Zentimeter Stoff bei Mann und Frau? Viele erregende Dinge passieren lediglich in der Fantasie und das auch nur, wenn ich nicht alles vorgekaut bekomme. Nehmen wir Sexualität in langjährigen Beziehungen: Alles mir Unbekannte verschwindet mit der Zeit. Geheimnisse werden gelüftet, Nähe und Vertrauen halten Einzug. Vieles, was reizte und prickelte, ist dahin. Wie schön ist es da, wenn ich dann wieder für den Moment nicht weiß, wie der andere reagiert. Wenn es mir gelingt, in einem neuen Gewand zu überraschen und zu gefallen. Also, ein klares Ja zum Stoff!

Nein

Jean-Denis Rouillon, französischer Sportmediziner, forschte 15 Jahre zu BHs

Ich sage nicht generell Nein zu BHs. Die Entscheidung sollte Frauen selbst überlassen werden. Die Funktionalität des Büstenhalters wurde schon früher infrage gestellt und durch meine Studienergebnisse wird das Thema nun wieder in den Medien diskutiert. Heute kann über solch ein Thema offener gesprochen werden als vor ein paar Jahren, der BH ist kein Politikum mehr. Meine Ergebnisse sprechen deutlich dafür, dass BHs schlechte Auswirkungen auf die Brust haben. Da die Teilnahme an meiner Studie freiwillig war, kann sie nicht repräsentativ für französische Frauen sein. Fünf Jahre trugen die Testpersonen keinen BH und wir konnten deutliche Verbesserungen in Haltung und Form feststellen, insbesondere beim Sport. Es ist paradox: Einerseits soll der BH die Brust in eine schöne, einheitliche Form bringen, andererseits deformiert er sie dauerhaft und macht sie abhängig von seiner Stützfunktion. Das zeigen die Ergebnisse unserer Studie.

Stephanie Bebenroth, 27, gründete das Label Juju-Lingerie und lebt in Berlin

Als Dessousdesignerin möchte ich gerne an Folgendes erinnern: Der BH diente in den vergangenen hundert Jahren dazu, die Frauen von Korsett und Mieder zu befreien. Er wurde nicht zur Unterstützung der Brust entwickelt, sondern um sie in Form zu bringen. Seither wurden Brüste je nach Trend in die verschiedensten Formen gepresst, heute liegen Push-ups, Wonderbras, Silikon- und Geleinlagen voll im Trend. Von einer wohlgeformten Brust in einem schönen BH geht eben ein Reiz aus. Wie viele Maßnahmen der täglichen Hygiene und Pflege kann auch das Tragen von BHs zu einer Gewöhnung führen. Nehmen wir das Beispiel des Lippenpflegestifts: Benutzt man ihn dauerhaft, macht das die Haut abhängig. Warum sollte es sich mit dem BH nicht ähnlich verhalten? Wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl der Frauen keine passenden BHs trägt, kann das Weglassen des BHs in der Konsequenz doch nur gut sein.

Geneviève Belot, 59, arbeitet als Osteopathin und nahm an Rouillons Studie teil

Seit fünf Jahren trage ich keinen BH mehr. Dank Rouillons Studie lernte ich die Bedeutung einer ausgeprägten Brustmuskulatur schätzen. Ich verstehe nun, welchen Nutzen sie für die Brust hat und wie man sie trainieren kann. Um eine kräftige Brustmuskulatur zu bekommen, die ihr Gewicht selbst trägt, braucht es keinen BH. Außerdem habe ich mich mit Ästhetikfragen beschäftigt. In Afrika gibt es ein interessantes Ritual, bei dem sich Frauen warme Steine auf die Brüste legen, um sie flach werden zu lassen. Es heißt „Brüstebügeln“. In Europa ist die platte Brust ein Horrorszenario. Das sind doch sehr interessante Unterschiede oder nicht? Als Osteopathin habe ich jeden Tag mit Patientinnen zu tun, die aufgrund verschiedener Ursachen unter Rücken- und Schulterschmerzen leiden oder Atemprobleme haben, auch wegen ihres BHs.

Elena Frense, 22 Jahre, taz-Leserin, kommentierte die Streitfrage per Mail

Ich bin auch ohne BH glücklich. Aber ich habe ja leicht reden: 75 B bescheinigte mir das kleine Schildchen zuletzt vor fünf Jahren. Andere haben es da schon schwerer. Und genau diese versichern mir regelmäßig, wie sehr sie ihn doch brauchen und lieben, den BH. Wer hat denn jetzt Recht? Na hoffentlich die BH-Kritiker, denn dann ist bald Schluss mit frustrierten Frauen, die keinen passenden BH finden. Weg damit! Es lebe die zufriedene, ungeschnürte Frau!